von Manfred Strauß

Brüderliche Hilfe durch die DDR – Schienenmodernisierung bei der syrischen Bahn
Auf einer Eisenbahnbrücke von Aleppo nach Latakia: Der Zug besteht aus einer sowjetischen Lokomotive und DDR-Waggons | Reinhard Dietrich, 2007 (CC-BY-SA)

Den meisten Syrern ist die syrische Staatsbahn (CFS) nur dem Namen nach bekannt. Wer reisen will, nimmt lieber den Bus, um schneller ans Ziel zu kommen. Dennoch besitzt die syrische Bahn gut ausgestattete, bequeme Personen- und Schlafwaggons. Auf einem ausgedehnten Schienennetz rollten (bis 2011/12) Personen- und Güterzüge quer durch das Land. Damit die Züge durchgehend problemlos fahren können, muss das Schienennetz regelmäßig instand gehalten werden. In den späten 1970er Jahren war ein gewisser Modernisierungsstau aufgelaufen und Syrien bat die damalige DDR um technische Unterstützung. 1980 wurde zwischen der Staatsbahn Syriens und dem Ministerium für Außenhandel der DDR  ein Staatsvertrag geschlossen, bei dem es um Stellwerksanlagen, Schieneninstandhaltung und allgemeine technische Modernisierung ging.

Bahnstreckenentwicklung in Syrien
Von der historischen Bagdadbahn, die ab 1903 gebaut wurde, liegen nur kurze Abschnitte in Syrien: im Westen der 1912 fertig gestellte Abzweig nach Aleppo, und im Osten ein kurzes Teilstück zwischen Qamishli an der türkischen und Al-Ya’rubiyya an der irakischen Grenze.
Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden die beiden Bahnstrecken Damaskus – Mzayrib und Damaskus – Beirut als Schmalspurbahnen gebaut. Wohl um den Anschluss an diese Strecken zu gewährleisten begann das Osmanische Reich im Jahr 1900 mit dem Bau der Hijaz-Bahn, um Pilger von Damaskus zu den heiligen Stätten zu bringen und baute sie mit schmaler Spurweite. Zu dessen Schienennetz gehörte auch ein Abzweig zum Mittelmeerhafen Haifa, der Anschluss an die bestehende Bahnstrecke Hama – Beirut und später der Abzweig Dar’a – Bosra.
Die unterschiedlichen Spurweiten erschwerten die Entwicklung eines syrischen Eisenbahnnetzes. Die 1956 gegründete syrische Staatsbahn “Chemins de fer Syriens“ (CFS) begann ein normalbreites Schienennetz für das gesamte Land aufzubauen. Als wichtigste Verbindungen wurden ab 1969 gebaut: von Aleppo zum Hafen Latakia und im Osten nach Raqqa, mit Fortsetzungen nach Dayr az-Zawr und Qamishli, um sie mit den Schienen der Bagdadbahn zu verbinden. Die 1983-85 gebaute Strecke von Damaskus nach Aleppo war bis 2011/12 die meistbefahrene Route. Vor Juli 2012 bestanden internationale Verbindungen in die Türkei und nach Jordanien.
Größere wirtschaftliche Bedeutung als der Personenverkehr hat der syrische Güterverkehr.

Brüderliche Hilfe durch die DDR – Schienenmodernisierung bei der syrischen Bahn
Diese Karte zeigt, in welchen Jahren die jeweilige Streckenmodernisierung erfolgte | http://www.syrische-eisenbahn.de/SyrianRailways/Pictures/CFS-Map-Zukunft-Deutsch.jpg

Im Rahmen dieses internationalen Vertrages arbeitete ich von 1980 bis 1984 in Homs, wo wir auch als Familie lebten. Die Bahnanlagen von Homs sind ein wichtiges Drehkreuz der Nordsüd- als auch Ostwest-Bahntrassen, wobei letztere insbesondere den Güterverkehr zwischen dem Landesinneren und den Häfen Tartus und Latakia betreffen. Im Folgenden werde ich über meine Arbeit berichten, die ich im Auftrag meines Betriebes, des Werks für Signal- und Sicherungstechnik (WSSB in Berlin-Ost), durchführte.

Wir waren für 48 Relaisstellwerke im automatischen Bahnbetrieb, 25 vollautomatische Schrankenanlagen, Verlegung von Signal- und Fernmeldekabeln, sowie eine automatische Telefonzentrale im Stellwerk Homs II zuständig. Der Baustab, dem wir zugeteilt waren, befand sich in der Stadt Homs, wo sich alle Aktivitäten der Verwaltung, Koordinierung und Einstellung der Arbeitskräfte usw. bündelten. Unsere praktischen Arbeiten fanden vor allem auf dem Materiallagergelände samt Fuhrpark in der Nähe des Stellwerks Homs II statt. Es lag bei dem Dorf Baba Amr und verfügte auch über ein Anschlussgleis zum unweit liegenden Güterbahnhof Homs II.

Hier war ich als Lager- und Fuhrparkleiter tätig und gleichzeitig verantwortlich für die Werkstatt und die einheimischen Arbeitskräfte wie Maler, Kraftfahrer und Lagerarbeiter.

Homs railway depot, place for pre-assembly
Vormontage von Streckensignalen russischer Bauart | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)

Alle Vorarbeiten wie Signale streichen, Batterien vorladen oder Ähnliches wurden auf dem Gelände des Lagers durchgeführt. Da die vorhandenen Streckensignale russischer Bauart waren, mussten wir deren Ersatzteile importieren und auf dem Lagervorplatz vormontieren. Alle Betonfundamente für Signale und Schrankenantriebe wurden in Baba Amr hergestellt und auf die Baustelle geliefert, wodurch der vertraglich vereinbarte Anteil von einheimischer Wertschöpfung gewährleistet  wurde.

Gewohnt haben wir in staatlichen Mietwohnungen oder bei privaten Vermietern. Die Wohnungseinrichtungen wurden von unserem Heimatbetrieb WSSB gestellt, so dass jeder Kollege die gleichen Möbel erhielt. Transportiert in 20-Fuß Containern befand sich darin vom kleinen Löffel bis zur Schrankwand alles, was wir vor Ort evtl. benötigen könnten.

Unser Fuhrpark umfasste 6 PKW, ca. 30 Jeeps, einen Kleinbus, einen Messwagen für Kabelverlegung, einen Autodrehkran, einen LKW, einen Tieflader und einen Gleiskraftwagen (SKL).

Vehicles in our fleet
Fahrzeuge unseres Fuhrparks | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)

Der Blitzeinschlag

Wir hatten zwar ein Anschlussgleis, welches aber so gut wie nicht genutzt wurde, da alle Materialien über die Häfen Tartus und Latakia mit anschließendem LKW-Transport zu uns gebracht wurden.

Während der normale Alltag geregelt ablief, erinnere ich mich an eine außergewöhnlich gefährliche Situation, als eine Lieferung von Kabeltrommeln aus dem Hafen von Tartus am Nachmittag des 24.12.1981 im Lagergelände in Homs eintraf. Normalerweise war vereinbart, Lieferungen ein bis zwei Tage vorher anzukündigen. Diesmal war es anders und zudem musste der Tieflader mit 24 Trommeln sofort entladen werden! Ich suchte mir einen freiwilligen Helfer, der die Kabeltrommeln hebefähig machen musste. Ein anderer musste den Autodrehkran bedienen – das war ich.

Homs, railway depot
Kabeltrommeln und Container auf dem Lagergelände | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)

Plötzlich zog ein Gewitter auf. Wir hatten gerade mal drei Trommeln entladen und die vierte hing am Haken – da schlug ein Blitz in die Kranspitze ein. Der Schreck war gewaltig, aber niemandem war etwas geschehen. Nach kurzer Pause konnten wir den LKW weiter entladen und am Abend wohlbehalten zuhause das Weihnachtsfest feiern.

Eisenbahner-Alltag

Vertraglich waren sieben Streckenabschnitte vereinbart: Sektion I   Homs – Mhin, Sektion II Mhin – Al Sharkia, Sektion III Homs – Tall Kalakh, Sektion IV Tall Kalakh – Tartus, Sektion V Homs – Hama, Sektion VI Hama – Aleppo, Sektion VII Mhin – Damaskus.

Wir begannen in den Sektionen als Erstes mit der Kabelverlegung. Es wurden ca. 650 km Streckenkabel in verschiedene Untergründe eingebracht. Teilweise durch felsigem oder sandigem Untergrund oder durch Bäche mussten die Kabel verlegt werden, um die Kommunikation mit den verschiedenen Stellwerken zu gewährleisten. Diese Arbeiten wurden von einheimischen Subunternehmen erledigt, ebenso die Verkabelung eines Bahnhofes und der Schrankenanlagen.

Im nächsten Schritt stellten wir die Außenanlagen fertig: Montage von Gleisanschlusskästen, Anbau von Weichenantrieben, Setzen von Fundamenten, Aufstellen von Signalen sowie Fertigstellung der vollautomatischen Schrankenanlagen.

Das Schienennetz Syriens ist bis heute weitgehend eingleisig, was bedeutet, dass sich entgegenkommende Züge immer nur an Bahnhöfen oder an Ausweichstellen aneinander vorbeifahren können. Daher ist eine Koordination zwischen Stellwerken und Zugführern enorm wichtig. Die Arbeiten mit dem Arbeitszug waren in besonderer Weise auf rechtzeitige telefonische Absprachen angewiesen. Dennoch passierte es, dass der Fahrdienstleiter im Bahnhof Homs einen Güterzug in Richtung Shanshar losschickte und wir gleichzeitig mit unserem Arbeitszug, d.h. mit Kran und Signalen, von Shanshar in Richtung Homs unterwegs waren. Nur durch das umsichtige Handeln beider Zugführer konnte eine Kollision verhindert werden!!! Man hatte schlicht vergessen anzurufen!

Assembly of a siding box by Syrian workers at the railway track Homs - Hama
Montage eines Gleisanschlusskastens durch syrische Fachkräfte | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)

Brüderliche Hilfe durch die DDR – Schienenmodernisierung bei der syrischen Bahn
Eingleisen des Gleiskraftwagens (SKL) mithilfe eines  Kran-LKWs auf einem Waggon  | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND
At the station of Shanshar
Am Bahnhof in  Shanshar | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)

Schwierigkeiten bereiteten uns gelegentlich die Lokführer, die es nicht gewohnt waren, am roten Signal zu warten und dadurch oftmals einen mechanischen Schaden an der Gleisweiche verursachten.

Nach Fertigstellung jeder Sektion wurde eine kleine Feier mit allen beteiligten Deutschen und Syrern ausgerichtet – denn wer zusammen arbeitet, kann auch zusammen feiern. Die Zusammenarbeit mit den syrischen Kollegen war ausgesprochen gut und sehr freundschaftlich. Einige Wenige hatten eine elektrotechnische Ausbildung, die natürlich von Vorteil war, sodass sie teilweise sehr selbständig arbeiten konnten.

Zu meinen Tätigkeiten gehörte es, syrische Kollegen in unserer Werkstatt und bei der Montage anzuleiten. Der Wissensdurst der Syrer war enorm, auf jede Frage gab es ausführliche Diskussionen, die dazu beitrugen, dass sich Kenntnisse verfestigten und sie sich weiter qualifizierten und Arbeiten selbständig ausführten. Wir lernten voneinander, die syrischen Mitarbeiter eigneten sich Wissen über deutsche Eisenbahntechniken an und benutzten deutsche Worte, ich erfuhr mehr von den Gepflogenheiten, der Kultur und Sprache meiner syrischen Kollegen.

Sehr gute Kontakte hatten wir auch zu Werkstätten im Industriegebiet von Homs. Dort wurden unsere Fahrzeuge wenn nötig repariert.

Eines Tages musste ich mit meinem Dienstwagen zur Peugeot-Werkstatt, um Spurstangenköpfe auswechseln zu lassen. Abdul, der Chef der Werkstatt, meinte, wir müssten noch eine Probefahrt machen und so verließen wir das Industriegebiet in Richtung Hama. Bei ca. 100 Stundenkilometer löste er das Lenkrad, hob es ab und stellte es neu ein ! Bange Sekunden vergingen, aber es ging alles gut.

Neben unserer Arbeit gab es auch die Möglichkeit das Land zu bereisen, wovon wir regen Gebrauch machten. Da die Hafenstadt Tartus nicht weit von Homs entfernt war, konnten wir an manchem Freitag, dem arbeitsfreien Tag, ein Bad im Mittelmeer genießen.

Im August 1984 beendete ich meinen Auslandseinsatz und flog mit meiner Frau und unserer Tochter, die inzwischen 5 Jahre alt war, zurück in die Heimat. Es war ein sehr schwerer Abschied, da wir in Syrien vier glückliche Jahre verlebt und liebe Freunde gewonnen hatten.

Railway Depot Homs: Farewell photo with colleagues
Abschiedsfoto mit den syrischen Kollegen | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)
Busra, historical locomotive at Hijaz train station
Familie Strauß am heute nur noch selten genutzten Bahnhof Busra, um eine historische Dampflok zu bestaunen | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)

Auf Besuch in Syrien

Im Jahr 2000 haben wir uns mit Freunden und ehemaligen Arbeitskollegen auf den Weg gemacht und eine private Reise von Aleppo über Idlib, Latakia, Tartus, Hama, Homs, Palmyra, Maalula, Damaskus und Bosra unternommen. Natürlich mit einem längerem Stopp an unserem alten Arbeitsplatz in Homs.

Railway Depot Homs, visit from former colleagues
Bahnbetriebswerk Homs, beim Besuch der ehemaligen Kollegen | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)

Hier wurden wir aufs Herzlichste begrüßt und mit einem Tee willkommen geheißen.

Unser ehemaliger Kraftfahrer Fawwas war mittlerweile der Lagerleiter und verwaltete alle Materialien.

Mithilfe unserer alten Fotos konnten wir unsere ehemaligen Vermieter ausfindig machen. Viele neue Gebäude waren errichtet worden und Homs hatte sich zum Positiven verändert. Bei der Vermieterfamilie war die Wiedersehensfreude ebenfalls groß. Sie wollten mit uns gleich nach Tartus in ihren Bungalow fahren, aber leider mussten wir ablehnen, denn am Abend ging es weiter nach Marmarita.

Brüderliche Hilfe durch die DDR – Schienenmodernisierung bei der syrischen Bahn
Ein moderner und komfortabler syrischer Personenzug im Jahr 2009  | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

Titelbild: Beim Eingleisen eines Gleiskraftwagens (im Foto links) mithilfe eines Kran-LKWs auf einem Waggon war auch Körperkraft nötig | Manfred Strauß (CC-BY-NC-ND)


Autorenschaft von Manfred Strauß: Manfred Strauß lebte von 1980 bis 1984 zusammen mit seiner Familie in Homs, um zur Modernisierung des syrischen Eisenbahnsystems beizutragen. Diese vier Jahre in Syrien haben seine Sicht auf die Welt positiv beeinflusst.

ِAutorenschaft von Hiba Bizreh

Archäologin aus Syrien. Arbeitete am Syrian Heritage Archive Project in der Zeit von 2018-2019

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