von Kahttan Alsharki

Hajar al-Abyad, Vater des Autors im Gespräch, im Hintergrund Blick zum Küchenbereich
Vater des Autors im Gespräch, im Hintergrund der Küchenbereich des Eineinhalb-Bahnen-Hauses in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)

An den flachen Hängen des Euphrat-Tals östlich von Manbij befindet sich im Dorf Hajar al-Abyad das traditionelle Haus meines Großvaters, in dem er mit seiner Familie lebte. Die Geschichte des Hauses geht auf das Jahr 1907 zurück, als zwölf armenische Einwanderer in unser Dorf kamen. Diese Migranten, Frauen, Männer und Kinder, wurden von meinem Großvater für mehr als zwei Monate in sein bescheidenes Haus eingeladen. Er schützte sie vor Anfeindungen und versorgte sie mit allem Lebensnotwendigen wie Essen, Trinken und einer Unterkunft. 

Da großzügige Menschen Dankbarkeit mit Dankbarkeit erwidern, bauten vier Armenier ein neues Haus für meinen Großvater. Der Grundriss, der für das neue Haus gewählt wurde, war ein für die ländliche Region des nordsyrischen Euphrat-Tals üblicher Typ, der als „eineinhalb Bahnen“ (fjjje u nus, hocharab. fijja wa nusf) bezeichnet wird. Es handelt sich um ein geräumiges Einraumhaus, in dem der Sitzbereich etwas abgeteilt ist, um dort männliche Gäste empfangen zu können. Im Alltag okkupiert die Familie die gesamte Hausfläche. Die Raumteile sind nur durch Zungenmauern getrennt, das Haus verfügt über keine Innentüren. Der vordere, größere Hausteil (die ganze Bahn) besteht aus Sitz- und Gästebereich links und einem Küchenteil rechts des Eingangs, während im kleineren hinteren Hausteil (die halbe Bahn) aller Besitz der Familie gestapelt ist.

Meine Mutter bewohnt nun alleine das Haus, während früher unsere große Familie dort ihr Zuhause fand.

Eineinhalb Bahnen – Das Haus meines Großvaters im Euphrat-Tal
3 Häuser des Typs ‚Eineinhalb Bahnen‘, deren ‚halbe Bahn‘ jeweils zur Westseite liegt (am Rande des Euphrat-Tales) | Julia Gonnella (CC-BY-NC-ND)
Hajar al-Abyad, plan of fijje u nus-house
Grundriss des fijje u nus-Hauses in Hajar al-Abyad | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

Die Grundfläche eines fjjje u nus-Hauses beträgt zwischen 48 und 80 m² bei mindestens 3 m Raumhöhe und seine Geräumigkeit macht den Aufenthalt darin auch im Sommer erträglich. Wandstärken von 50 cm halten das Innere im Sommer kühl und im Winter warm. Die Mauern sind aus Lehmziegeln gebaut, die aus einer Mischung von Erde, Wasser und Stroh bestehen. Die Lehmziegel werden in der Sonne getrocknet, um ihnen die nötige Festigkeit zu verleihen. Das Dach liegt auf dem massiven waagrechten Querbalken (hayzan) auf, der auf einem Pfeiler und den beiden Zungenmauern ruht. Der hayzan muss stark genug sein, um die darauf aufliegenden, dünneren Rundhölzer und damit das Dach als Ganzes zu tragen. Mein Großvater erzählte uns, dass er das Bauholz aus der Stadt Harran in der Nähe von Urfa mitgebracht hatte.

Hajar al-Abyad, in the one and a half lane house the internal wall is used to hang a mirror and a wall bag
Im Eineinhalb-Bahnen-Haus wird die Wandzunge benutzt, um Spiegel und Wandtasche aufzuhängen in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)
Hajar al-Abyad: In the center of the "panel and a half"-house with pillar, beam and bedding piles
Im „Eineinhalb-Bahnen“-Haus mit hölzerner Stütze, Träger und Bettzeugstapeln in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)

Die Eingangstür des Hauses meines Großvaters war ein Meisterwerk. Die Armenier, die sie gebaut haben, verwendeten Eichenholz und Stahlnägel. Der Schließmechanismus war komplex. Leider ging diese Tür vor einigen Jahren verloren. Im fjjje u nus-Haus meines Großvaters befanden sich viele traditionelle volkstümliche Gegenstände, wie zum Beispiel eine Rababa, eine Art einfacher Geige. Trotz ihrer Beliebtheit seit alters her stirbt sie heute aus. Das Haus war mit Schwertern und alten traditionellen Teppichen dekoriert. Die Gebrauchsgegenstände für Essen und Trinken waren oft aus verzinntem Kupfer. Es hingen selbstgemachte Wandtaschen an den Wänden, die zur Aufnahme einfacher Haushaltsgegenstände wie Nähzeug, medizinische Geräte und anderer Dinge dienten.

Hajar al-Abyad, the self-woven carpet is laid out only for important celebrations
Der selbstgewebte Teppich wird nur zu wichtigen Feiern ausgelegt in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)
Hajar al-Abyad, kitchenware from the 2nd half of the 20th century
Küchengeschirr aus der 2.Hälfte des 20.Jahrhunderts in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)

Fijje u nus ist ein architektonischer Haustyp, der die Region im 20. Jahrhundert prägte, heute aber nicht mehr gebaut wird. Nur das Haus meines Großvaters und einige ähnliche in den Nachbardörfern existieren noch. Der fjjje u nus-Haustyp wurde etwa bis in die 1970er Jahre bei Neubauten verwendet. Während der Jahre seiner Verbreitung bauten viele Dorfbewohner ähnliche Häuser in verschiedenen Größen. Die meisten dieser Häuser wurden jedoch aufgegeben oder durch moderne Gebäude ersetzt. Die Kupferwaren sind verschwunden und durch moderne Gebrauchsgegenstände ersetzt worden. Von diesem Kulturerbe sind nur noch wenige Überreste und einige Fotos erhalten.

Als Bevollmächtigter der osmanischen Verwaltung verfügte Hamad al-Sharqi, der Großvater des Autors, über das offizielle Siegel für den Distrikt.
Als Bevollmächtigter (Imam) der osmanischen Verwaltung verfügte Hamad al-Sharqi, der Großvater des Autors, über das offizielle Siegel für den Distrikt | Kahttan Alshrki

Feature Image: Julia Gonnella (CC-BY-NC-ND)


ِAutorenschaft von Kahttan Al-Shrki: Kahttan Al-Shrki wurde in der Nähe von Manbij geboren und studierte Arabisch in Damaskus. Er lebt in der Südtürkei, wo er im humanitären Bereich, im Journalismus, in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Koordination lokaler syrischer und internationaler Organisationen arbeitet. Er schreibt auch über das syrische Erbe, womit er sich auf seinen Vater, Shaykh Abdul Jabbar al-Sharqi, bezieht, der ein bekannter Lokalhistoriker in der Region war.

ِAutorenschaft von Syrian Heritage Archive Project

Gemeinschaftsprojekt zur Digitalisierung von Beständen des syrischen Kulturerbes aus Deutschland (Museum für Islamische Kunst in Berlin und Deutsches Archäologisches Institut) in der Zeit von 2013-2019

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