1. Die Kunst der syrischen Textilherstellung
  2. Ein Filzteppich von al-Bab
  3. Die Fäden des Lebens: Syrische Textilornamente
  4. Verborgene Persönlichkeiten: Die Frauen aus Duma
  5. Die Farbe, die ewig währt: Textildruck in Syrien
  6. Von Tieren und Pflanzen: Rohmaterialien für Textilien
  7. Ein Blick in die Welt des syrischen Seidenbaus
  8. Einblicke in das jahrhundertealte Seidenhandwerk Syriens
  9. Was bleibt von der Seidenstraße?
  10. Menschen der Wüste: Die Kleidung der Beduinen
  11. Teppiche aus Raqqa: Eine Erinnerung
  12. Traditionelle Textilherstellung: eine gefährdete Tradition
  13. Unvergessen: Der Duft der Erinnerung

von Estibaliz Sienra Iracheta

Die Kunst der Textilherstellung ist eine der ältesten Tätigkeiten der Menschheit und lässt sich bis zu den Anfängen der Sesshaftigkeit und dem Aufkommen der Landwirtschaft zurückverfolgen. Schon damals diente Sie dazu, den Körper zu bedecken und vor extremen Klimabedingungen zu schützen und um Gegenstände zu transportieren und aufzubewahren. Der Prozess der Textilherstellung umfasst verschiedene Techniken, Werkzeuge und Schritte und stellt eine der größten technischen Errungenschaften der Menschheit dar.

Das Weben wird in Syrien als Kunst betrachtet und wird nur noch von einigen wenigen Gruppen ausgeübt: von Beduinen in den Wüsten, von Menschen, die auf dem Land leben, und von Webern, die in Familienwerkstätten organisiert und in den großen Städten ansässig sind. Im Laufe der Geschichte entwickelten unterschiedliche Gruppen verschiedene Technologien, Webtechniken und Webarten und nutzten eine Vielzahl an Werkzeugen und Webstühlen, um Textilien mit verschiedenen Eigenschaften und Designs herzustellen, weshalb sich die Stoffe von Region zu Region unterschieden.

Spinnen und Weben

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Eine Frau, die mit einer hängenden Spindel spinnt, © Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

Die Herstellung von Textilien beginnt mit der Gewinnung von Fasern oder Filamenten und deren Verarbeitung zu Fäden und Garnen. Dies geschieht mithilfe eines manuellen Prozesses, der Spinnen genannt wird. Dieser kann per Hand, durch das Verdrehen der Fasern zu einem Strang, durch den Einsatz einer Spindel, die die Fasern zu einem Endlosfaden verzieht und verdreht, oder mithilfe eines Spinnrades, einer mechanischen Vorrichtung, durchgeführt werden.

Die einzelnen Phasen des Webens sind äußerst aufwändig. Begonnen wird mit einem vorbereitenden Arbeitsgang, welcher Schären genannt wird. Hierbei werden die Fäden gezählt und so angeordnet, dass sie sich überkreuzen.  Dieser Arbeitsgang wird von einem al-musaddi ausgeführt, einer Person, die für das Anordnen und für die Herstellung von Kettfäden verantwortlich ist. Der Aufbau des Webstuhls erfolgt durch einen Einfädler, den al-mulqi, der jeden einzelnen Faden in die Litzen und Schäfte einfädelt. Sobald die Fäden auf dem Webstuhl eingefädelt sind, konnte der Weber, an-nawwal, an-nassaj oder al-ha’ik genannt, mit der Arbeit beginnen. Die traditionelle Herstellung eines Gewebes kann von ein paar Tagen, bis hin zu Monaten dauern.

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Ein Gewichtwebstuhl, © Estibaliz Sienra Iracheta (CC-BY-NC-ND)
Die Kunst der syrischen Textilherstellung

Ein Webbrettchen, © Estibaliz Sienra Iracheta (CC-BY-NC-ND)

Die einfachste Art von Webstuhl, die in Syrien on traditionellen Webern verwendet wird, ist das Webbrettchen, oder Shapar, welches zur Herstellung von schmalen Textilien wie Bändern, Gürteln und Riemen von Nomaden, Nomadenfrauen und einigen professionellen Webern in den Städten eingesetzt wird. Das Weben von größeren Textilien erfordert jedoch den Einsatz größerer und komplexerer Webstühle, wie zum Beispiel des Gewichtwebstuhl, auch nul genannt. Es wird angenommen, dass dieser Handwebstuhl erstmals Mitte des 3. Jahrhunderts in Syrien genutzt wurde (Wild, 1987, S. 22). Aufgrund seiner leichten und transportablen Bauart wird der nul normalerweise von Nomadengruppen genutzt, um Kelims oder Wandteppiche herzustellen.

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Ein syrischer Textilhersteller in Hama, der mit einem Grubenwebstuhl webt, © Prof. Dr. Stefan Weber

Andere gängige Webstühle funktionieren durch das Verschieben von mechanisch beweglichen Teilen. Hierzu gehört der Trittwebstuhl, dessen Webmechanismus durch das Betätigen von Pedalen mit den Füßen aktiviert wird; der Grubenwebstuhl, der komfortabel in einer dafür ausgehobenen Grube positioniert wird, um die Feuchtigkeit der Baumwoll- oder Wollfäden zu erhalten; und der Schaftwebstuhl, der das Weben komplizierterer Muster und Designs z. B. mithilfe der „Ikat“-Webtechnik, ermöglicht. Der Zugwebstuhl ermöglicht die Schaffung einer Vielzahl von Kombinationen und wird daher häufig für das Weben komplexer Bilder, Motive und Texturen, wie Damaste und Brokate, eingesetzt. In den meisten Werkstätten hat der elektrisch betriebene und computergesteuerte Jacquardwebstuhl die Handwebstühle ersetzt und so den Prozess für die Herstellung von industriellen Mengen automatisiert.

Weben von Kelims und Wandteppichen

Eine der beliebtesten Webarten in Syrien und anderen Teilen der arabischen Welt ist der Kelim, eine Tapisserietechnik, mit der eine Reihe verschiedener Objekte wie Vorleger, Teppiche, Kleidungsstücke und Taschen hergestellt werden. Hierbei entsteht ein robuster und widerstandsfähiger Stoff, welcher in der Regel aus Wollfäden besteht. Es gibt viele Variationen der Tapisserietechniken:

Ein Kelim ist eine Leinwandbindung, bei der der Schussfaden dicht und fest nach unten geschoben wird, um die Kettfäden im Gewebe vollständig zu verdecken. Durch den Einsatz verschiedener Farben und Techniken können verschiedene Formen, Designs und Texturen geschaffen werden.

Schlitzgewebe (slitweave): werden verwendet, um geometrische und diagonale Muster auf Kelimgeweben zu erzeugen, bei denen die Schussfäden durch Farbblöcke und durch einen Schlitz getrennt sind.

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Tapisserietechniken, © Estibaliz Sienra Iracheta (CC-BY-NC-ND)

Gemeinsame Kette (shared warp): Verzahnung der Schussfäden anstelle von offenen Schlitzen. Dies geschieht üblicherweise durch die Verwendung blockweise verschiedenfarbiger Schussfäden, wodurch die Motive leicht verschwommen wirken.

Cicim: ein Verfahren, bei dem zusätzliche farbige Garne in Kette und Schuss eingeflochten werden, was den Mustern einen erhabenen oder abgesenkten Effekt verleiht. Dieses Verfahren wird in der Regel eingesetzt, um kleine ornamentale Motive zu schaffen, die auf dem Gewebe verteilt oder in Gruppen angeordnet werden.

Zili: eine Art Flottierung, bei der zusätzliche Schussfäden um die Kettfäden gewickelt werden, um parallele Strukturen zu schaffen.

Sumak:  das Umwickeln von Kettfäden in mathematischen Mustern, um freie Reliefs auf der Oberfläche der Gewebe zu schaffen, welche dann erhaben erscheinen. Diese Technik gilt als die komplizierteste. Sie erlaubt die Umsetzung einer großen Bandbreite an Motiven.

Gewebe und Stoffe

Besondere Berühmtheit für die Webtradition erlangte die Stadt Damaskus, welche dem allgemein bekannten Damaststoff seinen Namen verlieh. Sogar die Königin von England erbat als Geschenk von Syrien für ihre Krönung einen Seidendamast. Damaste sind zweiseitig gemusterte Stoffe, die traditionell aus Seiden- und Metallfäden gewebt werden, wodurch sie ihren charakteristischen Glanzeffekt erhalten. Heute werden die meisten Damaste mit künstlichen Fäden auf Jacquardwebstühlen hergestellt, da Baumwolle und Lurex günstiger und einfacher zu beschaffen sind. Die Herstellung von Damasten stellt einen wichtigen Industriezweig dar, welcher vom Polstermöbelmarkt in Syrien und der Welt gestützt wird.

Auch das Weben von Brokaten ist in Syrien sehr beliebt. Die Webart fand ihren Ursprung in China und verbreitete sich später im gesamten Nahen Osten, wo sie perfektioniert wurde. Brokate sind gewebte Motive oder Relief-Muster, die nur auf einer Seite des Stoffes sichtbar sind. Die Stadt Homs war besonders bekannt für die Produktion von Lancégewebe. Dieses wurde zur Herstellung und Verzierung von traditionellen Seidenschals genutzt, wobei zusätzliche Metall-Schussfäden in der Breite des Gewebes verwendet wurden, um kurze, auf dem Muster schwebende Streifen oder viereckige geometrische Figuren zu schaffen.

Filz-Wandteppiche, im Arabischen auch als lubbad/lubabib bekannt, werden auch in der kleinen Stadt al-Bab hergestellt. Im Gegensatz zu Geweben besteht das Verfahren zur Herstellung von Filz darin, Wollfasern mit Hilfe einer Maschine zu verfilzen und zusammenzupressen. Motive aus gefärbter Wolle werden auf eine ungefärbte Matte gelegt, um einen Wollfilz herzustellen. Diese Matte wird dann aufgerollt und in eine Maschine gelegt die die Wollfasern zusammenpresst und so einen Wandteppich schafft. Annegret Hafner dokumentierte die Herstellung von Filzwandteppichen in Ihrem Tagebuch bei ihrem Besuch in Aleppo.

Videos von syrischen Webern und ihren unterschiedlichen Webstühlen

Weben mit einem Zugwebstuhl (Filmmaterial aus Hama)

© Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, Sammlung Stefan Weber (CC-BY-NC-SA)

Weben mit einem Grubenwebstuhl (Filmmaterial aus Hama)

© Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, Sammlung Stefan Weber (CC-BY-NC-SA)

Weben mit einem Schaftwebstuhl (Filmmaterial aus Aleppo)

© Mohamad Fllaha


Estibaliz Sienra Iracheta ist Doktorandin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus im Bereich World Heritage. Als Expertin für traditionelle Textilherstellung setzt sie sich für die Förderung traditioneller Textilhandwerke ein. Estibaliz arbeitete zuvor in der Ruth D. Lechuga-Volkskunstsammlung des Franz Mayer Museums und als Lehrerin für Textilrestaurierung an der National School for Conservation, Restoration and Museography of the National Institute of Anthropology and History in Mexiko.

ِAutorenschaft von Syrian Heritage Archive Project

Gemeinschaftsprojekt zur Digitalisierung von Beständen des syrischen Kulturerbes aus Deutschland (Museum für Islamische Kunst in Berlin und Deutsches Archäologisches Institut) in der Zeit von 2013-2019

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