von Rolf Brockschmidt
Elegant war sie, die historische Hängebrücke von Dayr az-Zawr, die den Euphrat im Osten Syriens überspannte, unweit der Stelle, wo der Khabur in den riesigen Strom mündet. Sie brachte etwas Weltläufigkeit in diese Provinzhauptstadt. Bei unserer zweiten archäologischen Geländebegehung für den Tübinger Atlas des Vorderen Orients schlugen wir 1977 unser Quartier auch in Dayr az-Zawr auf, um von dort aus flussaufwärts am Khabur antike Siedlungshügel (Tall) zu untersuchen.
Mich als Studenten interessierte auch das alltägliche Leben der Menschen in der Stadt, doch architektonisch hatte diese Provinzhauptstadt damals auf den ersten Blick nicht viel zu bieten. Die wenigen Minarette der Moscheen wirkten etwas fremdartig, sie waren dicker, gedrungener und an der Spitze runder als ihre vergleichbaren Brüder im Westen des Landes. Mag sein, dass die Architektur des Irak schon hier ihren Einfluss zeigte.
Die einzige Sehenswürdigkeit und damit Wahrzeichen dieser weit abgelegenen Stadt war eben diese Hängebrücke. 1927 wurde sie während der französischen Mandatszeit (1920-1946) erbaut. Lange war sie die einzige Brücke der Stadt über den Euphrat. Allerdings war die Brücke schon damals in den 70er Jahren nur noch Fußgängern vorbehalten, eine weitere moderne Autobrücke wurde flussabwärts von der syrischen Verwaltung errichtet. Über sie fuhren wir in Richtung Khabur, jenen Seitenfluss reich an Altertümern, der schon durch Max von Oppenheim bekannt geworden war. So ließ sich die Hängebrücke beim Verlassen der Stadt in Richtung Jazira linkerhand bewundern, wie sie sich unverwechselbar über den Euphrat spannte, eingerahmt von Bäumen, das letzte Grün vor der Steppe. Diese Hängebrücke mit ihren vier Pfeilern war eigentlich eine Schrägseilbrücke – die von den Pylonen herab gespannten Seile kreuzten sich jeweils in der Mitte und bildeten einen Knoten, der für diesen Brückentyp charakteristisch ist. Albert Gisclard (1844-1909) hatte dieses System erfunden und sich patentieren lassen; die Schrägseilbrücken wurden vom Lizenznehmer F. Arnodin und seinem Partner G. Leinekugel Le Cocq gebaut. Die Brücke von Dayr az-Zawr war die vorletzte ihrer Art überhaupt. 460 Meter ist sie lang, beziehungsweise war sie lang, denn – wie die Agenturen meldeten – wurde sie am 17.August 2013 während der Kämpfe um die Stadt gesprengt.
Zwei der Pylone stehen auf kleinen Inseln im träge dahinfließenden Euphrat, zwei weitere stehen in Ufernähe. Ohne die elegante Seilkonstruktion wirken sie wie verloren. Die jeweils drei durchbrochenen Bögen der einzelnen Pylone sind zum Teil zerstört. Fast sehen sie aus wie altertümliche Strommasten ohne Leitung, die jetzt – je nach Blickwinkel – aus dem Schilf herausragen. Ob sie jemals wieder aufgebaut wird – wer weiß.Wenn wir nach der Geländeerkundung abends aus der Jazira wieder zurückkamen und über die moderne Brücke fuhren, signalisierte uns rechter Hand die Hängebrücke: Ihr habt es bald geschafft und seid zu Hause. Es ist nur eine Brücke, mag man einwenden, aber sie war auch ein Kulturdenkmal des frühen 20. Jahrhunderts und ein Beispiel französischer Ingenieurskunst.
Featured image: Historische Schrägseilbrücke von Dayr az-Zawr, gesehen von der modernen Autobrücke aus | Jaber Al-Azmeh, 2007
Herzlicher Dank an
Michel Wagner/F, http://www.timbresponts.fr/articles_et_publications/les_ponts_gisclard2.htm, Brigitte Leinekugel le Cocq/F (Sammlung Didier Leinekugel Le Cocq), Fonds Arnodin Leinekugel Le Cocq, 46 S, Archives de Brive/F
Autorenschaft von Rolf Brockschmidt: Rolf Brockschmidt hat Germanistik, Niederlandistik und Geschichte in Berlin und Utrecht studiert und arbeitet seit 1982 als Redakteur und seit 2018 als Autor für den Tagesspiegel. Als Zeichner hat er 1974 an der Grabung in Kamid el Loz, Libanon, und 1977 an dem Survey des Tübinger Atlas des Vorderen Orients am Khabur, Syrien, teilgenommen.