1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

von Prof. Hassan Abbas

‎Historisch gesehen bezieht sich der Name „Syrien“ auf ein geografisches Gebiet, das sich vom Mittelmeer im Westen bis nach Mesopotamien im Osten und von Kleinasien im Norden bis nach Ägypten im Süden erstreckt. Diese außergewöhnliche geografische Lage hat über die Zeit hinweg viele Gruppen von Menschen angezogen, darunter Händler, die die Routen zwischen Europa und Asien auf der einen und Afrika auf der anderen Seite überquerten, sowie Armeen, die die Herrschaft ihres Staates bis zu diesem Treffpunkt dreier Kontinente ausweiten wollten. Menschen und Nationen sind dorthin gewandert, auf der Flucht vor Tyrannei und Unterdrückung an ihren Herkunftsorten.

‎Die Menschen, die in diese Region kamen, brachten ihren Glauben, ihre Sprachen, Traditionen, Geschichten, kulinarische Praktiken und Musik mit. Obwohl einige von ihnen viel Tragik und Zerstörung verursachten, wurden ihre Kulturen im Laufe der Zeit in das Gewebe der Kulturen der bisherigen Bewohner eingewoben. Diese lange Geschichte des Austauschs und der Vermischung vielfacher kultureller Ausdrucksformen brachte eine einzigartige Kultur hervor, die die Merkmale der Vielfalt und Heterogenität trägt. Diese Kultur hat sich kontinuierlich in endlosen neuen Formen neu erschaffen, die manchmal innerhalb bestimmter Gruppen eingeschlossen sind und sich manchmal zu benachbarten Kulturen öffnen.

Viele Kulturen hat Syrien gekannt und viele haben Syrien zu dem gemacht, was es heute ist. Einige sind einheimisch, andere wurden von Gästen mitgebracht, die in die Region kamen, sich dort niederließen oder ihre Spuren hinterließen. Einige dieser Kulturen sind verschwunden, einige haben sich in andere verwandelt. Andere haben ihre Spuren in den Wörtern und der Sprache hinterlassen, die verwendet werden; und in beliebten Feiertagen, die aus alten Zeiten stammen, aber in späteren Kulturen mit denselben Ritualen unter anderen Namen wiederkehrten. Sie finden sich in Gerichten, deren unterschiedliche Ursprünge vergessen sind, die aber auf demselben syrischen Esstisch zu finden sind, zusammen mit den verschiedenen Arten von Musik, Gesang und Tanz, die noch weitgehend die Merkmale der Kulturen bewahren, die einst hier lebten, aber nicht mehr präsent sind.

Diese unglaubliche kulturelle Vielfalt ist das Hauptmerkmal des Kulturmosaik Syriens. Deutlich und unnachahmlich kann sie in den verschiedenen Arten von Musik, die in Syrien bekannt sind, wiedergefunden werden.

Musikalische Diversität in Syrien
Statue of Ornina (Mari) – © Nationalmuseum of Damascus

Die erste Partitur der Geschichte

Archäologische Ausgrabungen an der syrischen Küste haben menschliche Überreste von vor einer Million Jahren freigelegt. Untersuchungen in verschiedenen Regionen der syrischen Wüste und Flusstälern haben eine kontinuierliche menschliche Präsenz über verschiedene geologische Epochen hinweg offenbart.

Ab der Mitte des vierten Jahrtausends v. Chr. drangen große Zivilisationen nacheinander in syrisches Gebiet ein. Lokale und internationale archäologische Expeditionen haben Stätten freigelegt, die von der Bedeutung dieser Zivilisationen zeugen. Einige dieser Stätten haben archäologische Objekte freigelegt, die eine wichtige Rolle in der menschlichen Kultur und Entwicklung gespielt haben, einschließlich der Entwicklung der Musik, wie Mari, Ebla und Ugarit.

‎Mari, das auf das dritte Jahrtausend v. Chr. zurückgeht, ist die älteste dieser Stadtstaaten, wenngleich Ebla und Ugarit Spuren älterer Besiedlungen vorweisen können. Ausgrabungen haben in Mari eine ganze Stadt freigelegt, mit Tempeln, Häusern, einem Königspalast und Bibliotheken mit etwa 20.000 Keilschrifttafeln und vielen kleinen Statuen. Dazu gehört die „Sängerin“ (Ornina), die im Nationalmuseum von Damaskus ausgestellt ist. Es handelt sich um eine kleine, 26 cm hohe Statue, die eine Sängerin im Tempel von Shamash darstellt, die auf einem Kissen in einer Position sitzt, von der Archäologen glauben, dass sie ein Musikinstrument spielte (Bild 1).

In Ebla, das seine erste Blütezeit in den Jahren 2400-2300 v. Chr. hatte, wurden 17.000 Keilschrifttafeln gefunden. Sie enthielten eine außergewöhnliche Menge an Informationen über Verwaltungsangelegenheiten, die im königlichen Palast behandelt wurden, sowie Randnotizen und gewidmete Passagen, die Licht auf königliche Hochzeiten, Feierlichkeiten anlässlich der Geburt von Prinzen, Besuche von ausländischen Königen und Würdenträgern usw. werfen. Die große Menge an Informationen vermittelt einen Eindruck von der Macht und Präsenz von Musik, Tanz und Gesang in dieser blühenden Stadt.

Ugarit, die Hauptstadt der Kanaaniter, wurde in der Mitte des dritten Jahrtausends v. Chr. gegründet und war der Geburtsort des ersten Alphabets der Geschichte. Musik spielte eine wichtige Rolle in ihrer Kultur. Dies zeigt sich in der großen Anzahl von Objekten mit musikalischen Themen, einschließlich einer kleinen Elfenbeinstatue einer Person, die die Zimbeln spielt. Das wichtigste Relikt der Musik dieser Stadt ist jedoch eine 1950 entdeckte Tontafel, die als Tafel h.6 klassifiziert wurde.

DIe Hurritische Hymne Nr. 6

Musikalische Diversität in Syrien
Zeichnung der Hurritischen Hymne Nr. 6

Diese Tafel stammt aus dem vierzehnten Jahrhundert v. Chr. und gilt als die früheste musikalische Notation der Geschichte, die bisher gefunden wurde. Der obere Teil dieser Tafel enthält eine hurritische Beschwörungshymne an die Mondgöttin Nikkal. Der untere Teil besteht aus einer Notation der Hymne unter Verwendung einer heptatonischen Skala.

Musikalische Interpretation

Es wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Melodie auf der Tafel zu interpretieren, die bekanntesten sind die des Syrers Raoul Vitale und des Engländers Richard Dumbrill (Interview unten)

Dumbrill´s Interpretation der Hurritischen Hymne Nr. 6

Andere Zivilisationen und Kulturen folgten ihnen in Syrien. Jede Kultur brachte ihre eigene Musik mit, die neben der Musik, die vor ihr kam, lebte. Die Menschen, zu denen diese Kulturen gehören, haben ihre Musik bewahrt und über Generationen hinweg als wichtigen Bestandteil ihrer eigenen Identität weitergegeben. So ist die traditionelle Musik Syriens heute eine bunte Mischung aus Religionen (jüdisch, christlich, islamisch, und anderer Gruppierungen, einschließlich der Musik der verschiedenen Sekten und Konfessionen innerhalb dieser Religionen), ethnischen Gruppen (arabisch, kurdisch, armenisch, tscherkessisch usw.) und sozialen Gruppierungen (Volksmusik, Musik für die Arbeit und verschiedene gesellschaftliche Anlässe wie Hochzeiten und Beerdigungen sowie für Kinder). All diese Musikarten unterscheiden sich in ihren Ursprüngen, Formen und Sprachen, aber sie sind alle repräsentativ für die traditionelle syrische Musik.

| Interview mit Prof. Richard Dumbrill

Im Gespräch mit dem Syrian Heritage Archive, teilt Prof. Dumbrill sein Wissen über die hurritische Hymne, die Beziehung zwischen Linguistik und Musikwissenschaft und wie die alten Sprachen aus Mesopotamien die arabische Musik und darüber hinaus beeinflusst haben.

Ausgrabungen in Ugarit

Prof. Drumbrill spricht über den Fundort der Hurritischen Hymne No. 6 (© Syrian Heritage Archive)

Die Übersetzung der hurritischen Hymne Nr. 6

Prof. Dumbrill berichtet über seine Übersetzung und Forschung der Hurritischen Hymne Nr. 6 und was sie uns über den Schreiber der Tafel offenbart (© Syrian Heritage Archive)

Der Einfluss der Sprache auf die Entwicklung des arabischen Maqam

Was geschah mit der Verschriftlichung von Noten in der historischen Übertragung von syllabischer zu alphabetischer Schrift? Prof. Dumbrill gibt Einblicke in die einzigartige Disziplin der Archäomusikwissenschaften (© Syrian Heritage Archive)
Musikalische Diversität in Syrien

Richard Dumbrill

Dumbrill ist ein führender Experte für die Archäomusikologie des Alten Nahen und Mittleren Ostens, der sich auf Keilschrifttexte der Musiktheorie in sumerischer, babylonischer und hurritischer Sprache spezialisiert hat. Er ist Mitbegründer des International Council of Near Eastern Archaeolmusicology (ICONEA), der Konferenzen im British Museum und an der Sorbonne-Universität Paris abhält. Mit seiner bahnbrechenden Interpretation der hurritischen Hymne Nr. 6 lieferte er ein fundiertes Beispiel für die älteste Musiknotation der Geschichte, die auf einer Keilschrifttafel aus dem vierzehnten Jahrhundert v. Chr. aus Ugarit geschrieben ist.


Ausgewählte Fotos von Ugarit in der Galerie des Syrian Heritage Archive


Was ist ein Maqam?

„Der arabische Maqam (im Arabischen maskulin, im Deutschen auch im Neutrum gebräuchlich; Plural: Maqamat) ist ein System von Skalen, gebräuchlichen melodischen Phrasen, Modulationsmöglichkeiten, Ornamentierungsvorgaben und ästhetischen Vorgaben, die gemeinsam einen reichhaltigen melodischen Rahmen und eine Kunsttradition ausmachen.“

Auszug aus Maqamworld

Musikalische Diversität in Syrien

MaqamWorld ist eine Online-Plattform, die sich der Vermittlung des arabischen Maqam-Modalsystems widmet, das die Grundlage der traditionellen arabischen Musik bildet. Die vom Arab Fund for Arts and Culture geförderte Website befasst sich hauptsächlich mit Musik aus dem östlichen Mittelmeerraum der arabischen Welt, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit von Anfang bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts liegt.

Was bedeutet Jins?

„Die Jins (Plural Ajnas) ist ein Maqam-Skalenfragment von 3, 4 oder 5 Noten. Die Jins ist die grundlegende melodische Einheit in der arabischen Musik, da ein Maqam eigentlich ein Weg zwischen vielen Ajnas ist. Jede Jins wird durch ihre Intervalle definiert, die sich bei der Transposition nicht verändern und ihr einen eigenen und erkennbaren Charakter verleihen.“

Auszug aus Maqamworld

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Titelbild: © Hannibal Saad


Prof. Hassan Abbas war der Direktor von „Culture as Resistance“ am Asfari Institute for Civil Society and Citizenship der American University of Beirut. Als führender Wissenschaftler und Experte für syrische Kultur erforschte er traditionelle syrische Musik. In seinem Buch „Traditionelle Musik in Syrien“ präsentiert Dr. Hassan Abbas sein Wissen aus jahrelangen und umfangreichen Forschungen über die musikalische Tradition Syriens. Sein Buch ist hier in arabischer Sprache erhältlich.

Nach einem langen Kampf gegen eine Krankheit verstarb Prof. Abbas im März 2021. Das Team des Projekts „Interactive Heritage Map of Syria“ ist für immer dankbar, dass es die Chance und das Privileg hatte, mit Prof. Abbas zu arbeiten und von seinem brillanten Geist zu lernen.

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