von Rasha Arous

An der Getreidemühle findet mich

Leute, bitte gebt mir nicht die Schuld!

Ich gehe ein Glas trinken

Selbst wenn sie sagen, ich sei verrückt“

مشهد لمنحدرات الجبال الساحلية والسهول شرق مدينة مصياف
Blick auf die Abhänge des syrischen Küstengebirges und auf die östlich von Masyaf gelegene Ebene | Stefan Heidemann (CC-BY-NC-ND)

Dies ist der Schriftzug, mit dem das Restaurant at-Tahuna (die „Getreidemühle“) im Dorf al-Bayda in der Nähe von Masyaf für sich wirbt. Das Restaurant grenzte in seiner Gründungszeit an die alte Mühle für Weizenschrot, (arab.) Burghul, die an der Brücke über dem Dorffluss lag. Bergwasserquellen speisten den Lauf dieses Flusses.

Das Restaurant behielt seinen alten Namen, selbst als es vor Jahrzehnten an den heutigen Standort umgezogen war. Die angrenzende Kreuzung wurde nach ihm „Getreidemühlen-Kreuzung“ genannt. Diese Kreuzung ist keine gewöhnliche Wegkreuzung; sie ist der Ort, an dem die ansteigende Straße aus Homs und den benachbarten Dörfern des Flachlands aufhört, um in die Strecke, die in Richtung des Ortseingangs von Masyaf führt, einzumünden. An diesem Haltepunkt zwischen den Ebenen, die man verlässt, und vor den ersten Ausläufern der hohen Berge, die man zu erreichen sucht, zeichnet sich das Gelände durch eine deutliche Höhenveränderung aus. Und so scheint es, als ob an dieser Stelle die Straße für einen Moment stehen bleiben will, um einen Seufzer vom Tragen der Bergketten und Wolken zu tun, die bereit sind, hinter sie zu fallen.

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Hinweisschilder auf das in Al-Bayda ehemals vorhandene Restaurant „Kornmühle“ | Rasha Arous
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Die Brückenbögen unter denen früher das Wasser aus der Mühle abfloss | Rasha Arous

Ähnliche Mühlen wie die von al-Bayda haben sich in anderen Dörfern der Gegend und in Masyaf selbst befunden. Sie wurden von den entlang der Berghänge hinab fließenden Wasserläufen betrieben, deren Antriebskraft nach der regenreichen Jahreszeit ausreichte, um die Räder, Mühlsteine und Märchen zu drehen. Bei den Einheimischen sind diese Getreidemühlen bestens bekannt unter den Namen der Quellwasserläufe, die sie antreiben. Heute mahlen sie mit ihrer Stille gemahlene Worte vergangener Zeiten. Sie erscheinen als Zeichen in der Werbung an nahe gelegenen Restaurants und Wegkreuzungen, und wenn etwas von ihnen übrig ist, segnen sie mit ihrer baufälligen Architektur die Flüsse und Felder, die sich um sie herum ausbreiten.

Diese Getreidemühlen haben sich von lebenswichtigen wirtschaftlichen Einrichtungen in archäologische Überreste verwandelt. Deren Wert wird von Menschen, die Errungenschaften schätzen und von den Nostalgikern so ganz anders eingeschätzt als von den ortsansässigen Unternehmenspionieren und denjenigen, die Fortschritt und ‚Modernität‘ für sich beanspruchen. Die Mühlen hinterlassen ein menschliches Erbe und Weisheiten wohnen ihnen inne. Das beliebte Sprichwort drückt es so aus: „Herbeigeschafftes Wasser bringt die Mühlräder nicht zum Laufen.“ Der Betrieb einer Mühle erfordert Fließen und Überfluss, was durch schlichtes Zuführen nicht erreicht werden kann. Genauso wie jede schöpferische Arbeit und jeder Fortschritt Fülle vor Ort erfordert, und nicht einen unzulänglichen Import.

An der Getreidemühle findet mich
Blick von der Burg in Masyaf auf die Stadt | Stefan Heidemann (CC-BY-NC-ND)

Im Haus meines Großvaters im östlichen Stadtviertel von Masyaf hörten wir Kinder in dem äußeren Zimmer, in dem meine Großmutter uns während der Ferien zum Schlafen beherbergte, häufig fanfarenartige Töne. Die Quelle dieses Geräuschs war die Getreidemühle von Shubasi, die sich hinter der Schlafzimmerwand befand. In dieser dieselbetriebenen Getreidemühle ließen die Bewohner der Stadt und der umliegenden Dörfer jahrzehntelang mahlen, nachdem die alte Wassermühle nach und nach abgebaut worden war. Doch auch diese Dieselmühle wurde aufgegeben, sodass die modernsten Getreidemühlen den Wettlauf um die Weizenernte gewannen.

Das Geräusch der Shubasi-Getreidemühle war für mich montags und donnerstags, wenn die Maschine lief, wie eine hypnotisierende Musik. Meine Großmutter sagt, dass sie früher die Getreidemühle während jenes Zeitraums, in dem die großen jaʿila-Kessel mit dem kochenden Weizen (sliqa) die offenen Feuerstellen in den Straßen der Stadt belegten, sogar täglich zu hören bekommen hatte. So erhielt sie seinerzeit in der Herstellungssaison von Burghul am Ende des Sommers ihre tägliche Hypnosedosis. Bei diesem Geräusch zu schlafen lässt viele Träume entstehen, die dem Unterbewusstsein helfen, sich ein Paradies vorzustellen, in dem Hunger keine leeren Mägen hat. 

Die Tante meiner Mutter lebte in ihrem alten Haus neben dem Haus meines Großvaters inmitten von Gebrauchsgegenständen der örtlichen Handwerksproduktion: Der Mühlstein im Hof wurde von Hand gedreht und der Weizen mit Hilfe dieser Mühle zu Burghul geschrotet. Der urghul wurde im ʿanbar gelagert (einem Aufbewahrungschrank aus Blech, zusammengesetzt aus den Resten eines ausgedienten Öltanks, mit je einer Öffnung für feinen und groben Burghul). Die kibba (wörtl. „Kugel“), ein Gericht aus Burghul-Teig zumeist in Form von Klößen, wurde in einem speziellen Steinbecken zerstoßen.

Was die Familienzusammenkünfte betrifft, so gewannen deren Geschichten Profil bei einem Teller Tomaten-Kibba (bestehend aus feinem Burghul, Tomaten, Butter, Petersilie, zerstoßen im Mörser), den man zusammen mit eingelegten und mit Knoblauch und Paprika gefüllten Auberginen isst. Diese Geschichten wurden von einer Prise Adrenalin umweht, da manche von Hyänen handeln. Ja, tatsächlich… denn die Hyänen sind Gefährtinnen der Gebirgswege und der Abenteuer. So spielten auch die Abenteuer meiner Urgroßmutter bei ihrem erzwungenen Weggang aus Juwita (einem schönen Dorf in der Nähe von Qadmus) und die Zerstreuung ihrer Familie zwischen Masyaf und as-Salamiyya bei jenen Treffen eine wichtige Rolle. Desgleichen die Gespräche, die sich um den Weltraum und die Möglichkeit der Existenz außerirdischer Lebewesen ebenso drehten wie um die Städte und Dörfer, die um den Geschmack des Essens und die ursprünglichen Werte, insbesondere die Großzügigkeit, wetteiferten. All diese Reden – angetrieben von den Rädern der Fantasie und dem Mahlstein der Sprache –, erreichen mich mit der Stimme eines alten schwarzen Radios, dessen abgenutzte Teile ein weißes, mehrmals verknotetes Gummiband zusammenhält.

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Der Blechvorratsschrank mit je einem Fach für feinen und für groben Burghul | Rasha Arous
طحن القمح المطبوخ وتحويله إلى برغل في قرية البتراء في منطقة المالكية
Schroten des gekochten Weizens zur Grütze-Herstellung (burghul) in Dorf al-Batra‘ in der Malikiyya-Region | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

„Der Reis hat den Ruhm, während der Burghul sich erhängt“, sagte eine Besucherin in einer dieser Versammlungen, angeregt vom Anblick des Burghuls, der zum Trocknen im Hof ausgebreitet lag. Sie dürfte die Augen vor Ärger darüber zusammengekniffen haben, noch zu der Generation von Frauen zu gehören, die sich in den Klauen mühseliger Hausarbeit gefangen fühlen und zu kämpfen haben.

Einige Frauen möchten sich von dieser Arbeit befreien, indem sie Urbanisierung fordern, die ein Merkmal der Entwicklung von Orten zwischen Land und Stadt ist. Sie tun dies, weil die Verstädterung andere Konsumgüter anbietet und dafür sorgt, dass sie durch die Bereitstellung fertiger Alternativen weniger Arbeitsaufwand haben. Ist dies nicht das Verständnis von urban?

تجفيف البرغل كاحتياطي لفصل الشتاء في قرية حبوبة كبيرة الواقعة في وادي الفرات
Trocknen der vorgekochten Weizengrütze (burghul) als Vorrat für den Winter in Habuba Kabira im Euphrat-Tal, | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)
تصنيع البرغل في يبرود في ستينيات القرن المنصرم
Herstellung von Burghul in Yabrud in den sechziger Jahren, | Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, collection Eugen Wirth (CC-BY-NC-SA)

Die Herstellung von Weizengrütze ist arbeitsintensiv und das Ausbreiten zum Trocknen ist der letzte Schritt eines Verfahrens, das ein Nahrungsmittel haltbar macht, damit es später im harten Winter gegen den Hunger helfen kann. Was nach diesen Mühen von den Liebhabern des Burghul und seiner vielen Zubereitungsarten verlangt wird, ist – Sättigung. Das Erscheinungsbild des ausgebreiteten Burghuls ist wie eine geometrische Dekoration, seine Menge steht im Verhältnis zu seiner Dicke (grober Burghul, feiner Burghul, al-Frayfira, Burghul-Mehl). Die Frayfira und das Burghul-Mehl (feiner als der feine Burghul) werden für zwei bestimmte Speisen verwendet: eine Art Salat namens Frayfira und das Burghul-Mehl, um die heimischen getrockneten Feigen, at-tin al-habbul, zu bedecken.

An den Tagen, wenn der Burghul getrocknet wird, beschäftigt die Menschen die Wetterlage – der Anblick von Regenwolken, die von Westen her hinter den Bergen heraufziehen, garantiert Aufruhr unter den Familienmitgliedern. Blitzschnell eilen sie herbei, um den draußen ausgebreiteten Burghul einzusammeln. Wenn Regen fällt und den Burghul befeuchtet, so verliert dieser seinen ursprünglichen Geschmack und seine Qualität! Dadurch werden die Knie ihre Schrauben verlieren, um der Kälte zu widerstehen. Denn Burghul ist ein lebenswichtiges Material, das unentbehrlich ist. ‚Knieschrauben‘? Fragen Sie nicht, wie…


ِAutorenschaft von Rasha Arous: Rasha Arous ist eine syrische Forscherin und Expertin in den Bereichen Stadtplanung, Vertreibung, Kultur und Entwicklung. Sie hat ein besonderes Interesse an lokalem Erbe und gelebten kulturellen Identitäten.

ِAutorenschaft von Syrian Heritage Archive Project

Gemeinschaftsprojekt zur Digitalisierung von Beständen des syrischen Kulturerbes aus Deutschland (Museum für Islamische Kunst in Berlin und Deutsches Archäologisches Institut) in der Zeit von 2013-2019

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