von Eva Nmeir
Al-Bara ist Teil der UNESCO-Welterbestätte „Antike Dörfer Nordsyriens“, eingeschrieben 2011 und seit 2013 auf der „Liste des bedrohten Welterbes“. Von den 36 zugehörigen Welterbe-Einzelstätten in 8 Archäologischen Parks sind zehn im Bereich von al-Bara angesiedelt (Park Nr. 4 – „Jebel Zawiye 1“: al-Bara, Batrasa, Baʿuda, Bshalla, Dalluza, Majliya, Rabiʿa, Sirjilla, Shinshirah, Wadi Martahun).
Die frühbyzantinische Siedlung al-Bara (Kapropera) liegt im Jabal az-Zawiya (Zawiya-Gebirge) auf einer Höhe von ca. 675 m. Sie befindet sich in zentraler Lage in dem Talkorridor zwischen dem nordöstlichen und südwestlichen Teil jenes vergleichsweise großen und hohen Gebirges im Süden des nordsyrischen Kalksteinmassivs (Gouvernement Idlib). Das weitläufige Ruinengelände erstreckt sich an einem Osthang entlang der Talsenke Wadi al-Juz gegenüber der zu Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeten Kleinstadt al-Bara (Abb. 1, 2). Die antiken Siedlungsruinen stehen inmitten von Pflanzungen, häufig Oliven- sowie Obstbaumkulturen; zumeist handelt es sich um kleinere Roterde-Parzellen mit Trockenmauern, durchsetzt von Felsen.


Al-Bara ist die größte der verlassenen antiken Siedlungen – der sogenannten Toten Städte – im Kalksteinmassiv (Abb. 3). Allgemein wird von mehr als 700 Orten ausgegangen, die heute noch vorhanden sind. Neben dem byzantinischen Dayr Samʿan (Telanissos) und Brad (Kaprobarada) sowie dem römischen Maʿiz weit im Norden des Hochlands wird diesem Ort ein städtischer Charakter zugeschrieben. Al-Bara erlangte in frühbyzantinischer Zeit, beginnend im 4. Jahrhundert, wesentliche Bedeutung als regionales, insbesondere wirtschaftliches und religiöses Zentrum des Jabal az-Zawiya. Verwaltungsmäßig war es über lange Zeit dem Bereich der Stadt Apamea am Rande der angrenzenden Ghab-Ebene zugeordnet (Apamene). Es bestand eine Anbindung im spätantiken Handelsstraßennetz Nordwest-Syriens, das sich zwischen den Metropolen Apamea im Süden, Antiochia im Nordwesten sowie Aleppo im Nordosten verzweigte.


Das lokale Einzugsgebiet umfasste eine Reihe kleinerer Ortschaften, beispielsweise Majliya und Batrasa, ebenso einige Klöster, zum Beispiel Dayr Subat, die etwas außerhalb der Siedlung lagen (Abb. 5, 6). Die landwirtschaftlichen Anbauflächen lieferten Erträge insbesondere aus der Oliven- sowie der Wein- und Weizenkultur, die vor Ort verarbeitet wurden. Aufgrund der günstigen topographischen Lage hatte al-Bara einen Brunnen – eine Ausnahme im wasserarmen Kalksteinmassiv, wo die Menschen in höherem Maße als im Tiefland von der Speicherung von Regenwasser in Zisternen abhängig waren.


Von der Entwicklung des Dorfes, dem Wohlstand seiner Bewohner und den Fertigkeiten sowohl örtlicher als auch auswärtiger Bauwerkstätten zeugen eine große Dichte und Vielfalt von Bauwerken, die aus dem ortsüblichen Kalkstein in Quadersteinbauweise errichtet wurden: Die ältesten Gebäude werden auf die 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts datiert. Eine Phase mit starker Bauaktivität wird vom 5. Jahrhundert bis zur 1. Hälfte des 6. Jahrhunderts verzeichnet, speziell Wohngebäude wurden verstärkt bis ca. 470 gebaut. Auf diese Hochphase gehen eine große Zahl von Häusern (Beitragsbild), fünf Kirchen (Abb. 11 und 12), Klöster (Abb. 5), Grabbauten (Abb. 4, 9 und 10), Oliven- bzw. Weinpressen (Abb. 7, 8) und andere Bauten zurück.


Al-Bara wurde in islamischer Zeit gegen Ende des 12. Jahrhunderts verlassen; vorausgegangen waren zwei verheerende Erdbeben. Allerdings bestand es länger als die meisten Siedlungen im nordsyrischen Hochland, die ebenfalls in islamischer Zeit bis zum 9./10. Jahrhundert aus mehreren Gründen aufgegeben worden waren. Wie auch andere Ruinenstätten aus der Gruppe der Toten Städte vermag es einen außerordentlich authentischen und anschaulichen Eindruck von der gebauten Umwelt der Menschen, die dort in früheren Zeiten gelebt haben, zu vermitteln. Derartige historische Einblicke sind selten.


Viele der bestehenden, zum Teil monumentalen spätantiken Bauwerke haben seit ihrer Entstehung keine wesentlichen Veränderungen erfahren. Teilweise haben sie die rund 1500 Jahre bis heute erstaunlich gut überdauert. Sie geben nicht zuletzt Aufschluss über die frühchristliche Architekturentwicklung. Andere Bauten sind über die verschiedenen Epochen hinweg ihrer jeweiligen Nutzung entsprechend angepasst worden, was in einer unbewohnten Ruinensiedlung wie al-Bara gut zu erfassen ist. Archäologische Grabungen der Syrischen Antikendirektion (DGAM) zwischen 2007 und 2010 in einem zentralen Gebäudecluster legten frühbyzantinische Thermen und Teile einer möglicherweise frühabbasidischen Moschee frei. Aus den Thermen war in islamischer Zeit ein Hammam und schließlich ein Wohnhaus geworden.


Die Denkmalsituation ist bestimmt von einer zunehmenden Häufung von Beschädigungen und Zerstörungen, wozu unterschiedliche Faktoren beitragen. Allgemein betrachtet ergeben sich diese aus der in den letzten Jahrzehnten verstärkten Neubesiedlung der Region und dem damit verbundenen Landverbrauch für Straßen- und Wegebau, Wohn- und Gewerbebauten sowie landwirtschaftliche Nutzflächen. Der Tourismus und unsachgemäße Restaurierungen von Monumenten, aber auch deren Abtragung als Baumaterial oder deren Ausplünderung für den illegalen Antikenhandel spielen ebenfalls eine Rolle für das Verschwinden des gebauten Kulturerbes.


Speziell von den militärischen Kampfhandlungen in Syrien seit 2011 und ihren verheerenden Auswirkungen war al-Bara früh und unmittelbar betroffen. In der Folge kam es zu Vandalismus und illegalen Grabungen. Vertriebene Familien besiedelten die Ruinen von Häusern und Gräbern auf der Suche nach einer Bleibe. Hinzu kamen verstärkte private Wohnbauaktivitäten wie auch der Bau von Militärunterkünften. Die Planierung des Ruinengeländes der al-Husn-Kirche zur Erweiterung einer Olivenpflanzung bildete einen besonders schwerwiegenden Eingriff (Abb. 15). Verschiedentlich sind Bestandsaufnahmen der entstandenen Schäden und erste Restaurierungen der historischen Bausubstanz erfolgt.

Beitragsbild: Blick über die spätantiken Ruinen eines Wohnhauses auf die moderne Kleinstadt al-Bara (2009) | Mazhar Ranne (CC-BY-NC-ND)
Autorenschaft von Eva Nmeir: Kunsthistorikerin mit besonderem Bezug zu Syrien. Sie bearbeitete für das Syrian Heritage Archive Project und seine Co-Projekte unter anderem die Weltkulturerbestätten „Altstadt von Aleppo“ und „Antike Dörfer in Nordsyrien“.