Musikalische Diversität in Syrien

  1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

von Prof. Hassan Abbas

‎Historisch gesehen bezieht sich der Name „Syrien“ auf ein geografisches Gebiet, das sich vom Mittelmeer im Westen bis nach Mesopotamien im Osten und von Kleinasien im Norden bis nach Ägypten im Süden erstreckt. Diese außergewöhnliche geografische Lage hat über die Zeit hinweg viele Gruppen von Menschen angezogen, darunter Händler, die die Routen zwischen Europa und Asien auf der einen und Afrika auf der anderen Seite überquerten, sowie Armeen, die die Herrschaft ihres Staates bis zu diesem Treffpunkt dreier Kontinente ausweiten wollten. Menschen und Nationen sind dorthin gewandert, auf der Flucht vor Tyrannei und Unterdrückung an ihren Herkunftsorten.

‎Die Menschen, die in diese Region kamen, brachten ihren Glauben, ihre Sprachen, Traditionen, Geschichten, kulinarische Praktiken und Musik mit. Obwohl einige von ihnen viel Tragik und Zerstörung verursachten, wurden ihre Kulturen im Laufe der Zeit in das Gewebe der Kulturen der bisherigen Bewohner eingewoben. Diese lange Geschichte des Austauschs und der Vermischung vielfacher kultureller Ausdrucksformen brachte eine einzigartige Kultur hervor, die die Merkmale der Vielfalt und Heterogenität trägt. Diese Kultur hat sich kontinuierlich in endlosen neuen Formen neu erschaffen, die manchmal innerhalb bestimmter Gruppen eingeschlossen sind und sich manchmal zu benachbarten Kulturen öffnen.

Viele Kulturen hat Syrien gekannt und viele haben Syrien zu dem gemacht, was es heute ist. Einige sind einheimisch, andere wurden von Gästen mitgebracht, die in die Region kamen, sich dort niederließen oder ihre Spuren hinterließen. Einige dieser Kulturen sind verschwunden, einige haben sich in andere verwandelt. Andere haben ihre Spuren in den Wörtern und der Sprache hinterlassen, die verwendet werden; und in beliebten Feiertagen, die aus alten Zeiten stammen, aber in späteren Kulturen mit denselben Ritualen unter anderen Namen wiederkehrten. Sie finden sich in Gerichten, deren unterschiedliche Ursprünge vergessen sind, die aber auf demselben syrischen Esstisch zu finden sind, zusammen mit den verschiedenen Arten von Musik, Gesang und Tanz, die noch weitgehend die Merkmale der Kulturen bewahren, die einst hier lebten, aber nicht mehr präsent sind.

Diese unglaubliche kulturelle Vielfalt ist das Hauptmerkmal des Kulturmosaik Syriens. Deutlich und unnachahmlich kann sie in den verschiedenen Arten von Musik, die in Syrien bekannt sind, wiedergefunden werden.

Musikalische Diversität in Syrien
Statue of Ornina (Mari) – © Nationalmuseum of Damascus

Die erste Partitur der Geschichte

Archäologische Ausgrabungen an der syrischen Küste haben menschliche Überreste von vor einer Million Jahren freigelegt. Untersuchungen in verschiedenen Regionen der syrischen Wüste und Flusstälern haben eine kontinuierliche menschliche Präsenz über verschiedene geologische Epochen hinweg offenbart.

Ab der Mitte des vierten Jahrtausends v. Chr. drangen große Zivilisationen nacheinander in syrisches Gebiet ein. Lokale und internationale archäologische Expeditionen haben Stätten freigelegt, die von der Bedeutung dieser Zivilisationen zeugen. Einige dieser Stätten haben archäologische Objekte freigelegt, die eine wichtige Rolle in der menschlichen Kultur und Entwicklung gespielt haben, einschließlich der Entwicklung der Musik, wie Mari, Ebla und Ugarit.

‎Mari, das auf das dritte Jahrtausend v. Chr. zurückgeht, ist die älteste dieser Stadtstaaten, wenngleich Ebla und Ugarit Spuren älterer Besiedlungen vorweisen können. Ausgrabungen haben in Mari eine ganze Stadt freigelegt, mit Tempeln, Häusern, einem Königspalast und Bibliotheken mit etwa 20.000 Keilschrifttafeln und vielen kleinen Statuen. Dazu gehört die „Sängerin“ (Ornina), die im Nationalmuseum von Damaskus ausgestellt ist. Es handelt sich um eine kleine, 26 cm hohe Statue, die eine Sängerin im Tempel von Shamash darstellt, die auf einem Kissen in einer Position sitzt, von der Archäologen glauben, dass sie ein Musikinstrument spielte (Bild 1).

In Ebla, das seine erste Blütezeit in den Jahren 2400-2300 v. Chr. hatte, wurden 17.000 Keilschrifttafeln gefunden. Sie enthielten eine außergewöhnliche Menge an Informationen über Verwaltungsangelegenheiten, die im königlichen Palast behandelt wurden, sowie Randnotizen und gewidmete Passagen, die Licht auf königliche Hochzeiten, Feierlichkeiten anlässlich der Geburt von Prinzen, Besuche von ausländischen Königen und Würdenträgern usw. werfen. Die große Menge an Informationen vermittelt einen Eindruck von der Macht und Präsenz von Musik, Tanz und Gesang in dieser blühenden Stadt.

Ugarit, die Hauptstadt der Kanaaniter, wurde in der Mitte des dritten Jahrtausends v. Chr. gegründet und war der Geburtsort des ersten Alphabets der Geschichte. Musik spielte eine wichtige Rolle in ihrer Kultur. Dies zeigt sich in der großen Anzahl von Objekten mit musikalischen Themen, einschließlich einer kleinen Elfenbeinstatue einer Person, die die Zimbeln spielt. Das wichtigste Relikt der Musik dieser Stadt ist jedoch eine 1950 entdeckte Tontafel, die als Tafel h.6 klassifiziert wurde.

DIe Hurritische Hymne Nr. 6

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Zeichnung der Hurritischen Hymne Nr. 6

Diese Tafel stammt aus dem vierzehnten Jahrhundert v. Chr. und gilt als die früheste musikalische Notation der Geschichte, die bisher gefunden wurde. Der obere Teil dieser Tafel enthält eine hurritische Beschwörungshymne an die Mondgöttin Nikkal. Der untere Teil besteht aus einer Notation der Hymne unter Verwendung einer heptatonischen Skala.

Musikalische Interpretation

Es wurden zahlreiche Versuche unternommen, die Melodie auf der Tafel zu interpretieren, die bekanntesten sind die des Syrers Raoul Vitale und des Engländers Richard Dumbrill (Interview unten)

Dumbrill´s Interpretation der Hurritischen Hymne Nr. 6

Andere Zivilisationen und Kulturen folgten ihnen in Syrien. Jede Kultur brachte ihre eigene Musik mit, die neben der Musik, die vor ihr kam, lebte. Die Menschen, zu denen diese Kulturen gehören, haben ihre Musik bewahrt und über Generationen hinweg als wichtigen Bestandteil ihrer eigenen Identität weitergegeben. So ist die traditionelle Musik Syriens heute eine bunte Mischung aus Religionen (jüdisch, christlich, islamisch, und anderer Gruppierungen, einschließlich der Musik der verschiedenen Sekten und Konfessionen innerhalb dieser Religionen), ethnischen Gruppen (arabisch, kurdisch, armenisch, tscherkessisch usw.) und sozialen Gruppierungen (Volksmusik, Musik für die Arbeit und verschiedene gesellschaftliche Anlässe wie Hochzeiten und Beerdigungen sowie für Kinder). All diese Musikarten unterscheiden sich in ihren Ursprüngen, Formen und Sprachen, aber sie sind alle repräsentativ für die traditionelle syrische Musik.

| Interview mit Prof. Richard Dumbrill

Im Gespräch mit dem Syrian Heritage Archive, teilt Prof. Dumbrill sein Wissen über die hurritische Hymne, die Beziehung zwischen Linguistik und Musikwissenschaft und wie die alten Sprachen aus Mesopotamien die arabische Musik und darüber hinaus beeinflusst haben.

Ausgrabungen in Ugarit

Prof. Drumbrill spricht über den Fundort der Hurritischen Hymne No. 6 (© Syrian Heritage Archive)

Die Übersetzung der hurritischen Hymne Nr. 6

Prof. Dumbrill berichtet über seine Übersetzung und Forschung der Hurritischen Hymne Nr. 6 und was sie uns über den Schreiber der Tafel offenbart (© Syrian Heritage Archive)

Der Einfluss der Sprache auf die Entwicklung des arabischen Maqam

Was geschah mit der Verschriftlichung von Noten in der historischen Übertragung von syllabischer zu alphabetischer Schrift? Prof. Dumbrill gibt Einblicke in die einzigartige Disziplin der Archäomusikwissenschaften (© Syrian Heritage Archive)
Musikalische Diversität in Syrien

Richard Dumbrill

Dumbrill ist ein führender Experte für die Archäomusikologie des Alten Nahen und Mittleren Ostens, der sich auf Keilschrifttexte der Musiktheorie in sumerischer, babylonischer und hurritischer Sprache spezialisiert hat. Er ist Mitbegründer des International Council of Near Eastern Archaeolmusicology (ICONEA), der Konferenzen im British Museum und an der Sorbonne-Universität Paris abhält. Mit seiner bahnbrechenden Interpretation der hurritischen Hymne Nr. 6 lieferte er ein fundiertes Beispiel für die älteste Musiknotation der Geschichte, die auf einer Keilschrifttafel aus dem vierzehnten Jahrhundert v. Chr. aus Ugarit geschrieben ist.


Ausgewählte Fotos von Ugarit in der Galerie des Syrian Heritage Archive


Was ist ein Maqam?

„Der arabische Maqam (im Arabischen maskulin, im Deutschen auch im Neutrum gebräuchlich; Plural: Maqamat) ist ein System von Skalen, gebräuchlichen melodischen Phrasen, Modulationsmöglichkeiten, Ornamentierungsvorgaben und ästhetischen Vorgaben, die gemeinsam einen reichhaltigen melodischen Rahmen und eine Kunsttradition ausmachen.“

Auszug aus Maqamworld

Musikalische Diversität in Syrien

MaqamWorld ist eine Online-Plattform, die sich der Vermittlung des arabischen Maqam-Modalsystems widmet, das die Grundlage der traditionellen arabischen Musik bildet. Die vom Arab Fund for Arts and Culture geförderte Website befasst sich hauptsächlich mit Musik aus dem östlichen Mittelmeerraum der arabischen Welt, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit von Anfang bis Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts liegt.

Was bedeutet Jins?

„Die Jins (Plural Ajnas) ist ein Maqam-Skalenfragment von 3, 4 oder 5 Noten. Die Jins ist die grundlegende melodische Einheit in der arabischen Musik, da ein Maqam eigentlich ein Weg zwischen vielen Ajnas ist. Jede Jins wird durch ihre Intervalle definiert, die sich bei der Transposition nicht verändern und ihr einen eigenen und erkennbaren Charakter verleihen.“

Auszug aus Maqamworld

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Titelbild: © Hannibal Saad


Prof. Hassan Abbas war der Direktor von „Culture as Resistance“ am Asfari Institute for Civil Society and Citizenship der American University of Beirut. Als führender Wissenschaftler und Experte für syrische Kultur erforschte er traditionelle syrische Musik. In seinem Buch „Traditionelle Musik in Syrien“ präsentiert Dr. Hassan Abbas sein Wissen aus jahrelangen und umfangreichen Forschungen über die musikalische Tradition Syriens. Sein Buch ist hier in arabischer Sprache erhältlich.

Nach einem langen Kampf gegen eine Krankheit verstarb Prof. Abbas im März 2021. Das Team des Projekts „Interactive Heritage Map of Syria“ ist für immer dankbar, dass es die Chance und das Privileg hatte, mit Prof. Abbas zu arbeiten und von seinem brillanten Geist zu lernen.

Musik & Community in Syria

  1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

von Prof. Hassan Abbas

Im Laufe der Geschichte war der Nahe Osten stets ein Schmelztiegel verschiedener Völker und ethnischer Gruppen. Einige dieser Gruppen leben schon so dort, dass es schwierig ist, zurückzuverfolgen, wann sie in die Region kamen. Andere kamen durch große Migrationsbewegungen auf der Flucht vor Katastrophen in ihren Herkunftsländern. Manche dieser ethnischen Gruppen sind heute verschwunden und mit ihnen ihre Kulturen. Andere ließen sich in der Region nieder und bewahrten ihre Kulturen und Traditionen.

Heute existieren in Syrien mehrere Musiktraditionen mit unterschiedlichen Ursprüngen nebeneinander. Arabische, kurdische, yezidische, tscherkessische und armenische Traditionen sind die wichtigsten und bekanntesten unter ihnen.

Musik & Community in Syria

Arabische Musik

Die traditionelle arabische Musik und arabischer Gesang wie wir sie heute kennen nahmen ihre Form in der Umayyaden-Periode (661-750 n. Chr.) an. Als das Rashidun-Kalifat endete und die Umayyaden 661 n. Chr. die Macht übernahmen, begannen sie mit dem Bau von prachtvollen Palästen in der Hauptstadt des Kalifats, Damaskus. Sie wurden zu einem Ort, an dem musikalische Darbietungen aus dem ganzen Herrschaftsgebiet vorgetragen wurden, zu einer Zeit als auch die erste Schrift über arabische Musik erschien: Das „Buch der Melodien (Kitab Al-Naghm) wurde von Yunus Al-Katib verfasst.

Musik & Community in Syria
Cover of the „Book of Songs“ by al-Isfahani, edition published by the General Egyptian Book Organization. Source: Culturegate

Arabische Musik blühte in der darauf folgenden Abbasidenzeit auf, in der große Literaturwerke über Musik wie zum Beispiel das „Buch der Lieder (Kitab al-Aghani) von Abu al-Faraj al-Isfahani entstanden. Der Musiker Ziryab (787-852 n. Chr.) schuf einen Paradigmenwechsel, als er nach Andalusien zog und die erste Schule für Gesang und Musik gründete, die sowohl den Westen als auch den Osten massiv beeinflusste. Es war die Geburtsstätte eines neuen musikalischen Genres: Der Muwashaha.

In der Hamdanidenzeit wurde Aleppo zu einem der wichtigsten Zentren der arabischen Kultur. Am Hof des Herrschers Saif Ad-Dawla Al-Hamdani (944-967 n. Chr.) trafen sich der Dichter Abu Attayib Al-Mutannabi und der Musiker und Philosoph Abu Nasr Al-Farabi, der Studien über die Natur und Harmonie der Stimmen verfasste. Die Erfindung des qanun wird Al-Farabi zugeschrieben.

In der osmanischen Zeit etablierten sich instrumentale Formen wie der Peşrev und der Sama’i sowie vokale Formen wie die Dawrs. Die Musik der Levante wurde außerdem durch den Mevlevi-Sufi-Orden beeinflusst, der von Maulana Jalaluddin Rumi (1207-1273 n. Chr.) in Konya gegründet wurde.

Im Zeitraum vom 19. Jahrhundert bis zum Ende des ersten Viertels des 20. Jahrhunderts entstand ein umfangreicher Korpus an Liedkompositionen und die Muwashah-Form blühte sowohl im religiösen als auch im säkularen Rahmen. Das Musiktheater entstand mit dem syrischen Künstler Ahmed Abu Khalil Al-Qabbani, der von der konservativen Gemeinde in Damaskus gezwungen wurde, nach Ägypten auszuwandern.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erlebten syrische Großstädte wie Damaskus, Aleppo, Homs und Latakia dank ihrer Musikclubs ein reges musikalisches Treiben. Die meisten Mitglieder dieser Clubs waren männliche Intellektuelle, was den späten Eintritt von Frauen in das öffentliche Leben zu dieser Zeit widerspiegelt, insbesondere in der Kunst. Im privaten Bereich hingegen, in dem traditionelle Kultur produziert und von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde, waren Frauen stark vertreten, insbesondere in der traditionellen Musikausbildung und bei der Wiederbelebung von Festen, die nur von Frauen veranstaltet wurden. Khoja waren Sängerinnen in Aleppo. Khoja-Gruppen gelten als Trägerinnen der traditionellen Formen der Musik, die Frauen beherrschten.

Der Begriff „arabische Musik“ tauchte erstmals in einem Buch von Baron d’Erlanger auf, der 1932 n. Chr. an der Vorbereitung der ersten arabischen Musikkonferenz in Kairo beteiligt war. Heute wird der Begriff selbstverständlich verwendet, insbesondere um die arabische Musik von der osmanischen Musik zu unterscheiden, mit der sie viele Aspekte teilt. Die traditionelle arabische Musik tritt in lyrischen und anderen musikalischen Formen auf: ‎‎

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Info

Weitere Informationen über die Wahl Kairos als Tagungsort der Musikkonferenz im Jahr 1932 und die ersten Versuche der Theoriebildung und Dokumentation von „arabischer Musik“ finden Sie hier.

| Die wichtigsten lyrischen Formen

Qasida (Gedichtstück)

Traditionell trug der Sänger eine Qasida ohne musikalische Begleitung vor. Die melodische Improvisation der Qasida hat sich so weit entwickelt, dass sie in der heutigen Zeit zum Hauptbestandteil der Qasida geworden ist.

Layali

eine solistisch gesungene Improvisation der Worte „Ya ‚ayn ya layl“ (O Auge, O Nacht“), die mehrmals wiederholt werden.

Mawwal

eine Art improvisierter metrischer oder nicht-metrischer Gesang, basierend auf der Form der Volksdichtung, mit leichter Improvisation. Es hat einen wichtigen Platz bei gesellschaftlichen Veranstaltungen und Konzerten.

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Tawshih

Tawshih ist der häufigste metrische Liedtyp in der klassischen religiösen oder säkularen arabischen Musik in Syrien. Es gibt muwashah in umgangssprachlichen poetischen Formen und andere in klassischen arabischen poetischen Formen mit verschiedenen Metren und Abschnitten. Es gibt auch Unterteilungen der verschiedenen Arten von muwashah, abhängig von der Vielzahl der Takte und Rhythmusmuster‎

Dawr

Dawr ist eine Gesangsform ägyptischen Ursprungs, die von einem Hauptsänger vorgetragen wird, der in einigen Abschnitten von einem Chor (Backgroundsänger) begleitet wird. Der Sänger wird von einem Musikinstrument begleitet, aber die Rolle der Instrumente ist zweitrangig.

Qudud

Qudud sind Lieder, die auf religiösen oder weltlichen Melodien basieren, die auf einem Qud (musikalisches Maß eines populären Liedtyps) beruhen und dessen Popularität nutzen, um seine Bekanntheit zu erreichen.

| Die wichtigsten instrumentalen Musikformen sind:‎‎‎‎

Taqsim

Eine Improvisation, deren einzige Struktur die allgemeine Stimmung der vom Musiker gewählten Maqams ist. Der Taqsim kann von jedem Musiker der Gruppe gespielt werden, insbesondere vom Oud-Spieler.

Dulab

Ein einfacher instrumentaler Einstieg, der den lyrischen Abschnitten vorangestellt wird. Der Dulab besteht aus mehreren meist kurzen lyrischen Sätzen, die zweimal wiederholt werden und dann von einer anderen Person gefolgt nochmal zwei- oder dreimal wiederholt wird.

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Peşrev

Instrumentale Musikform, deren Namen von dem persischen Wort „peş-ru“ abstammt, was „das, was vorangeht“ bedeutet. Es wird so verstanden, dass es vor allem eine Einleitung zu den wasla (musikalischen Abschnitten) ist.

Sama’i

Sama’i ist eine musikalische Form, die den gleichen Zweck wie der Peşrev in einem Konzertprogramm hat, aber kürzer und einfacher ist. Aus diesem Grund kann sie nach der Peşrev, allein vor einer Wasla oder in der Mitte davon aufgeführt werden, um die Stimmung und den Maqam für das nächste Segment zu setzen.

Tahmila

Die Tahmila-Form besteht aus zwei Abschnitten mit einer kurzen rhythmischen Skala, die eine weiche und regelmäßige Bewegung hat. Der erste Abschnitt besteht daraus, dass die Mitglieder der Gruppe den Vers wiederholt auf eine nicht näher spezifizierte und einheitliche Weise spielen. Der zweite Abschnitt ist die Antwort auf den ersten Abschnitt für eine gleich lange Zeit, während einer der Musiker der Gruppe den Vers spielt.

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Kurdische Musik

Während der osmanischen Zeit lebten die Kurden in ihrem historischen Land Kurdistan ein etabliertes und fast unabhängiges Leben mit lokaler Autonomie durch kurdische Herrscher, die vom osmanischen Sultan ernannt wurden. Nach dem Fall des Osmanischen Reiches und der Aufteilung der Region wurde das kurdische Volk über die Gebiete von vier Staaten verstreut: Iran, Türkei, Irak und Syrien. Da die syrischen Behörden keine Bildungseinrichtungen zuließen, die die kurdische Sprache und Kultur lehrten, spielte die traditionelle Musik angesichts des Leids der Kurden in den Ländern, in die sie verstreut waren, eine wichtige Rolle beim Schutz ihrer kurdischen kulturellen Identität. Dieses Leiden spiegelt sich in dem Maqam wider, der „Maqam Kurd“ genannt wird.

Zum Spielen der kurdischen Musik werden spezielle Instrumente verwendet, wie z.B. die Kamança, die mit dem Gesang von Volkssagen und Legenden verbunden ist. Sie hat vier Saiten und ein Stück Leder über einem Kasten. Es gibt weitere Saiteninstrumente, wie die Santur (Sentûr), Tanbur (Tenbûr), Blasinstrumente, wie die Pik (Pîk), Zorne, Bolûr, Cûzele und Schlaginstrumente, wie die Defik und Dahol (Trommel).

Zahlreiche kurdische Sänger und Musiker sind in den Gebieten, in denen Kurden in Syrien leben, berühmt geworden, wie z. B. Kara Bait Khajo (1907-2005 n. Chr.), der Sänger armenischer Herkunft Aram Dikran oder Tigran (1934-2009 n. Chr.), die kurdischen Künstler Mohammed Sheikhu (1948-1989 n. Chr.) und Saeed Yusuf, geboren 1947 in der Region Dschazira, der Tanburspieler Adik in Afrin, Baqi Khidr, der Dichter und Sänger Mashbouk Abur, der Musiker und Geigenspieler Mohammed Doman und der Komponist Rashid Sufi in Kobane.

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Jesidische Musik

Ein Lied über den jesidischen Helden Derweshe Evdi, gesungen von Eda Mado

Die Jesiden sind eine kleine Gemeinschaft in Syrien. Sie sind das einzige Volk in der Region des Nahen Ostens, das Musik und Musikinstrumente verehrt, insbesondere die Tanbur. Die Legende besagt, dass als Gott den Engeln, angeführt von Taus Malak, befahl, die unter Wasser stehende Erde in trockenes Land zu verwandeln, sie für sich selbst ein Zelt an einem Ort errichten wollten (dies sollte die heilige Stätte von Lalish werden). Sie konnten jedoch keine Heringe finden, um ihre Seile zu befestigen, also holte der erleuchtete und wunderbare Musiker, Qadi Shalo, seinen Tanbur hervor und begann sein Lied zu spielen, das bis heute gesungen wird. Die Fische streckten ihre Köpfe aus und verwandelten sich in Pflöcke, die die Engel benutzten, um die Seile für ihr Zelt zu befestigen. Sie ließen sich dort nieder und begannen auf einen Befehl Gottes hin zu bauen. Die Geschichte erzählt, wie die Tanbur zu einem heiligen Instrument für die Jesiden wurde.

Die Musik steht in besonderer Beziehung zu den religiösen Ritualen und Riten der Jesiden. Rituale können nur durchgeführt werden, wenn sie von einer speziellen Gruppe von Musikern, den Qawals, begleitet werden. Die Qawals haben ein hierarchisches Gesangs-System mit drei Rängen. Sie sind für das Gedenken an religiöse Ereignisse zuständig, bei denen sie Hymnen singen, die über Generationen hinweg bewahrt und weitergegeben wurden. Dabei verwenden sie auch die beiden anderen heiligen Musikinstrumente Def und die Shebab.

Mit ihren Liedern und Instrumenten begleiten die Qawals kollektive jesidische Ritualen wie beispielsweise Beerdigungen von Verstorbenen sowie Gedenkfeiern an sie. Es gibt außerdem religiöse Rituale, bei denen sie die Segnung der heiligen Musikinstrumente vornehmen, indem sie sie mit der Hand berühren und dann küssen. Bei Festen werden oft jesidische Sagen in kurdischer Sprache vorgetragen, die von einem Helden namens Darwish Abdi erzählen. Religiöse Feste dauern stundenlang und enden in kollektiven Tänzen, die offen for alle Menschen, unabhängig ihrer Religion, offen sind. Sie setzen Musiker ein, die keine Qawals sind, und verwenden Instrumente, die in der Region bekannt sind, wie die Zurna, die Mijwiz und Schlaginstrumente, insbesondere die Trommel.

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Tscherkessische Musik

Die Tscherkessen stammen ursprünglich aus der nordwestlichen Kaukasusregion. Am 21. Mai 1864 n. Chr. endete der Kaukasuskrieg zwischen diesen Stämmen und der russischen kaiserlichen Armee, bei dem die Tscherkessen besiegt wurden und als Folge davon ihr Land verlassen mussten. Einige von ihnen wanderten in Gebiete, die unter der Kontrolle der Osmanen standen, bis die Osmanen sie je nach ihren militärischen und wirtschaftlichen Bedürfnissen auf die von ihnen kontrollierten Gebiete aufteilten. Auf diese Weise kamen die Tscherkessen nach Syrien, wo sie mit der Aufgabe betraut wurden, Überfälle arabischer Stämme auf Karawanenrouten entlang des Euphrat abzuwehren oder Transportwege zwischen Hawran, dem Berg Hermon und dem Libanon zu schützen. Sie wurden auch als kostenlose Arbeitskräfte für das Projekt zum Ausbau und Schutz der Hejaz-Eisenbahn eingesetzt.

Tscherkessen haben eine tiefe Verbundenheit mit ihrer kollektiven Identität /Kultur Kultur. Das ist der Grund, warum die Kultur trotz ihrer Integration in die Gastgemeinden bei ihnen geblieben und zu einem festen Bestandteil ihres demografischen Gefüges geworden ist. Die Musik bildet zusammen mit dem Tanz zwei authentische Komponenten der tscherkessischen Kultur, die von einer Generation zur nächsten weitergegeben werden.

Traditionelle tscherkessische Musik verwendet spezielle Instrumente wie die Pshina (tscherkessisches Akkordeon), ein echt tscherkessisches Instrument. Es gibt Streichinstrumente: apa-pshina, shchepshine , Schlaginstrumente: baraban (mittelgroße Trommel), pkhach’ch, pkhetaw und Blasinstrumente: qamlapsh.

Der traditionelle tscherkessische Tanz wird als integraler Bestandteil der tscherkessischen Kultur betrachtet. Einige Tscherkessen glauben, dass der Tanz zu einer Aufzeichnung der tscherkessischen Geschichte wurde, nachdem sie ihre schriftlichen Aufzeichnungen durch Kriege und die Migrationspolitik, der sie im 19. Jahrhundert unterworfen waren, verloren hatten. Zu den Tänzen, die heute noch von tscherkessischen Gemeinschaften aufgeführt werden, gehören der aristokratische Kafe, der mitreißende Islamey und der gemeinschaftliche wij Tanz.

Musik & Community in Syria

Armenische Musik

Armenier, die in Syrien verwurzelt sind und im Nordwesten des Landes, insbesondere in der Region Kasab, leben, haben einige traditionelle Lieder und Gesänge bewahrt, die mündlich über Generationen hinweg weitergegeben wurden. Armenische Migrant*innen brachten stets einen Teil ihres musikalischen Erbes mit. Seit sie sich in Syrien niedergelassen haben, sind die Armenier bestrebt, ihre traditionelle Musik zu erhalten. Zu diesem Zweck haben sie eine Reihe von Kulturvereinen gegründet, um sicherzustellen, dass ihre Kultur an zukünftige Generationen weitergegeben wird.

Die armenische traditionelle Musik verwendet Instrumente, die arabischen, türkischen und kurdischen Instrumenten ähneln, wie z.B. die Oud, das Cello, die Qanun, die Tar, die Zorna, sowie einige spezielle traditionelle Instrumente. Die Duduk, die als ein durch und durch armenisches Musikinstrument gilt, ist ein Blasinstrument, welches einer Flöte ähnelt. Die erste Duduk wurde vor mehr als 3000 Jahren verwendet. Hergestellt wird sie aus armenischem Aprikosenholz und trägt daher den armenischen Namen „Aprikosen-Trompete“.

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Feature Image: © Hannibal Saad


Prof. Hassan Abbas war der Direktor von „Culture as Resistance“ am Asfari Institute for Civil Society and Citizenship der American University of Beirut. Als führender Wissenschaftler und Experte für syrische Kultur erforschte er traditionelle syrische Musik. In seinem Buch „Traditionelle Musik in Syrien“ präsentiert Dr. Hassan Abbas sein Wissen aus jahrelangen und umfangreichen Forschungen über die musikalische Tradition Syriens. Sein Buch ist hier in arabischer Sprache erhältlich.

Nach einem langen Kampf gegen eine Krankheit verstarb Prof. Abbas im März 2021. Das Team des Projekts „Interactive Heritage Map of Syria“ ist für immer dankbar, dass es die Chance und das Privileg hatte, mit Prof. Abbas zu arbeiten und von seinem brillanten Geist zu lernen.

Volksmusik

  1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

von Prof. Hassan Abbas

Die vielen verschiedenen Kulturen, aus denen sich die syrische Gemeinschaft zusammensetzt, haben all ihre kulturellen Ausdrucksformen, inklusive der Musik, tief geprägt. Darüber hinaus standen die im 20. Jahrhundert gezogenen politischen Grenzen des Landes nicht in Einklang mit der ethnographischen Verteilung sozialer Gruppen wie Stämme und Clans, die in den regionalen musikalischen Ausdrucksformen innerhalb Syriens und der Nachbarländer stark miteinander verflochten sind, was die Formenvielfalt von Volksliedern deutlich erhöhte.

Volksmusik

Genre syrischer Volkslieder

Ataaba

Ataaba ist eine Kunstform, die aus einer Gedichtstrophe besteht, die rezitiert und gesungen wird. Sie besteht aus einem kompletten, umfassenden literarischen Ereignis und liefert ein vollständiges Bild, eine Geschichte, eine Nachricht oder eine philosophische Idee. Sie wird innerhalb des begrenzten Raums von vier Gedichtzeilen präsentiert. Die Ataaba wird individuell von einem Sänger vorgetragen, der ein Rabab, eine Oud oder eine Geige und neuerdings auch ein elektrisches Keyboard spielt, das eine echte Bedrohung für alle einheimischen Musikinstrumente darstellt.

Mijana

Diese Art der traditionellen Musik ist in der gesamten Levante beliebt. Das Charakteristikum der Mijana ist das Vorstellen einer unabhängigen Gedichtzeile vor dem ersten Mawwal, die Matla oder Kasra genannt wird und aus den dreimal wiederholten Worten „Ya mijana“ besteht.

https://www.youtube.com/watch?v=i4y_JUhiKgk

Nayil

Der Nayil gehört zu den lyrischen Kunstformen der östlichen Euphratregion. Er wird hauptsächlich verwendet, um traurige Gefühle und Katastrophen auszudrücken, auch wenn es mit rhythmischer Begleitung und einer relativ schnellen Melodie gesungen wird.

Die Struktur des Nayil scheint vom Mawwal abgeleitet zu sein. Die ersten beiden Zeilen haben die wesentliche Vierzeiler-Struktur des Mawwal haben, zeichnen sich aber durch seinen langsamen und traurigen Takt aus.


Zajal

Das Zajal war ursprünglich eine Form der Poesie, die sich von Spanien bis in den Nahen Osten verbreitet hat. Es verwendet die poetischen Formen und Metren der Regionen, in denen es entstanden ist. Das Wort zajal bedeutet „die Stimme im Gesang erheben“. Aus diesem Grund ist es semantisch mit seinem kollektiven Gebrauch verbunden. Das zajal setzt ein Publikum voraus, dass sich vor den Musikern befindet, die diese Poesie vortragen. Diese kollektive Form der Aufführung des Zajal ist heute die vorherrschende Form, wobei der Begriff auch Synonym für Wettbewerbe zwischen den Interpreten bei gesellschaftlichen Veranstaltungen geworden ist.

In den letzten Jahrzehnten hat das Zajal in den Gebieten Syriens, in denen es populär war, einen spektakulären Niedergang erlebt. Währenddessen hat es sich im Libanon erheblich entwickelt und ausgebreitet, sodass wichtige syrische Interpreten in den Libanon gezogen sind, um ihre Kreativität in dieser Kunstform auszudrücken. Es gibt zwei Hauptgründe für den Niedergang dieser Musikform in Syrien:

  1. Das Zajal verwendet kein Standardarabisch (Fusha) und beschränkt sich auf die Aufführung in lokalen Dialekten, was nicht mit der derzeit vorherrschenden arabischen nationalistischen Ideologie übereinstimmt.
  2. Zajal-Aufführungen erfordern einen breiten Spielraum an Assoziations- und Meinungsfreiheit, der im öffentlichen Raum Syriens fehlt.

Mawwal

Der Mawwal ist der Eckstein traditioneller Volkslieder in der Levante. Er ist ein populäres Genre, das viele Formen und Namen hat, je nachdem, in welchem Gebiet es verwendet wird oder welche Stimmung es vermittelt. So gibt es religiöse, politische und soziale Mawwals. Die Grundstruktur eines Mawwals ist klar definiert und unverwechselbar; es ist ein Vierzeiler, der aus vier Teilen besteht. Die ersten drei sind homonym, d.h. ihre Reime verwenden ähnliche Begriffe bzw. Laute, haben aber unterschiedliche Bedeutungen, mit einer aaa-b-Form. Besonders in den nördlichen und zentralen Regionen Syriens sowie in der Wüste, jedoch, finden sich spezielle Mawwal mit sieben Teilen, die jeweils Khan genannt werden. Sie waren früher als Baghdadi-Mawwals und sind heute als syrische, Sabawi, Zuheiri oder Sharqawi-Mawwals bekannt sind. Die Popularität des Sabawi-Mawwals (siebenteilig) ist in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen und seine Präsenz in der traditionellen syrischen Musik hat in verschiedenen Teilen des Landes hat abgenommen, da Mawwals, die auf Vierzeilern (ruba’i) basieren, dominieren.

Der syrische Mawwal wird einstimmig mit improvisierter Melodie gesungen und abschnittsweise von einzelnen Saiteninstrument oder verschiedenen Instrumenten wie Rabab, Oud und Violine oder Blasinstrumenten wie verschiedenen Flötenarten (Nay, Mijwiz, Kanalflöte, Munjaira usw.) begleitet. Die Instrumente werden abwechselnd und improvisiert gespielt. Eine Mawwal wird auch am Anfang oder Ende von Liedern, begleitet von zwei Arten von Appellen: einleitende Appelle – oof, oof, oof -, die Trauer und Herzschmerz ausdrücken, „ya ba„, „ya yab„, was „oh mein Vater!“ bedeutet (ya abi), oder der Layali-Stil von „ya layali ya layl, ya ayni ya ayn“ (oh Nacht, oh Auge!), und Schlussappelle von „oof, oof“ sowie „mama„, was „oh meine Mutter!“ bedeutet (ya ummi) oder andere Wörter wie „mein Liebling/ habibi“, etc. Er kann auch mit einer festen Melodie komponiert werden, die aus statischen musikalischen Liedformen wie ataaba, mijana usw. besteht. Der mawwal ist generell ein grundlegender Bestandteil aller Arten von syrischen Liedern geworden.


Swehly

Swehly-Lieder sind in Ost- und Zentralsyrien, vor allem in der Euphrat-Region, populär. Sie ähneln dem Nayil in den Themen der Dichtung, die hauptsächlich von den Qualen der Liebe und dem Leid der Liebenden handeln. Die Sänger verwenden es, um die Stimmung zu verändern und die starken Gefühle aufzubrechen, welche die Ataaba und Nayil hinterlassen.

Dalouna

Die Dalouna ist in allen Teilen Syriens populär, vor allem in den westlichen und südlichen Regionen. Es handelt sich um ein Lied, das von einem kollektiven Tanz (Dabke) begleitet wird, der in der gesamten Levante bekannt ist, da er einen sanften Rhythmus hat, der es den Tänzern erlaubt, je nach ihren Fähigkeiten und Erfahrungen zu reagieren. Begleitet wird die Dalouna von Musik auf traditionellen Blasinstrumenten und einer großen Trommel, die den Rhythmus bestimmt, der die Bewegung der Tänzerschritte vorgibt.

Rozana

Eine der Dalouna ähnliche Kunstform, die in Regionen, in denen die Dalouna populär ist, vertreten aber nicht gleichermaßen weit verbreitet ist wie die Rozana. Rozana-Lieder drücken hauptsächlich Traurigkeit, Liebe und amouröse Gefühle aus. Es gehört zum Repertoire der Liedwünsche bei großen Gruppenfesten, wird aber ignoriert, sobald die Dabke einsetzt und die Trommel die Bühne betritt.

Ya hnayina

Der Name dieses Genres stammt vom ersten Wort des Liedes, das die Grundlage für seine Einleitung bildet und den Rhythmus vorgibt. Es ist die liebevolle Verniedlichung des Wortes „Hanouna“ und wird hauptsächlich in Bezug auf Mütter verwendet. Der Ursprung des hnayina ist unbekannt. Die Worte dieser Lieder drücken in der Regel Liebe und Intimität sowie eine sanfte Ermahnung aus.


Zalghouta – Zaghrouta

Zalghouta ist ein Gedicht in zwei Strophen mit vier standardisierten rhythmischen Teilen, das von Frauen in einigen Regionen nur von verheirateten Frauen, in öffentlichen Räumen vorgetragen wird. Mit den Gedichten drücken sie Dankbarkeit, Glückwünsche, ein Willkommen oder ein Gefühl aus. Frauen führen die Zalghouta aus, indem sie mit einleitenden Worten beginnen, die sich von Region zu Region unterscheiden: „Aweeha“, „Aaha“, „ahey“, oder „Ayieha„, um die Aufmerksamkeit der Zuhörer zu erregen, und endet mit einem Zaghrouta, einem Jauchzen mit lauter, hoher Stimme spricht, bei dem man dabei kontinuierlich und schnell die Zunge gegen den Gaumen schlägt. Das Zaghrouta hat in verschiedenen Regionen unterschiedliche Namen. Es ist auch als Zaghrouda, Hanhouna und Mahaha bekannt.

Jazrawi-Lieder

Jazrawi bezieht sich auf die Region Jazira in Syrien, im Nordosten des Landes, die neben ihrem natürlichen Reichtum auch einen kulturellen Reichtum durch die dort lebenden Araber, Kurden, Syrer, Armenier, Jesiden und Turkmenen aufweist (die Juden, die dort lebten, sind ausgewandert und es leben keine mehr dort). Als Ergebnis dieses Reichtums ist das musikalische Erbe der Region vielfältig und Teil eines erstaunlichen Akkulturationsprozesses, der zur Entstehung einer Musik geführt hat, die sich mehr mit der Region identifiziert als mit den Kulturen, aus denen sie stammt.

Dieser musikalische Akkulturationsprozess manifestiert sich in der Präsenz vieler traditioneller Lieder, die in verschiedenen Sprachen gesungen werden und bei denen die Praktizierenden darum konkurrieren, sie ihrer eigenen Kultur zuzuordnen. Sie sind sich jedoch einig, dass sie Teil des Erbes der Jazira sind.


Abu Zeluf und Mawaliya

Die Struktur der Abu Zeluf-Lieder ähnelt der Struktur der Rozana und Ya hnayina, ist aber flexibel und kann je nach Region und Dialekt, in dem sie gesungen wird, variiert und verändert werden.

Howedly

Eine Art kollektiver Gesang, der von der Dabke in verschiedenen Geschwindigkeiten begleitet wird. Er ist in den westlichen, südlichen und zentralen Regionen Syriens sehr verbreitet.

A’l Lala

Eines der gebräuchlichsten traditionellen Liederformen, die normalerweise bei gesellschaftlichen Veranstaltungen und lokalen Dabke-Tänzen gesungen wird.

Hawliya

Eine traditionelle lyrische Kunst in der südlichen Region, speziell in der Hauran-Ebene und in Jabal Al-Druze. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil von Hochzeitsfeiern in der Region und hat einen speziellen Dabke-Tanz namens Habel Mwadea‚. Hawliya-Lieder sind leicht, mit einfachen Worten und ohne metrischer Struktur.

Farraqiyat

Während die Zaghrouta und Zalghouta in der Regel für Hochzeiten und freudige Anlässe reserviert sind, sind die Farraqiyat für Begräbnisrituale, Trauer und Nostalgie gedacht. Der Name Farraqiyat kommt von Farraq, der Trennung der Liebenden und ihrer Distanz zueinander. In einigen Regionen gibt es Frauen, die sich auf diese Kunstform spezialisiert haben und in den Häusern der Verstorbenen auftreten, um die Trauer der Zurückgebliebenen zu begleiten und ihr Ausdruck zu verleihen.

Sahja oder Daha

Lieder und ein Tanz aus dem Süden, beduinischen Ursprungs, die in Jordanien, Palästina und bis in den Norden der Arabischen Halbinsel sehr bekannt sind. Der Name Sahja kommt von der Art des Klatschens während des Gesangs; es ist nicht einfach ein Klatschen durch Zusammenklatschen der Handflächen, sondern durch Reiben derselben. Das Klatschen wird durch das Reiben einer Handfläche an der anderen begleitet. Diese Lieder zeichnen sich durch gleichmäßige Rhythmen aus, die die Bewegung der Teilnehmer am kollektiven Dahiya-Tanz regulieren.

Jawfiya

Wie die Hawliya ist auch die Jawfiya eine traditionelle lyrische Kunstform aus dem Süden, zu der auch ein spezieller Dabke-Tanz gehört. Jawfiya-Lieder sind leidenschaftlich-enthusiastisch. Ihre Themen behandeln hauptsächlich Werte der Ehre wie Würde, Stärke, Tapferkeit usw. Man vermutet, dass sich der Name Jawfiya auf die Region Jawf auf der arabischen Halbinsel bezieht, von wo dieser Dabke-Tanz durch die Handelskarawanen, die zwischen der arabischen Halbinsel und dem Hauran unterwegs waren, vermutlich in die Region kam.

Hudaa

Der Hudaa hat seinen Ursprung im langsamen Gesang des Kamelmarktes. Ein Abschnitt des Huda wird Hadwa (Hufeisen) oder Hadawiya genannt. Er kann lang oder kurz sein. Es ist beliebt bei Hochzeitsfeiern und gesellschaftlichen Anlässen. Es wird von der Prozession gesungen, die die Braut zu ihrem neuen Zuhause begleitet.


Volksmusik

Musik im gesellschaftlichen Leben

Neben der Vielfalt an Formen von Volksliedern gibt es eine große Vielfalt an Liedern, die sich auf gesellschaftliche Aktivitäten und Ereignisse beziehen. Es gibt wohl kein gesellschaftliches Ereignis, das nicht von einer Form des Gesangs oder einer musikalischen Darbietung begleitet wird. Es gibt zwei grundlegende Gattungen dieser Art von Musik: Lieder für gesellschaftliche Ereignisse und Arbeitslieder.

| Lieder für gesellschaftliche Anlässe |

Soziale Ereignisse sind eine Gelegenheit für die Gemeinschaft, sich zu treffen und dem Ereignis durch Musik einen angemessenen Ausdruck zu verleihen. Der Anlass kann ein freudiger sein, wie eine Hochzeit oder die Rückkehr eines Hadsch-Pilgers, ein trauriger Anlass, wie ein Todesfall. Auch der Wunsch nach Regen während einer Dürre, oder einfach ein Mannschaftsspiel von Kindern kann von entsprechenden Liedern begleitet werden.Unabhängig davon, ob diese Rituale und Praktiken in verschiedenen Regionen ähnlich oder unterschiedlich sind, gibt es bestimmte Aspekte ihrer Struktur und Durchführung, die unverzichtbar sind, einschließlich musikalischer Begleitung und Gruppen- oder Einzeltänzen. Traditionelle Formen der musikalischen Begleitung von gesellschaftlichen Ereignissen in Syrien sind u. a.

https://www.youtube.com/watch?v=K4LZ4yafJ-U

Hochzeitslieder

Hochzeitsfeiern in vielen Regionen Syriens respektieren immer noch die traditionellen Zeremonien und die speziellen Lieder, die diese Zeremonien in jeder Phase der Hochzeit begleiten: die Vorbereitung der Braut, das Baden der Braut, das Bringen der Braut zum Haus der Familie des Bräutigams, das Verlassen des Hammams durch den Bräutigam, bei dem er von einer Schar junger Männer begleitet wird, die die Arada-Prozession durchführen, die Vorbereitung der Geschenke für die Braut.

Lieder für Kinderspiele

Syrien hat eine junge Bevölkerung; ein Drittel der Syrer ist unter 15 Jahre alt. Diese große Anzahl von Kindern bedeutet, dass sie eine offensichtliche kollektive Präsenz haben, anders als in Ländern mit umgekehrter Bevölkerungspyramide, in denen es nur wenige Kinder und wenige Möglichkeiten gibt, sich zu treffen.Diese soziale Realität bietet einen fruchtbaren Boden für Gruppenspiele und Sport, nicht nur in den Häusern, in denen die Kinder viele Geschwister haben, sondern auch in den Straßen und Gassen, die aufgrund des Mangels an geeigneten Einrichtungen zum Treffen und Spielen zu Spielplätzen für Kinder geworden sind.Einige Gruppenspiele für Mädchen werden mit gesungenen Liedern im Haus gespielt. Dennoch sind die meisten Spiele für Kinder beiderlei Geschlechts, und die Kinder singen ihre Lieder ohne genderspezifische Unterscheidungen zu machen – besonders auf dem Land, wo die religiösen Regeln für das soziale Verhalten weniger streng sind als in den Städten. Dies ist auch an Festtagen der Fall, wenn sich die Kinder auf speziell für das Fest vorbereiteten Orten treffen. Es gibt viele Singspiele, die in allen Gegenden populär sind, mit den gleichen Liedern und einigen relevanten Alternativen, je nach den vorherrschenden lokalen oder regionalen Kulturen

Lieder für bestimmte Ereignisse

In verschiedenen Regionen gibt es eine Reihe von Liedern, die sich auf ein für die Region oder bestimmte Regionen spezifisches Ereignis beziehen. Dazu gehören der Gang zum Friseur in abgelegenen Dörfern, die Feier des Tages vor dem Zuckerfest, die Arada, eine Form der Straßenaufführung, die normalerweise auf einem öffentlichen Platz stattfindet und eine festgelegte lyrische und dynamische Struktur hat, auch wenn sich die Worte je nach Stadt, in der sie stattfindet, oder dem Anlass, zu dem die Arada aufgeführt wird, ändern.

Lieder zur Bewässerung

Die syrische Wirtschaft ist in erster Linie landwirtschaftlich geprägt. Die meisten landwirtschaftlichen Flächen sind Regenfeldkulturen und deshalb vom Regen abhängig. Bleibt dieser aus, führen die Bauern Regenrituale durch, die sozio-religiöse Rituale sind, bei denen sie mit speziellen Gebeten und Gesängen den Himmel anrufen, damit er sie mit Wasser segnet.


| Musik in Verbindung mit Arbeit |

Syrien ist ein landwirtschaftlich geprägtes Land. Die harte Arbeit, die einige Arten der in Syrien produzierten Feldfrüchte erfordern, hat eine passende Form von Gesang, um sie zu begleiten, insbesondere die Ernte von Weizen, Baumwolle und Oliven.

Olivenernte

Die Olivenernte beginnt im Herbst und erfordert eine große Anzahl von Saisonarbeitern. Dieser Prozess wird von zwei Arten von musikalischen Aktivitäten begleitet.

  1. Besuch des Trommlers: Ein Trommler, der von einem Sänger begleitet wird, besucht die Felder und singt für den Feldbesitzer und seine Familie. Wenn es die Zeit erlaubt, verwandelt die Ankunft des Trommlers das Ereignis in einen Tanz, bei dem die Pflücker mitmachen.
  2. Kollektiver Gesang: ein Mann oder eine Frau mit lauter Stimme oder eine Gruppe von Pflückern singen. Diese Lieder waren früher spezifisch für diese saisonale soziale Aktivität. Sie sind jedoch inzwischen ausgestorben und es gibt nur noch Lieder, die auf den Volksmusikformen Dalouna, Mijana und Mawaliya basieren.

Weizenernte

Die Arbeiter bei der Weizenernte werden in kleine Gruppen eingeteilt, die von einem Huda-Lied der Huda-Form begleitet werden. Eine Person mit lauter Stimme, ‚al-hadi‘, meist der älteste Arbeiter, leitet den Gesang und gibt den Ton des Rhythmus an. Es gibt Lieder für jede Phase der Ernte. Neben den Ernteliedern gibt es Lieder für das Laden des Getreides, das Dreschen (Trennen des Korns vom Samenkopf), das Abtragen usw.

Baumwollpflücken

Das Pflücken von Baumwolle erfordert viele Arbeiter. Das macht das Pflücken zu einem jährlichen sozialen Ereignis, bei dem sich Menschen aus verschiedenen Orten treffen. In diesem Umfeld können Beziehungen entstehen, die sich von den traditionellen Beziehungen unterscheiden. Es gibt eine Reihe von Liedern, die sich auf diese Beziehungen beziehen und von denen die Arbeiter bei ihrer Arbeit singen.

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Titelbild: Palestinian Dabkeh – Quelle: Sarah Canbel, CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons


Prof. Hassan Abbas war der Direktor von „Culture as Resistance“ am Asfari Institute for Civil Society and Citizenship der American University of Beirut. Als führender Wissenschaftler und Experte für syrische Kultur erforschte er traditionelle syrische Musik. In seinem Buch „Traditionelle Musik in Syrien“ präsentiert Dr. Hassan Abbas sein Wissen aus jahrelangen und umfangreichen Forschungen über die musikalische Tradition Syriens. Sein Buch ist hier in arabischer Sprache erhältlich.

Nach einem langen Kampf gegen eine Krankheit verstarb Prof. Abbas im März 2021. Das Team des Projekts „Interactive Heritage Map of Syria“ ist für immer dankbar, dass es die Chance und das Privileg hatte, mit Prof. Abbas zu arbeiten und von seinem brillanten Geist zu lernen.

Musik & Religion

  1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

by Prof. Hassan Abbas

Die Levante ist die Geburtsstätte der drei großen monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Alle diese Religionen sind entweder in der Region entstanden oder haben sich dort entwickelt und ausgebreitet, sich in Sekten aufgeteilt und in den Rest der Welt verbreitet.

Obgleich die Region Konflikte zwischen den Anhängern der drei Religionen gesehen hat, existieren ihre Kulturen noch immer als unterschiedliche Komponenten der syrischen Kultur nebeneinander.

Entdecken Sie die Musik Syriens aus der Perspektive der verschiedenen Religionen:

Christliche Musik 

‎Das Christentum kam von Palästina aus und verbreitete sich über die ganze Welt. Syrien war das Land, in dem die frühen Stätten der neuen Religion gegründet wurden. Es gibt immer noch eine starke christliche Präsenz in Syrien. Volkserzählungen und Geschichten aus der Frühzeit des Christentums berichten über die ersten Heiligen und ihren Zusammenkünften in Höhlen. Klöster und Kirchen aus allen Epochen zeugen noch heute von der starken christlichen Präsenz in der Region. Es gibt elf verschiedene Kirchen in Syrien, von denen drei Arten von Kirchenmusik unterschieden werden können: Syrisch, byzantinisch und armenisch.

| Syrische Musik‎ |

Musik & Religion
Mosaik des heiligen Ephrem der Syrer (306-373 n. Chr.) in Nea Moni, Chios (11. Jahrhundert)
Quelle: anonymus, lizenzfrei über Wikimedia Commons

‎Die Syrisch-Orthodoxe Kirche hat ihren Ursprung in Edessa (dem heutigen Urfa). Die Anhänger rezitierten einfache Hymnen aus dem hebräisch-jüdischen Erbe. In den ersten drei Jahrhunderten des ersten Jahrtausends n. Chr. verfassten einige der Kirchenväter, wie der Philosoph und Dichter Bardaisan von Edessa (154-222 n. Chr.), neue Texte für Gebete und Hymnen mit lokalen Melodien.

Der heilige Ephrem der Syrer (306-373 n. Chr.) glaubte, dass Bardaisans Melodien die jungen Menschen von ihren religiösen Pflichten ablenkte. Er produzierte daher neue ernste Hymnen mit liebenswerten, schönen Melodien. Er war außerdem Gründer eines Mädchenchor in Edessa, der während der Gebete und Gottesdienste auftrat. Durch die Hymnen, die bis heute existieren, konnte er die damalige Jugend anziehen und die meisten von ihnen zurück in die Kirche bringen.

Die Syrisch-Orthodoxe Kirche erlaubt den Gebrauch von Musikinstrumenten und die musikalische Begleitung von Gottesdiensten und Gesängen innerhalb der Kirche nicht. Diese Position wird von allen östlichen orthodoxen Kirchen geteilt.

Die syrisch-christliche religiöse Musik kann auch als eine Form der ethnischen Musik betrachtet werden, da sie die Musik des aramäischen Volkes repräsentiert, das im östlichen Mittelmeerraum lebte und seine Präsenz als Volk und Sprache von 1500 v. Chr. bis zum Beginn des zehnten Jahrhunderts n. Chr. aufrechterhielt (bis heute gibt es drei Dörfer in der Nähe von Damaskus, die Aramäisch sprechen).‎

Das Syrische Lied Padre Nuestro gesungen von Linda Alahmad

| Byzantinische Musik‎ |

‎Nach den ersten vier Jahrhunderten des Christentums differenzierte sich die Kirchenmusik durch die wachsenden Unterschieden in den verschiedenen Kirchen. Die byzantinische Kirche verwendete das syrische Tonsystem, nachdem sie zahlreiche Ausarbeitungen und Änderungen daran vorgenommen hatte.

Im sechsten Jahrhundert legte der syrische Heilige Severus von Antiochia (465 /459-538 n. Chr.), der Patriarch von Antiochien, ein musikalisches System fest, das auf acht Modi (al-Han) basiert. Er verwendete die östlichen Maqams (melodische Modi), die im heutigen Sprachgebrauch als bayati, rast, saba, hijaz usw. bekannt sind. Dieses System bildete die Grundlage der byzantinischen Kirchenmusik. Papst Gregor benutzte es, um das als Ambrosianischer Gesang und später Gregorianischer Choral bekannte Gesangssystem zu entwickeln, das von der römisch-katholischen Kirche verwendet wurde.

Im 19. Jahrhundert entstand aufgrund großer Entwicklungen in der byzantinischen Kirchenmusik, vor allem durch den Einfluss der arabischen und persischen Musik, eine Reformbewegung, die von drei Kirchenmännern angeführt wurde. Sie bildeten die Grundlagen der byzantinischen Musik und legten das sogenannte „Drei-Lehrer“-Notationssystem, das bis heute in Gebrauch ist, fest.

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hielten die meisten Kirchen in Syrien die Gottesdienste in griechischer Sprache ab, da sie dem mehrheitlich griechisch-orthodoxen Patriarchat von Antiochien folgten. Während der Messe verwendeten sie die syrische Sprache für die Worte der Konsekration. Der Gesang in arabischer Sprache begann mit Yusuf Al-Domani, der aus Konstantinopel kam, um die byzantinische Kirchenmusik zu lehren. Sein Schüler Metri Al-Murr (1880-1969 n. Chr.) lieferte die Notation für diese neue Tradition.

Byzantinisches Kirchenlied Rejoice, O Queen gesungen von Juman Abdullah und Elias Bouras.

Ison

Das Hauptmerkmal des byzantinischen Gesangs ist der „Ison“, ein Gesang, der von einer kleinen Anzahl des Chors in einem ausgedehnten Atemzug vom Anfang bis zum Ende des Gesangs gesungen wird. Bei einem Wechsel des jins wird das „ison“ auf dem Ton des neuen jins gesungen, usw.

| Armenische Musik |

In Armenien (damals Großarmenien) wurde das Christentum bereits früh angenommen, weshalb es als der erste christliche Staat in der Geschichte gilt. Wie andere Nationen sangen die Armenier die Psalmen in ihren Kirchenritualen, bevor sie begannen, ihre eigenen Gesänge zu komponieren.

Zu Beginn des fünften Jahrhunderts erfand eine Gruppe von Gelehrten mit Hilfe der syrischen Kirche in der syrischen Stadt Edessa (Urfa in der heutigen Türkei) im Jahre 406 n. Chr. die Buchstaben der armenischen Sprache. Der wohl bekannteste Gelehrte unter ihnen war der Heilige Mesrop Maschtots (361-440 n. Chr.). Im selben Jahr wurde die Heilige Bibel ins Armenische übersetzt. Es war ein Anstoß, die Notation der liturgischen Texte mit armenischen Melodien zu vervollständigen. 

‎Am Ende des sechzehnten Jahrhunderts hörte die Vertonung armenischer Musik auf. Dies setzte sich bis ins zwanzigste Jahrhundert fort, was zum Verlust eines großen Teils des armenischen musikalischen Erbes führte. Der Erhalt armenischer Melodien wird größtenteils dem Priester Komitas Vardapet (Soghomon Gevorki Soghomonian,1869-1935 n. Chr.) zugeschrieben, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Polyphonie in die armenische Musik einführte und eine Sammlung armenischer Melodien anfertigte, die einen letztendlichen Verlust verhinderte. Komitas gilt als der Begründer der modernen klassischen armenischen Musik. Der Großteil seiner Arbeit konzentrierte sich auf die Sammlung und Notation von Volksmelodien und die Betonung der ethnischen Qualitäten der armenischen Musik.

Nach der Ankunft der Armenier in Syrien Mitte der 1920er Jahre entstanden armenische Kirchen, insbesondere orthodoxe Kirchen, in größeren syrischen Städten. Die armenische religiöse Musik wurde so zu einem integralen Bestandteil der traditionellen religiösen Musik in Syrien.


Jüdische Musik

Juden waren bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhundert ein integraler und fester Bestandteil der syrischen Gemeinschaft. Heute leben nur noch sehr wenige Juden in Syrien. Trotzdem haben sie zu allen Aspekten des syrischen Kulturlebens beigetragen, deren Einfluss bis heute anhält.

Die Arten syrisch-jüdischer religiöser Musik unterschieden sich nicht von anderen, die von Juden in ihren Gebeten verwendet wurden. Es gibt auch keine für sie spezifische säkulare Musik. Allerdings wurden einige jüdische Musiker in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts berühmt, vor allem in Syriens wichtigster Musikstadt, Aleppo.

Musik & Religion
Eine jüdische Familie in ihrem traditionellen Damaszener Haus in Damaskus (1901) Quelle: lizenzfrei über Wikimedia Commons

Zu ihnen gehören der Oud-Spieler Nasim Murad, die Sängerin Esther Al-Hakim, bekannt als Tira, und der als Fairouz (Mamish) bekannte Sänger von Aleppo. Esther al-Hakim war eine berühmte jüdische Sängerin und Teil der Theatergruppe, die vom Gründervater des Damaszener Theaters Abu-Khalil al-Kabbani gegründet wurde. Osmanische Dokumente berichten, dass die Gruppe 1839 nach Chicago reiste, um dort aufzutreten. Man glaubt, dass ihr Spitzname Tira (Vogel) das bekannte Lied Ya Tira Tiri Ya Hamama inspiriert haben soll, das von al-Kabbani komponiert wurde. Fairouz Mamish, auch bekannt als Fairouz aus Aleppo, war eine jüdische Sängerin aus Aleppo (1895 – 1955). Sie nahm mehrere Lieder mit dem Komponisten und Pianisten Antoine Zabita (1914-1979), dem Geiger Sami al-Shawa (1885-1965) und dem jüdischen Oud-Spieler Shehadeh Saadeh auf.

Musik & Religion

Haben Sie gewusst?

Während sich Feste und Musikarten von Juden in Syrien nicht von denen anderer Regionen unterscheiden, wurde die syrisch-jüdische Liturgie in der Toralesung maßgeblich von der arabischen Musik und dem arabischen Modalsystem (Maqam) beeinflusst. So greifen einleitende Gebete des syrischen morgendlichen Schabbatservice häufig auf den Maqam zurück. Der Maqam änderte dabei nicht, wie die Tora gelesen wurde, sondern mit welcher Melodie sie gesungen wurde, indem Maqamat wie hijazi für traurige und ajam für fröhliche Anlässe verwendet wurden. In einigen Fällen basieren die Melodien von Pizmonim (jüdische Anbetungslieder) sogar auf arabischer Popmusik – nur die Texte werden angepasst, um den hebräischen Gott anzubeten.

| Berühmte jüdische Sängerinnen und Sänger |

Esther al-Hakim

Sabah Fakhri performt das Lied „Ya Tira Tiri Ya Hamama“ was von dem Spitznamen Tira, von Esther al-Hakim, inspiriert sein soll.

Fairouz of Aleppo

Der berühmte Song Ya Mayila ‘alghusson gesungen von Fairouz of Aleppo in 1926.


Islamische Musik‎‎

Die Position des Islams zur Musik ist mehrdeutig und widersprüchlich. Allgemein gibt es zwei Haltungen zu diesem Thema: Eine Meinung besagt, dass der Islam Musik verbietet, während die andere sicher ist, dass er sie erlaubt. Tatsache ist, dass der Koran, die oberste Verfassung für Muslime, in dieser Angelegenheit völlig neutral ist. Der Koren enthält keinen Hinweis, der Musik erlaubt, vorschreibt oder fördert, aber gleichzeitig gibt es auch keinen Hinweis, der sie verbietet, ablehnt oder Abneigung gegen sie impliziert. Das islamische Recht ist voll von widersprüchlichen Haltungen und Rechtsgutachten (Fatwas) zu diesem Thema. Gleichzeitig bietet die islamische Geschichte eine Fülle von Geschichten über den Genuss von Musik, Gesang und Tanz, wobei die Musik von allen Teilen der islamischen Gemeinschaft, bei den Versammlungen der religiösen und politischen Autoritäten sowie im sozialen Leben der muslimischen Gemeinschaft verwendet wurde.

In der Zeit der ersten nahda (arabischen Renaissance) unter Muhammad Ali Pascha (1760-1849 n. Chr.), dem Herrscher von Ägypten, wurde die Musik zu einer Aktivität, die vom Staat gefördert und überwacht wurde. Es wurden Militärmusikkapellen gegründet und Schulen für den Musikunterricht eingerichtet. Seitdem wurde die Musik zu einem Faktor der Modernisierung in Ägypten und Syrien. Musik wurde zu einem wichtigen Bestandteil des alltäglichen Lebens der gesamten Gemeinschaft, fernab der Autorität der Religion und ihrer Scheichs. Der Islam hat in die Musik und ihre spirituelle und emotionale Wirkung investiert. Er hat die Musik an seine Lehren angepasst, so dass sie zu einem festen Bestandteil vieler religiöser Praktiken und Rituale wurde. Viele  dieser offiziellen Rituale gibt es nur im Islam. Dies sind die wichtigsten islamischen Musikformen:

Der kollektive Ruf zum Gebet in der Umayyaden-Moschee in Damaskus. Lobpreis und Gebet for den Propheten Mohammad wird individuell gesungen und kann im Video in Minute 03:25, 04:51 und 05:25 gehört werden.

Adhan

Der Adhan ist der Ruf zum Gebet, der von einem Muezzin mit einer schönen Stimme gesungen wird. Er folgt dem Beispiel des Propheten Muhammad, der den ersten Muezzin im Islam, Bilal, wegen seiner schönen Stimme auswählte. Der Adhan besteht aus einer festgelegten Anzahl von Sätzen, zu denen in einigen Ländern von einigen Sekten oder Konfessionen Teile hinzugefügt werden.

‎‎Musikalisch darf er nicht von einem Musikinstrument begleitet werden. Meistens hat er eine feste Melodie (hijaz oder rast maqam).  Einige Scheichs mit besonderer musikalischer Begabung zögern jedoch nicht, den Adhan in ihrem eigenen einzigartigen Stil vorzutragen und so einer heiligen religiösen Handlung ihren eigenen Stempel aufzudrücken. In einigen Städten, in Syrien und anderswo, rezitieren die Muezzine vor Beginn des Adhans Verszeilen, die als Mahnungen oder Rezitationen bezeichnet werden, insbesondere vor dem Adhan für das Morgengebet (fajr) an gewöhnlichen Tagen, das Nachtgebet (isha) am Donnerstagabend und das Mittagsgebet (zuhr) am Freitag. Einige Scheichs führen den Adhan manchmal als kollektiven Chor aus, wie in der Umayyad-Moschee in Damaskus. 

Dhikr

Dhikr sind eine islamische Form der Anbetung, bei der der Anhänger einzeln oder in der Gruppe Gott gedenkt. Dhikr-Versammlungen sind soziale religiöse Zusammenkünfte, die Menschen in Moscheen, zawayas (Sufi-Logen) oder zu Hause zusammenbringen. Das Treffen findet zu festen Zeiten statt, die nicht mit religiösen Anlässen verbunden sind. Die Hauptfeierlichkeiten finden jedoch zu religiösen Anlässen statt, insbesondere zu Mawlid, wenn mehrere hundert Menschen am Dhikr teilnehmen können.

Eine Dhikr-Session (Hadra) aufgenommen in Az-Zawiya As-Saʿdiyya in Damaskus in 2010

Der Dhikr beginnt mit Rezitationen aus dem Koran und nimmt dann je nach Stil des Rezitators (munshid) unterschiedliche Verläufe. Der Dhikr besteht aus verschiedenen Abschnitten, die al-Fusul genannt werden. Jeder Abschnitt hat seine eigenen Worte, Gesänge und Bewegungen. Es gibt keine feste Anordnung für die Abschnitte. Der munshid baut in die Abschnitte muwashaha, qudud und mawwals ein, die sich jedes Mal ändern, je nach seinen stimmlichen Fähigkeiten, seinem Repertoire oder sogar seiner Stimmung.

Einige Sufi-Orden haben spezielle Praktiken, die den Dhikr begleiten. Im Rifa’i-Orden/der Tariqa zum Beispiel führen einige Teilnehmer des Dhikr ein Body-Piercing-Ritual durch, bei dem Metallspieße unterschiedlicher Länge in bestimmte Körperregionen gesteckt werden. Meist sind dies die Wangen, die Zunge, die Lenden und der Bauch, ohne dass Blut fließt. Dies gilt als eines der Wunder ihres Ordens.

Der Mevlevi-Orden

Der Mevlevi-Orden führt als Teil seines Dhikr ein „Wirbel“-Ritual durch, dessen Geheimnisse, so heißt es, der Ordensgründer Maulana Jalaluddin Rumi 1244 n. Chr. von Shams Tabrizi in Konya erhalten hat. Das Wirbel-Ritual wird von einer Gruppe von Teilnehmern, den Derwischen, durchgeführt, aber nicht von allen, da eine lange Erfahrung und Ausbildung erforderlich ist, die nicht alle Mitglieder des Ordens haben.

Aufnahmen einer Sufi-Versammlung (Majlis) nach der Art der Mevlevi, aufgenommen in April 2019 am at-Tikiyya al-Mawlawiya in Damaskus.

| Islamische Feste |‎‎

‎‎Es gibt viele religiöse Feste, die an allen Orten der Welt, in denen Muslime leben beobachtet werden können, bei denen die Gläubigen einfache Sätze, Bittgebete oder Gebete mit zu meist festgeschriebenen Melodien gemeinsam singen. Die meisten dieser Feste sind Männern vorbehalten, vor allem, wenn sie in öffentlichen Räumen wie Moscheen stattfinden. Einige Feste, wie der Geburtstag des Propheten (mawlid), sind auch rein weiblich. Die wichtigsten Feste sind:

Takbirat al-Eid: mehrmalige Gesänge von Allah Akbar an Eid Al-Fitr, am Ende des Ramadan, und Eid Al-Adha, nachdem die Hajj-Rituale abgeschlossen sind.

Mawlid an-Nabi: Der Geburtstag des Propheten Muhammad wird im Monat Rabi ul-Awwal, dem dritten Monat des Mondkalenders, gefeiert. Dies ist das wichtigste religiöse Fest für sunnitische Muslime. Bei der Mawlid-Feier werden Passagen aus dem Koran rezitiert, entweder von einem einzelnen Rezitator oder kollektiv von der in der Moschee versammelten Menge.

| Besondere Feste |

Besondere Feste sind solche, die nicht von allen Muslimen gemeinsam, sondern nur von einer Gruppe oder Sekte gefeiert werden. Syrien beheimatet zahlreiche Sekten und Konfessionen, die jeweils ihre eigenen Rituale praktizieren. Diese werden von einer besonderen Art von Musik begleitet oder beziehen populäre Musikstile ein, indem sie Worte auf eine bestimmte Art und Weise verändern, um ihren Ideen oder Überzeugungen zu entsprechen. Die Teilnahme von Frauen an diesen speziellen Festen hängt von der jeweiligen Haltung, die jede Sekte oder Konfession im Bezug auf Frauen und ihrer Rolle in der Gesellschaft hat. Zu den Festen gehören. Diese Feste sind:‎

„Das vierte Fest“ (Eid ar-Rabiʿ): der vierte April nach dem julianischen Kalender oder der siebzehnte April nach dem gregorianischen Kalender wird von den Alawiten gefeiert. Dieser Tag markierte in lokalen altertümlichen Zivilisationen das Neujahr oder das Frühlingsfest.

„das Fest der Freude in Gott“ (Eid al-Faraḥ bi-Allah):: Dieses Fest findet am 25. August statt und ist das einzige Fest der Murshidi-Sekte, das an den Beginn der Murshidi-Schule durch ihren geistigen Führer Mujib bin Salman al-Murshid am 25. August 1951 n. Chr. erinnert. Die Rituale des Festes finden in eigens für diesen Anlass errichteten Festzelten statt, die Plätze genannt werden.

„das Fest des Donnerstags der Scheichs“ (Yawm Khamis al-Mashayyikh): Der letzte Donnerstag im April wird den Sufi-Scheichs gewidmet, die ihre Wunder zeigen. Das Fest beinhaltet eine Parade von Anhängern der Sufi-Bruderschaft, die von Musikern und Fahnenträgern begleitet wird. Nach dem Besuch der Gräber der Meister der Bruderschaft geht die Gruppe zu einem Platz, wo ein religiöser Tanz abgehalten wird und die Scheichs ihre Wunder den vielen Zuschauern zeigen.

Ein Trauerlied für das Aschura-Fest, gesungen von Radduds: Mohammad Muhaidali, Youssef Saad al-a’mili and Ali Fares

Aschura-Fest (Ihtifalat ʿAshura‘): Der zehnte Tag des Muharram, dem ersten Monat des islamischen Hijri-Kalenders, ist es ein Tag von enormer Bedeutung für die schiitische Sekte. Ashura erinnert an die Ereignisse in Karbala, als der dritte Imam, Hussain ibn Ali, den Märtyrertod erlitt. Jedes Jahr hält eine große Gruppe von Anhängern der schiitischen Sekte Zeremonien und Rituale ab, um diesem Ereignis zu gedenken und es in der kollektiven Erinnerung der Anhänger zu verankern. Die Geschichte wird erzählt und bestimmte Gesänge werden von erfahrenen und spezialisierten Scheichs vorgetragen. Die Lieder, die das Fest begleiten, können von einem „zivilen“ Rezitator vorgetragen werden, der als Radood bekannt ist.


Gemeinsame Feste

In Syrien gibt es viele Feste, deren Zeremonien einen deutlichen Bezug zur Natur bewahren und eine Feier der Natur durch die landwirtschaftliche Gemeinschaft beinhalten. Feste Ende März und Anfang April, deren Ursprünge im antiken Neujahr und der Wiederkehr des Frühlings liegen, sind Beispiele dafür. Einige dieser Feste beziehen sich auf das Blühen von Blumen und haben unterschiedliche Namen; so feiern zum Beispiel christliche Konfessionen den „Floralen Donnerstag“ (Khamis al-zuhur, im Deutschen Gründonnerstag) und die Sunniten den „Donnerstag der Blumen“, und die Alawiten das „Blumenfest“ (der Name, der dem „vierten“ Fest gegeben wurde). Manche bezeichnen den Beginn der Weizenaussaat als den Tag der Heiligen Barbara, der für die westlichen christlichen Konfessionen der 7. Dezember und für die östlichen christlichen Konfessionen der 14. Dezember ist. Der Tag der Heiligen Barbara wird auch von den Alawiten gefeiert.

Die Feier dieser Feste in Gegenden mit religiöser Vielfalt beinhaltet, dass Kinder aller Glaubensgemeinschaften die gleichen Gesänge singen, während sie durch die Straßen laufen und von Haus zu Haus gehen, um Geschenke von den Bewohnern zu sammeln.

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Titelbild: Mosaik von weiblichen Musikerinnen, gefunden in einer byzantinischen Villa in Maryamin, Syrien (spätes 4. Jahrhundert – frühes 6. Jahrhundert) – Quelle: Gemeingut via Wikimedia Commons


Prof. Hassan Abbas war der Direktor von „Culture as Resistance“ am Asfari Institute for Civil Society and Citizenship der American University of Beirut. Als führender Wissenschaftler und Experte für syrische Kultur erforschte er traditionelle syrische Musik. In seinem Buch „Traditionelle Musik in Syrien“ präsentiert Dr. Hassan Abbas sein Wissen aus jahrelangen und umfangreichen Forschungen über die musikalische Tradition Syriens. Sein Buch ist hier in arabischer Sprache erhältlich.

Nach einem langen Kampf gegen eine Krankheit verstarb Prof. Abbas im März 2021. Das Team des Projekts „Interactive Heritage Map of Syria“ ist für immer dankbar, dass es die Chance und das Privileg hatte, mit Prof. Abbas zu arbeiten und von seinem brillanten Geist zu lernen.

Jazz Lives in Syria

  1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

von Hannibal Saad

Die Geschichte des Jazz Lives in Syria Festivals beginnt mit meiner Rückkehr nach Syrien im Jahr 2004, nachdem ich viele Jahre in den USA gelebt hatte. Ich traf auf ein anderes Land als das, das ich in den 90er Jahren verlassen hatte, als viele Musiker den Drang verspürten, auszuwandern, weil sie das Gefühl hatten, dass es für sie keine Möglichkeiten gab, zu spielen und erfolgreich zu sein. Es war schon immer mein Traum gewesen, eine Plattform für syrische Musiker zu gründen, auf der sie miteinander und mit anderen internationalen Künstlern zusammenarbeiten konnten, und ich konnte eine frische Energie und neue Möglichkeiten spüren. Es war der perfekte Zeitpunkt, um etwas Neues zu beginnen, und als es dann soweit war, schlossen sich viele der Reise an, darunter großartige Musiker, Kulturzentren und Partner wie das Higher Institute of Music und die Schweizer Botschaft in Damaskus. Die einzigartige Geschichte des Festivals war nicht nur ein Traum, der wahr wurde, sondern der Beginn einer Entdeckungsreise. Ich war begierig darauf zu verstehen, wie wir ein solides Fundament schaffen konnten, auf dem die Jazzfestivalszene gedeihen und Wurzeln schlagen kann. Ich wusste, dass ich dafür die historischen Entwicklungen und den Kampf meiner Vorgänger verstehen musste. Ich begann mich also auf die Spuren des Jazz in Syrien zu begeben und meine Suche nach Antworten führte mich zu einer großen Entdeckung eines langen, eher unbeachteten Teils der syrischen Musikgeschichte.

Die Geschichte des Jazz in Syrien

Anders als manche denken würden, hat Syrien eine sehr lange und lebendige Geschichte mit Jazzmusik. Ihre Anfänge lassen sich bis in die 1930er Jahre zurückverfolgen, zur gleichen Zeit, als das Land Tango-, Rumba- und Sambamusik entdeckte, mit Aleppo und Damaskus als führenden Städten – beide mit ihrer ganz eigenen und unterschiedlichen Jazzszene.

Under the Sky of Damascus

Eine der frühesten Aufzeichnungen des Jazz in Syrien findet sich in dem Film Under the Sky of Damascus (Taht sama’a Dimashq). Der in 1932 gedrehte Film ist einer der ersten Stummfilme Syriens und gilt bis heute als einer der Schätze des syrischen Kinos, der einen Einblick in die jazzige Vergangenheit von Damaskus gibt.

Der Film „Under the Sky of Damascus“ (Quelle: Youtube)

https://www.youtube.com/watch?v=WEqiZdOVyu0&t=764s

Wenn man in alten Zeitschriften des frühen 20. Jahrhunderts blätterte, fand man gelegentlich Anzeigen für westliche Jazz-Konzerte, die in der Nähe des Marjeh-Platzes in Damaskus stattfanden. Es war Adnan Abu Alshamat selbst, der bekannte syrische Komponist, der mir erzählte, dass er 1945 im Canon Garden in Damaskus eine Big Band sah, in der die französische und syrische Armee spielte. Die syrische Gemeinde in Damaskus begann schnell, diese Melodien zu übernehmen und schuf ihre eigenen Arrangements. Bereits 1943 gründeten die Musiker Hisham Al-Shamaa, Hassan Derkzenly und Shukri Shawkli die erste syrische Jazzband und traten bis zu ihrer Auflösung im Jahr 1947 auf. Hisham Al-Shamaa gründete seine eigene Gruppe „The band for contemporary music“ und ging kurz darauf nach Ägypten, um an der Musikakademie von Fouad I. zu studieren. Hassan Derkzenly gründete währenddessen eine syrische Jazzband, die bis 1968 auf öffentlichen Plätzen sowie in Radio und Fernsehen auftrat.

Die Jazzzene in Aleppo ist bis heute relativ unerforscht. Aufzeichnungen aus Aleppo sind bescheiden, aber sie offenbaren die Rolle der Stadt als Zentrum für Jazzmusik-Aktivitäten. In den 70er Jahren wurden die Nachtclubs und Ballsäle in Aleppo von Familien und der gebildeten Mittelschicht besucht. Hier traten nicht nur die besten Musiker der Stadt auf, sondern sie spielten auch eine Schlüsselrolle dabei, dem Publikum die Jazzmusik im täglichen Leben näher zu bringen. Wenn wir über Aleppo sprechen, ist die richtige Person, mit der wir beginnen sollten, der libanesisch-armenische Musiker Vatché Yeramian, eine der einflussreichsten Persönlichkeiten in der Geschichte der Jazzmusik in Syrien und der Gründer der ersten syrischen Big Band in Damaskus im Jahr 1978. Yeramian hatte ein außergewöhnliches Talent, spielte Saxophon und Geige und war bekannt für seine bescheidene Persönlichkeit und seine musikalischen Leistungen auf Weltklasseniveau.

Jazz Lives in Syria
Albumcover „The Touch“ aus dem Jahr 1983 von Vatché Yeramian & Ihsan Al-Munzer
Jazz Lives in Syria
Schallplattenalbum „The Touch“ aus dem Jahr 1983 von Vatché Yeramian & Ihsan Al-Munzer

Doch trotz seines großen Talents starb er in Armut in Aleppo. Zu seinen Schülern zählten Nouri Eskandar, Hratch Kassis, Tarek Fahham und Salem Bali. Hratch Kassis, der in den USA an der Berkley University in Boston Jazz studiert hatte, gründete mit anderen großen Musikern in Aleppo eine Jazzband und trat alle zwei Wochen im Kulturzentrum von Aleppo auf. Einige verdienten ihren Lebensunterhalt damit, in Nachtclubs zu spielen, damit sie unentgeltlich im Kulturzentrum auftreten konnten. Es verdeutlicht, wie sehr die Jazzszene in Syrien bereits akzeptiert war, noch bevor westliche Institutionen begannen, sich in der Szene zu engagieren. Mit seinem Bruder Berj gründete Hratch in den 90er Jahren die Aleppo Big Band nach dem Vorbild von Vatché Yeramian in Damaskus. Viele Musiker wurden von 1995 bis 2002 in der Armenischen Allgemeinen Wohltätigkeitsorganisation aktiv und 2005 bildete sich eine Big Band im armenischen Club. Die armenische Gemeinde spielte eine wichtige Rolle bei der Verbreitung der Jazzmusik in Aleppo, insbesondere im Zusammenhang mit der Eröffnung des Dar Al Tarbieh Theaters, das 800 Personen aufnehmen konnte und in dem Konzerte und Auftritte von hochkarätigen aleppinischen und armenischen Musikern stattfanden.

Die Stadt Aleppo brachte auch den berühmten Jazzmusiker Nadim Darwish, Sohn von Ali Darwish, hervor, der für die Wiederbelebung arabischer traditioneller Musik bekannt war. Aleppiner Jazzmusiker verbreiteten sich später auch außerhalb der Stadt und begannen, in Städten wie Tartous, Lattakia, Al Raqqa, Qamishli und Hasakeh durch ganz Syrien zu touren und die Jazzmusik einem neuen Publikum nahezubringen. Auch Musikläden spielten damals eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Jazzmusik in Aleppo, wie der Musikladen „Solina“ des Gitarristen Radwan Zein Eddin, der Laden „Shadows“ und viele andere Musikläden im Viertel Bab El Faraj, die heute in Restaurants und Geschäfte umgewandelt wurden.

In den späten 80er Jahren begann Jazzszene in Aleppo kleiner zu werden; die elitären Jazzclubs verloren ihr Publikum und spielten mehr populäre Musikgenres. Auch in Damaskus verlieren sich in den 80er Jahren die Spuren des syrischen Jazz, bis Vahe Temrejian und Johnny Commovitch mit ihrer Band „Tigers “ die Szene wiederbelebten und zu einem kleinen Höhepunkt des Jazz in Aleppo führten.

Vahe Temrejian´s Musikstück Leyli Tawil (Quelle: Youtube)

Die Gründung des Higher Institute of Music and Theatre in den 90er Jahren ebnete den Weg für das akademische Studium von Blechblasinstrumenten und schließlich die offizielle Anerkennung der Jazzmusik, gefolgt von der Gründung eines Blechbläserquintetts durch den Musiker und Gründer des Instituts Solhi Al Wadi. Es entstand sogar ein Jazz-Café mit dem Keyboarder Asem Albunni, dem Bassisten Garo Salakian, dem Saxophonisten Iyad Tarazi und dem Schlagzeuger Tarek Fahham.

Das erste Jazz-Festival

Jazz Lives in Syria
Euro-Arab Jazz Festival – Jazz Caravan in 1996

In den 90er Jahren fand auch das erste Jazzfestival in Damaskus und Aleppo statt: Das erste Euro-Arab Jazz Festival – Jazz Caravan wurde 1995 mit Unterstützung der Europäischen Kommission in mehreren Städten, darunter Damaskus, Aleppo und Dayr az-Zawr, veranstaltet. Diese bahnbrechende Veranstaltung führte das Konzept des Corporate Sponsoring von kulturellen musikalischen Aktivitäten in Syrien ein, indem sie private Sponsoren zusammenbrachte, ohne die dieser Traum nicht möglich gewesen wäre. Einer der Faktoren, der eine Schlüsselrolle bei der Höhe des zugewiesenen Budgets für das Festival spielte, war die Erklärung von Barcelona im Jahr 1995, in der anerkannt wurde, dass die Länder des südlichen Mittelmeerraums in der europäischen Kulturagenda berücksichtigt werden sollten. Das Festival selbst bezog regionale Musiker ein und schuf Partnerschaften zwischen lokalen und internationalen Teilnehmern. Innerhalb von drei Jahren (1994 – 1997) stieg die Zahl der am Festival teilnehmenden Bands von 6 auf 14. Das Euro-Arab Jazz Festival wurde zu einem Höhepunkt des kulturellen Austauschs mit Konzerten, Workshops, Fotografie- und Designwettbewerben. Es schlug jedoch keine Wurzeln in Syrien, als das Festival seine interkulturelle Essenz änderte und nur noch europäische Jazzkünstler auftraten.

Diese Veränderung des Zusammenspiels und damit der kritische Mangel an syrischen Jazzmusikern führte schnell zu einem Ende dieses Festivals. Dennoch hinterließ es Spuren in der Entwicklung einer international agierenden Kulturwirtschaft in Syrien.

Die Gründung des Syrian Jazz Orchestra

Im Jahr 2004 machte ich mich daran, eine Plattform und ein Zentrum zu schaffen, in dem sich diese Musiker entfalten konnten. Zusammen mit Nada Oman Alaeddine organisierte ich mit finanzieller Unterstützung des Schweizer Botschafters Jaques de Watteville einen ersten Jazz-Workshop. Begleitet wurde er vom Higher Institute of Music in Damaskus und dem Jazzman Amadis Dunkel mit seinem Oktett, der später mit uns und lokalen Musikern in Damaskus zu arbeiten begann. Der Erfolg dieses Workshops auf allen Ebenen war beispiellos. Wir waren fasziniert von den vielen großartigen Musikern, die uns ihre Talente offenbarten und waren hungrig auf weitere Aktivitäten. Mit Unterstützung von Athil Hamdan, Cellist und Direktor des Higher Institute of Music, konnten wir Studenten des Instituts versammeln, um die Jazzszene in Syrien aufzubauen. Wir dehnten die Workshops auf andere Teile Syriens aus und begannen, interessierte Musiker aus ganz Syrien zu identifizieren und zu kartieren, was bis dahin ein unerforschtes Terrain war. Doch das Fehlen von Ausbildungsinstitutionen stellte ein großes Hindernis für die Entwicklung eines hochkarätigen Jazz in Syrien dar. Im Jahr 2005 konnten wir mit der Gründung der Big Band auf diesen Mangel reagieren.

Die Big Band begann mit dem Einstudieren und Aufführen klassischer Standards aus dem internationalen Jazzrepertoire, etablierte aber schließlich ihre eigene Identität als syrische oder arabische Big Band.

Auf Entdeckungsreise: Videoserie der Big Band

Die Syrian Big Band beim Jazz Lives in Syria mit Houry Apartian (I Got the World on a String) in 2006 (Quelle: Youtube)

Syrian Big Band beim Jazz Lives in Syria 2006 arrangiert von Kalvin Jones (Quelle: Youtube)

Syrian Big Band beim Jazz Lives in Syria 2005 mit Houry Apartian mit dem Musikstück „Alone Together“ (Quelle: Youtube)

Das daraus resultierende einzigartige Repertoire wurde schnell zum Markenzeichen der Syrian Big Band: ein solides Jazz-Musikfundament, das andere Musikgenres und -stile, einschließlich arabischer und traditioneller syrischer Musik, sowie die eigenen musikalischen Ideen der Musiker aufnehmen und übernehmen kann, ohne deren Essenz zu beeinträchtigen.

Syrian Big Band beim Jazz Lives in Syria mit Rapeinlage von Khaled Omran in 2008 (Quelle: Youtube)

Sham Ya za Alseif mit Linda Betar, Moslem Rahal und Firas Shahrestan in 2005 (Quelle: Youtube)

Syrian Big Band Kinan Idnawi mit in 2008 mit dem Musikstück Gallows von Frank Carlberg (Quelle: Youtube)

Unter den vielen bedeutenden syrischen Jazzkomponisten des Syrian Jazz Orchestra ist vor allem der Dirigent und Arrangeur Nareg Abajian zu nennen, der eine unglaubliche Anzahl von 40 wundervollen Stücken für die Big Band komponiert hat. Bis heute ist Abajian ein wichtiger Teil der modernen Jazzszene in Syrien. Andere Dirigenten wie der finnische Pianist und Komponist Frank Carlberg schrieben und dirigierten für uns und gaben der Big Band einen modernen und doch sehr speziellen Charakter.

Die Liste der talentierten syrischen Bands ist endlos und umfasst leidenschaftliche Musiker wie Basel Rajjoub, Omar Harb, Amro Hammour, Viken Tchalian, Nizar Omran, Houry Apartian, Shohag Apartian, Lena Chammamyan, Racha Rizk, Ibrahim Soulaymani, Dulama Shehab, Tarek Skaikar, und andere. Viele von ihnen, wie Lena Chamamyan, haben aus den Samen, die durch die Arbeit mit dem Syrian Jazz Orchestra sprossen, eine erfolgreiche Karriere gestartet.

Die erfolgreiche Gründung der Syrian Big Band wurde zu einem wahren Inkubator für syrische Jazz- und Musiktalente, der Arbeitsmöglichkeiten schuf und einheimischen Musikern eine Chance gab – eine Bewegung, die auch in den Nachbarländern Libanon und Jordanien neue Formationen entstehen ließ. Ohne Sulhi al-Wadi, der das Higher Institute of Music gegründet hat, und den Direktor Athil Hamdan wären wir nicht in der Lage gewesen, diesen Punkt zu erreichen. Ihre kontinuierliche Unterstützung hielt uns auch in schwierigen Zeiten aufrecht.

Jazz Lives in Syria: Das Festival

Das Gründungsjahr der Syrian Big Band markierte auch den großen Start des Jazz Lives in Syria Festivals, das ab 2005 mit kostenlosen Konzerten in der Zitadelle von Damaskus begann und kontinuierlich wuchs, bis der Krieg 2011 alles zum Stillstand brachte. Die Festivals zeichneten sich durch eine große Synergie zwischen ausländischen und einheimischen Musikern aus, die sich als unglaublich erfolgreich erwies. Nach anfänglichen Schwierigkeiten und einigen Momenten des Zweifelns wurde es zu einer sehr erfolgreichen internationalen Plattform, auf der denkwürdige Konzerte stattfanden, die sich schnell vervielfachten und zu einem jährlichen Rendezvous von Jazzmusikern und Jazzliebhabern führten. Die Festivals luden jedes Jahr Musiker aus der ganzen Welt ein, darunter aus der Schweiz, den Niederlanden, der Türkei, Indien, Frankreich, Deutschland, Spanien, Kanada, den USA, Italien und vielen anderen. Viele international bekannte Musiker wie Danny Blanc, Lyle Link, Joost Kesselaar, Oliver Friedly und Georgos Antoniou kamen nicht nur nach Syrien, um aufzutreten, sondern entwickelten auch enge Beziehungen zu lokalen Musikern, tauschten Erfahrungen aus und blieben das ganze Jahr über in Kontakt.

David Binney & Wayne Krantz beim Jazz Lives In Syria in 2008 (Quelle: Youtube)

Ensemble Denada beim Jazz Lives in Syria in 2008 (Quelle: Youtube)

Eine Auswahl der Bands, die auf dem Jazz Lives in Syria Festival von 2005 – 2010 performten (Quelle: Youtube)

Ich mag zwar der Initiator gewesen sein, aber das Festival wurde nur wegen all der Menschen, die daran teilnahmen und es zu ihrem eigenen machten, zu einem so großen Erfolg. Wir erhielten von Anfang an große Unterstützung von ausländischen Ministerien, Medien und dem Kulturministerium. Ein solches Projekt kann nicht von einer Person geschaffen werden, sondern nur als kollektive Kraft.

Was passierte nach 2011? Lesen Sie hier über weitere Initiativen für Syrien hier

…Weiter zu 60 Jahre Rock und Heavy Metal in Syrien

Bildquelle Titelbild: © Mais Shourbaji

Der Klang von Dayr az-Zawr

  1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

von Obeid Alyousef

Obeid Alyousef ist ein Musiker aus Syrien, der an einem Buch für die Dokumentation des gefährdeten musikalischen Erbes seiner Heimat Dayr az-Zawr arbeitet. Dayr az-Zawr ist eine Region mit gleichnamiger Stadt im Osten von Syrien, die am Euphrat liegt. Sie gehörte zu den am stärksten betroffenen Gebieten, die unter der Kontrolle des sogenannten Islamischen Staates gelitten haben. In Interview erzählt Obeid Alyousef von seiner persönlichen Verbindung zu dieser Region, ihrer musikalischen Traditionen und was getan werden muss, um das kulturelle musikalische Erbe von Dayr az-Zawr zu retten.


Obeid, wie bist du zur Musik gekommen und was verbindet dich mit Dayr az-Zawr?

Ich bin 1986 in Dayr az-Zawr geboren und in einer künstlerischen Familie aufgewachsen. Mein Vater war Kunstmaler und als Kind habe ich viel Zeit in seinem Atelier verbracht. In unserem Haus gab es ein Instrument, nämlich die Oud, die sich in einem Schrank befand. Es war das Instrument eines Freundes meines Vaters. Als Kind wollte ich dieses „Ding“ immer ausprobieren. Natürlich durfte ich die Oud nicht anfassen.  Mein Vater erzählte mir später, dass  ich jeden Tag weinte und schrie: „Ich will das Ding hier!“. Ein paar Jahre später begann mein Bruder Oud zu spielen. Ich fing an, heimlich von ihm zu lernen. Später suchte mein Vater einen Lehrer für mich und dann habe ich mich an der Musikfakultät in Homs beworben und dort ein Musikstudium absolviert. Ich war danach als Dozent an der Universität in Homs tätig. Während dieser Zeit begann der Krieg in Syrien und alles lief anders als geplant. Es war nicht leicht, normal in Syrien weiterzuleben. Ich habe Syrien verlassen und bin Ende 2015 nach Deutschland gekommen.  Seitdem arbeite ich als Musiker, und habe Orchesterprojekte und kleinere Musikprojekte. Aber Dayr az-Zawr bleibt meine Heimat, in der ich kulturell verwurzelt.

Dayr az-Zawr, Hängebrücke über den Euphrat
Hängebrücke über den Euphrat in Dayr az-Zawr | Claus-Peter Haase (CC-BY-NC-SA)
Straßenszene in einem Suq von Dayr az-Zawr
Straßenszene in einem Suq von Dayr az-Zawr | Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

Wann hattest du erstmals die Idee, den Fokus deiner Forschung auf Dayr az-Zawr zu richten?

In 2008 hatte ich erstmals die Idee, das musikalische Erbe am Euphrat zu dokumentieren. Ich fing an, nach Literatur und Aufnahmen zu suchen, konnte aber nichts finden. Es gab lediglich zerstreute Aufnahmen von Hochzeiten oder bestimmten Anlässen. Und ich hatte einige Aufnahmen von meinem Vater und einiger anderer Bewohner aus der Stadt. Mein Vater hat diese Traditionen geliebt.

https://www.youtube.com/watch?v=IuSfMMdlShg

Jedes Mal wenn er mit seinen Freunden musizierte, hat er es aufgezeichnet. Wir haben diese Aufnahmen als Familienarchiv aufbewahrt. Glücklicherweise sind diese Aufnahmen noch erhalten, darunter Aufnahmen aus den 1940ern und ältere. Man kann kaum verstehen, was gesungen wird. Also begann ich, einige Lieder zu sammeln, die ich finden konnte.

Video mit Musikaufnahmen aus Dayr az-Zawr (Quelle: Youtube)

Ich habe damals mit einem Freund daran gearbeitet und wir wollten es in einem Buch publizieren. Dann kam der Krieg und unser Haus wurde in Brand gesetzt. Mit dem Brand verloren wir unsere Instrumente und einen Teil unserer Dokumentation. Aber ich habe weiterhin vor, an der Dokumentation zu arbeiten. Die Situation hat sich seither natürlich verändert. Jetzt wird das Buch auf Deutsch veröffentlicht und ich werde die Texte sowohl mit lateinischen als auch arabischen  Buchstaben schreiben. Es wird auch theoretisch erklärt, warum dieses Lied in dieser Form gespielt wird, welche Tonleiter es hat und wie man sie am besten spielt. Dies ist wichtig, damit die Tonleiter für Europäer verständlich ist, da sie keine Vierteltöne kennen.

Was ist besonders an der Musik aus Dayr az-Zawr?

Der Name Dayr az-Zawr bedeutet auf Deutsch soviel wie „das Kloster der Besucher“. Das Wort Dayr heißt Kloster, und Zawr bedeutet Besuch. Es gibt eine Erzählung, die besagt, dass die Stadt diesen Namen trägt, weil es eine Klosteranlage gab, zu der Besucher gehen konnten, wenn sie keinen Platz zum Schlafen finden konnten. Sie fanden dort bei Nacht einen Unterschlupf. Ob das wahr ist, weiß ich nicht. Aber diese Tradition der Gastfreundlichkeit ist Teil in unserer Kultur. Jetzt im Krieg hat sich das sicherlich verändert.

Der Euphrat fließt durch unsere Stadt und es wird ein bestimmter Dialekt gesprochen. Genauso ist es mit der Musik. Wenn wir die Feinheiten und unscheinbaren Details der Kultur in Dayr az-Zawr unter die Lupe nehmen, können wir klar erkennen, dass politische Staatsgrenzen oft und nicht zwangsläufig kulturelle Grenzen reflektieren. Unser Dialekt ist stark aus dem Irak und der Türkei beeinflusst. Wir sprechen mit einem bestimmten Akzent, der dem Irakischen sehr ähnelt. Viele Wörter aus unserem alltäglichen Sprachgebrauch haben wir aus dem Türkischen übernommen. Wir singen bestimmte Lieder auf Hochzeiten oder wenn wir die Grundschule beendet haben.

Video mit Musikaufnahmen aus Dayr az-Zawr (Quelle: Youtube)

Wir tanzen bestimmte Tänze. Wenn der Gebetsruf aus dem Minarett der Moscheen in Dayr az-Zawr erschallt, hören wir eine Tonskala und Töne, während sich der Gebetsruf in Aleppo ganz anders anhört – das ist ganz natürlich, denn an jedem Ort nehmen wir neue Klänge und Rhythmen auf und wandeln sie zu etwas Neuem um. Es gibt bestimmte Gesangsarten, die nur in Dayr az-Zawr, in der Region am Euphrat, gesungen werden. Das Besondere ist, dass in Dayr az-Zawr besondere Frequenzen und Mikrotöne entwickelt wurden. Es ist wie bei verschiedenen Akzenten einer Sprache: Ich kann drei Töne eines Stückes hören und weiß sofort, dass es aus Dayr az-Zawr kommt. Im Gegenzug dazu, gibt es natürlich Lieder und Klänge, die man überall in Syrien hört. Aber in jeder Region gibt es eine besondere Art und Weise wie man improvisiert und musiziert.

https://www.youtube.com/watch?v=UeyMqZjb4Lg

So kann es beispielweise vorkommen, dass du den gleichen Text in drei, vier oder fünf verschiedenen Varianten findest. Oftmals ist es die gleiche Melodie aber ein bisschen anders gesungen. Manche singen nur bis zur Dominante und manche singen bis zur Subdominante, andere gehen höher. Es sind bekannte Lieder, die man überall singt, aber in verschiedenen Interpretationen, sich oft im Vergleich vom Osten zum Westen in Syrien unterscheiden.

Video mit Musikaufnahmen aus Dayr az-Zawr (Quelle: Youtube)

Warum glaubst du ist es wichtig, das musikalische Erbe von Dayr az-Zawr zu dokumentieren?

Es gibt keinerlei schriftliche Quellen über die Musik in Dayr az-Zawr.  Aber vor dem Krieg gab es das Leben und man konnte immer jemanden finden, der jemanden kennt, der etwas weiß oder eine alte Tonaufnahme hat. Jetzt gibt es das nicht mehr. Wir haben keine Museen in der Region mehr. Für Aleppo und Damaskus gibt es diese Dokumentationen noch, denn die Bibliotheken dort wurden nicht zerstört. In Dayr az-Zawr wurde alles verbrannt, geklaut oder verkauft. Auch in Raqqa, zwei Stunden nördlich von Dayr az-Zawr, ist alles verloren. Instrumente wurden zerstört. Alles, was Kunst war, wurde verboten. Aber es ist noch im Gedächtnis einiger Menschen vorhanden. Die Menschen, die das Wissen haben, werden bald sterben. Viele haben das Land verlassen, und leben heute in der Türkei oder in Jordanien. Aber sie werden nicht ewig leben. Die Zeit rennt uns davon. Ich haben den Wunsch, dieses Erbe zu dokumentieren, denn ist wichtig, dass wir die Traditionen aus dieser Region nicht verlieren. Ich habe außerdem die Idee,  gemeinsam mit einem Sänger die Lieder neu aufnehmen.

Das ist auch aus wissenschaftlicher Perspektive relevant: Mittlerweile gibt es zweifelhafte Videos im Internet von Musikern, die sich als Komponist bestimmter Lieder ausgeben. Quellen könnten dies richtigstellen. Das ist auch aus wissenschaftlicher Sicht wichtig: Youtube-Videos sind keine aufbereiteten, zuverlässigen Quellen und niemand trägt die Verantwortung für deren Korrektheit. Wir brauchen eine klare Dokumentation der Musik samt ihres kulturellen Kontexts. Durch diese Dokumentation würde ich die musikalischen Besonderheiten und Traditionen von Dayr az-Zawr sozusagen globalisieren. Und das ist wichtig. Denn niemand weiß, was dort gesungen wird. Wenn wir jetzt diese Dokumentation schaffen, hat jeder Musiker und Wissenschaftler die Möglichkeit, die einzigartigen Lieder aus dieser Region mit ihrem originalen Klang kennenzulernen, zu studieren und damit zu experimentieren.

Wie weit bist du mit der Dokumentation und welche Herausforderung stellen sich bei deiner Arbeit?

Die erste Entwicklungsphase meines Dokumentationsbuches habe ich bereits fertig. Insgesamt habe ich zwischen 200 und 300 Liedern dokumentiert. Jetzt bin ich in der zweiten Phase, in der ich die Liedtexte kontrolliere und Buchstabe für Buchstabe mit den entsprechenden Noten verbinde. Danach beginne ich mit der Quellenforschung, um die Stücke ihren Komponisten zuzuordnen. Es ist die schwierigste Phase, da ich nicht nach Syrien reisen kann. Es gibt zwar ein paar ältere Menschen, die noch in der Türkei und in Jordanien leben, die mir hierbei helfen könnten. Aber es ist ein großer Aufwand, den ich mir nicht leisten kann. In meiner letzten Phase möchte ich gemeinsam mit deutschen Wissenschaftlern die Musik meiner Heimat für Deutsche verständlich machen. Hierfür muss ich unser Notensystem und unsere Begriffe, in das deutsche Notensystem und das deutsche Vokabular übersetzen. Danach kommt die Veröffentlichung. Ich habe bisher jedoch keine Sponsoren gefunden. Aber ich werde nicht aufgeben.

Zerstörung und Vandalismus in den „Antiken Dörfern Nordsyriens“ am Beispiel der al-Husn-Kirche in al-Bara

von Dr. Sari Jammo*

Die sogenannten „Toten Städte“ oder „antiken Dörfer Nordsyriens“ umfassen mehr als 700 Orte des nordwestlichen Teils Syriens in den Gouvernoraten Idlib und Aleppo. Sie verteilen sich auf eine weite Region und liegen auf dem Kalksteinmassiv, das sich von Norden nach Süden erstreckt: Jabal Samʿan, Jabal Barisha, Jabal al-Aʿla, Jabal Wastani, Jabal az-Zawiya. Diese Dörfer wurden zwischen dem 1. und 7. Jahrhundert erbaut und zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert, als die Bevölkerung zu schrumpfen begann, aufgegeben. Tchalenko vermutet, dass in der Region eine weitgehend monokulturelle Wirtschaftsform überwog, die auf Ölbaumanbau beruhte.** Diese hatte zu beträchtlichem Wohlstand geführt. Die Bauern produzierten in großem Umfang Oliven und exportierten Olivenöl in das nahe gelegene Antiochia und weiter in die byzantinischen Städte des Mittelmeerraums. 

Die antiken Dörfer Nordsyriens zeichnen sich durch viele gut erhaltene Ruinen aus, darunter Kirchen, Villen, Wohnhäuser, Zisternen und Badehäuser aus der römischen und byzantinischen Zeit, was die Kulturlandschaft dieser Region prägt. Aufgrund ihrer Einzigartigkeit und ihres archäologischen Werts sind 36 antike Dörfer in 8 Archäologischen Parks 2011 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes und 2013 in die Liste des gefährdeten Welterbes aufgenommen worden.

البارة، معصرة زيتون، القرن 5-6 م
Al-Bara, Ölmühle, 5.-6. Jh. | Rami Alafandi (CC-BY-NC-SA)
باقرحا، الكنيسة الشرقية، 546 م، مشهد عام
Baqirha, Ostkirche, 546 n. Chr., Gesamtsicht | Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)

Der seit 2011 anhaltende Konflikt in Syrien hat den Menschen und ihren Besitztümern ebenso wie dem kulturellen Erbe, welches in der Menschheitsgeschichte von besonderer Bedeutung ist, massiven Schaden zugefügt. Die Kulturgüter des Landes sind Bedrohungen wie Zerstörung, Plünderung, illegalem Handel, Diebstahl und korrupten Antiquitätenhändlern ausgesetzt. Dies hat zu erheblichen Schäden bis hin zum Verlust vieler wichtiger archäologischer Stätten und historischer Denkmäler geführt.

البارة، توابيت حجرية مدمرة في المدفن الهرمي أ، القرن 6 م
al-Bara, zerstörte Steinsarkophage im Pyramidengrab A, 6. Jh. n. Chr. | Idleb Antiquities Center

Die Militäroperationen zwangen die Menschen an sicherere Orte zu fliehen. Viele haben sich in den Ruinen der „Toten Städte“ niedergelassen, weil sie hofften, dass diese archäologischen Stätten ihnen etwas Schutz bieten würden. Verfallene byzantinische Gebäude wurden zu Wohnsitzen für Geflüchtete, herumliegende antike Steine wurden verwendet, um weitere Räume zu bauen. Der mangelnde Schutz dieser archäologischen Stätten während des Konflikts und die wirtschaftliche Not brachten manche Menschen dazu, an diesen Stätten auch nach Schätzen zu suchen. Die illegale Ausgrabungstätigkeit nahm stark zu. Die Verantwortungslosigkeit einzelner hat dazu geführt, dass manche Stätten systematisch zerstört wurden. Antike Steine wurden zu behauenen Blöcken recycelt und für den Bau moderner Häuser in großem Maßstab verkauft. Gegenüber der Zeit vor 2011 gab es eine starke Steigerung.

Der Zustand des materiellen Erbes Syriens und dessen Zerstörung hängt auch mit mangelnden Bewusstsein und Wertschätzung für Kulturgüter durch die Bevölkerung zusammen. Über die Bedeutung dieser Denkmäler als kulturelles Erbe des syrischen Volkes als Ganzes nachzudenken, sollte jedoch als grundlegender Faktor berücksichtigt werden.

الرفادة: السكن داخل خربة تاريخية
ar-Rifada: Leben in einer antiken Ruine | Stefan Heidemann (CC-BY-NC-ND)
إعادة استخدام مبنى بيزنطي كمسكن، سرجيلا
Sirjilla, Nutzung eines byzantinischen Gebäudes als Wohnhaus | Eva Haustein-Bartsch (CC-BY-NC-ND)

Zerstörung und Vandalismus in den „Antiken Dörfern Nordsyriens“ am Beispiel der al-Husn-Kirche in al-Bara
Rekonstruktionszeichnung der Basilika al-Husn von Tchalenko 1953

Im Jahr 2017 untersuchte und dokumentierte die Universität von Tsukuba/Japan gefährdete syrische Kulturerbestätten. Sie tat dies mit finanzieller Unterstützung der Agentur für kulturelle Angelegenheiten der japanischen Regierung und in Zusammenarbeit mit der zivilgesellschaftlichen Organisation „Idleb Antiquities Center“, die sich für die Weltererbestätten der „Antiken Dörfer Nordsyriens“ engagiert.  Aufgrund des intensiven Konflikts in der Region war über die Zerstörung vieler antiker Stätten Nordsyriens berichtet worden. So wurden beispielsweise schwere Schäden vom Simeonskloster sowie aus al-Bara und Sirjilla, den Handelszentren im Jabal az-Zawiya, gemeldet. Es wurde ein Projekt initiiert, um wichtige Gebäude, insbesondere Kirchen, im Weltkulturerbegebiet mit Hilfe von 3D-Modellierungsbildern zu dokumentieren. Al-Bara wurde für die 3D-Dokumentation ausgewählt, nachdem bekannt wurde, dass die Gebäude dort  durch Bombenangriffe und Diebstahl sowie durch das Recycling von Bausteinen schwer beschädigt waren. Al-Bara ist einer der wichtigsten Orte der antiken Dörfer und besitzt mindestens fünf frühe Kirchen, deren größte und besterhaltene die so genannte al-Husn-Basilika am nördlichen Ortsrand war und aus dem 5. Jahrhundert stammt. In al-Bara ebenso wie an anderen Stätten der Region wurden die archäologischen Stätten ausgiebig durchsucht und antike Bausteine systematisch abgebaut. Ein schwerer Bagger, der wahrscheinlich für die Ausgrabung des Fundaments eines modernen Hauses eingesetzt wurde, wurde dabei beobachtet, wie er die Überreste einer archäologischen Stätte platt walzte!

Zerstörung und Vandalismus in den „Antiken Dörfern Nordsyriens“ am Beispiel der al-Husn-Kirche in al-Bara
Satelittenbild mit der Ruine der al-Husn Basilika auf Google Earth, 2010
Zerstörung und Vandalismus in den „Antiken Dörfern Nordsyriens“ am Beispiel der al-Husn-Kirche in al-Bara
Satelittenbild mit der Ruine der al-Husn Basilika auf Google Earth, 2017

Zerstörung und Vandalismus in den „Antiken Dörfern Nordsyriens“ am Beispiel der al-Husn-Kirche in al-Bara
Satelittenbild mit der Ruine der al-Husn Basilika auf Open Street Map, 2021

Eine der schlimmsten Fälle von Zerstörung und absichtlichem Vandalismus ist der Fall der Basilika al-Husn. Das Gebäude war fast verschwunden und kaum noch zu erkennen. Leider wurde die Basilika in ein Feld für die Anpflanzung von Obstbäumen, wie z.B. Feigen, verwandelt. Die bogenförmigen Überreste, die vom östlichen Teil der Kirche stehen geblieben sind, werden wahrscheinlich einstürzen. Viele Steine des Gebäudes wurden woanders weiter verbaut. So wurden sie für den Bau einer Steinterrasse verwendet, um ein modernes Gebäude darauf zu errichten. Daher konnten wir nichts zum Schutz des Gebäudes tun, außer einige Fotos zu machen.


كنيسة الحصن، تشكل بقايا أحد جدران البازيليكا حد لحقل زراعي
Die Ruinen der al-Husn Kirche bilden jetzt nur noch die Begrenzung des Ackerlandes mit Obsthain, Foto 2017 | University of Tsukuba, Research Center for West Asian Civilization (CC-BY-NC-ND)
كنيسة الحصن، بقايا من البازيليكا بعد هدمها لتحويل الموقع إلى حقل زراعي
Reste der Apsis der Basilika al-Husn nach der Zerstörung und Umwandlung in Ackerland mit Obstbäumen, Foto 2017 | University of Tsukuba, Research Center for West Asian Civilization (CC-BY-NC-ND)

Qalb Lawza, Basilica of 5th c., Apse and south façade
Ansicht der Basilika von Qalb Lawza, 5. Jh. | Eva Haustein-Bartsch (CC-BY-NC-ND)

Viele der archäologischen Stätten befinden sich in der Nähe moderner Städte, einige von ihnen stehen auf Privatgrundstücken von Einheimischen. Es wurde berichtet, dass die Stätten, die abseits bewohnter Orte liegen, noch mehr Schaden erlitten haben. Allerdings gründeten sich auch verantwortungsvolle lokale Initiativen, die die aktive Rolle der lokalen Bevölkerung beim Schutz des kulturellen Erbes zeigen. Farkiya zum Beispiel ist ein bewohntes altes Dorf in der Nähe von al-Bara und bekannt für seine wichtigen römischen und byzantinischen Denkmäler wie den “Hammam-Palast” und die “Herkulesburg” sowie andere Gebäude mit großen Mosaikfußböden. Dort haben Einheimische ein Komitee gebildet, um die Ruinen und historischen Monumente des Dorfes vor Plünderungen und Vandalismus zu schützen. Es ist ihnen gelungen, die Denkmäler des Dorfes zu überwachen und die illegalen Ausgrabungsstellen aufzufüllen, wenn sie entdeckt wurden. Daher sind die Ruinen und Denkmäler in Farkiya, anders als in den benachbarten Dörfern, einigermaßen geschützt. Auch der Gemeinderat des Dorfes Qalb Lawza hat zum Schutz der byzantinischen Kirche aus dem 5. Jahrhundert beigetragen. Die Kirche war illegalen Ausgrabungen ausgesetzt gewesen und wurde einige Zeit lang als Schafstall genutzt. Dem Gemeinderat war es in Zusammenarbeit mit der lokalen zivilgesellschaftlichen Organisation, dem “Idleb AntiquitiesCenter”, gelungen, diesen Vandalismus zu stoppen. Das Kirchengebäude wurde in Zusammenarbeit mit Einheimischen gereinigt, die Türen wurden repariert, und die Stätte ist jetzt, im Jahr 2020, in gutem Zustand.  

Leider ist vielen Einheimischen nicht bewusst, dass die archäologischen Stätten und Kulturgüter Syriens Teil ihrer nationalen Identität sind. Dies könnte auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein, unter anderem auf das Fehlen von Lehrmaterialien und Konzepten über die Bedeutung der Archäologie in Schulen, auf fehlende Sensibilisierungskampagnen für die Einheimischen, auf das fehlende Engagement bei der Verwaltung der Stätten und auf fehlende Aktivitäten, die die Menschen ermutigen sollen, zum Schutz des kulturellen Erbes beizutragen. Dennoch sollten die Einheimischen ein Verantwortungsgefühl für die Bewahrung des Kulturerbes entwickeln, unabhängig davon, ob sie dabei Unterstützung erhalten oder nicht. Der Vandalismus in Hinsicht auf Kulturgüter zeigt, dass viele Menschen eine solche Verantwortung nicht spüren. Individuelle und lokale Initiativen erhalten leider nicht genügend Unterstützung, um unter diesen schweren Bedingungen auch in anderen Regionen zu arbeiten. 

Die Themen, die über die Zerstörung der archäologischen Stätten hinausgehen, lassen sich in zwei grundlegenden Punkten kurz zusammenfassen:

1. Die pädagogische Perspektive: Im Allgemeinen erhielten wir Syrer in der Schule keine kulturelle Bildung über die Bedeutung der Archäologie und darüber, wie wichtig Syrien für die Geschichte der Menschheit ist. Auch trugen die meisten archäologischen Ausgrabungen, die jahrzehntelang in Syrien durchgeführt wurden, nicht dazu bei, das Bewusstsein für die Bedeutung der Archäologie z.B. durch Vorträge für Einheimische während der Grabungssaison zu schärfen. Infolgedessen sind die negativen Folgen des Nichthandelns in den letzten Jahren deutlich zu erkennen.

2. Wirtschaftliche Faktoren: Die Einheimischen leben bereits seit langer Zeit in der Nähe dieser Stätten, aber es gab keinen finanziellen Nutzen für sie. Sogar wenn die Stätte auf einem Privatgrundstück lag. Daher neigen viele Eigentümer dazu, in ihren Boden zu investieren, wenn er sich für die Landwirtschaft eignet, da dies – aus ihrer Sicht – wirtschaftlich sinnvoller ist. 

كنيسة الحصن، بقايا من البازيليكا بعد هدمها لتحويل الموقع إلى حقل زراعي
Ruinen der Basilika al-Husn nach der Umwandlung des Geländes in Ackerland und Blick auf das moderne al-Bara, Foto 2017 | University of Tsukuba, Research Center for West Asian Civilization (CC-BY-NC-ND)
كنيسة الحصن، بقايا إحدى وجهات البازيليكا والتي تحولت بعد هدمها لحقل زراعي
Die einstige Fassade der Basilika, am Rand des neuen Ackerlandes, Foto 2017 | University of Tsukuba, Research Center for West Asian Civilization (CC-BY-NC-ND)
كنيسة الحصن، تشكل بقايا أحد جدران البازيليكا حد لحقل زراعي
Reste einer Mauer der Basilika, die jetzt die Begrenzung des Ackers bildet, Foto 2017 | University of Tsukuba, Research Center for West Asian Civilization (CC-BY-NC-ND)

Für die al-Husn-Kirche scheint es aus der Sicht eines Landbesitzers so zu sein, dass ein Korb mit Früchten wertvoller ist als eine Kirche aus dem 5. Jahrhundert. Offenbar kann er einen zusätzlichen Preis für seine Ernte verlangen, wenn sie von Ländereien des 5. Jahrhunderts (oder vielleicht noch früher) stammt.


*Diese Studie wurde finanziell unterstützt von einem Research Fellowship der Japan Society for the Promotion of Science (JSPS) KAKENHI Grant Number 19F19004.

**Tchalenko, Georges, Villages antiques de la Syrie du nord: le massif de Bélus à lʼépoque romaine, 3 vols., Paris 1953–1958.


Featured image: Gesamtansicht eines Teils der Ruinen von al-Bara | Eva Haustein-Bartsch (CC-BY-NC-ND)


ِAutorenschaft von Sari Jammo: Sari Jammo ist ein Postdoc-Forschungsstipendiat der „Japan Society for the Promotion of Science“ an der Universität Tokio. Er hat an der niversität Tsukuba promoviert, ist Spezialist für altorientalische Archäologie und interessiert sich für die Bewahrung kulturellen Erbes in Konfliktgebieten.

Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

  1. Stimmen der syrischen Musik
  2. Zeitgenössische klassische Musik in Syrien
  3. Musikalische Diversität in Syrien
  4. Musik & Community in Syria
  5. Volksmusik
  6. Musik & Religion
  7. Jazz Lives in Syria
  8. Der Klang von Dayr az-Zawr
  9. Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

von Rania Kataf

Als echte Damaszenerin verkörpern meine Kindheitserinnerungen Echos von Muwashah, die wie Hintergrundmusik mein Alltagsleben stets begleitetet haben. Sei es die intensive und samtweiche Stimme von Fairuz, die aus dem Radio auf dem Weg zur Schule erklang oder bei jedem Würfelwurf einer Partie Tawleh (Backgammon) in einem Café in Salhiyyeh mit meinem Großvater, wenn die Melodien von „ya mal al Sham“ mit der authentischen Stimme von Sabah Fakhri aus Aleppo die Ohren und das Gemüt der Anwesenden im Café erfreuten.

Die klassische und doch sehr moderne Musikrichtung der al-Muwashahat (Plural von Muwashah) wird heute in der Regel mit der andalusischen Musik, al-Muwashahat al-Andalusia, in Verbindung gebracht, die für ihre sinnliche Bildsprache und ihre einzigartige poetisch-literarische Form bekannt ist. Die Schule der Muwashahat begann im 9. Jahrhundert im heutigen Spanien zu florieren und war ein Nebenprodukt des regen kulturellen Austauschs zwischen Ost und West in der andalusischen Gesellschaft. Aber auch in Syrien war Muwashahat schon immer ein wichtiger Teil unseres lebendigen Kulturerbes und für mich persönlich ein wichtiger Teil meiner Kindheitserinnerungen aus Damaskus.  

Der Klang von al-Muwashahat

Sara Darwish ist Studentin des Higher Institute for Music in Damaskus und weiß, wie man die besondere Atmosphäre von al-Muwashahat in der wunderschönen Kulisse eines traditionellen Hofhauses in Damaskus hautnah erlebbar macht. An einem Ort, wo man die Düfte des Damaszener Lebens riechen und das frische Plätschern des Brunnens im Hintergrund hören kann.

Sara Darwish singt ihre Lieblingsstücke aus dem Genre der al-Muwashahat

[Min 0:22] Sara Darwish singt Gedichtzeilen aus einer berühmten andalusischen Muwashshah, die später von den Rahbani-Brüdern komponiert wurde, und ein Lied von Fairuz, bekannt als „Ya Man Hawa Ward Al-riyyadi bi Khaddihi“.

[Min 1:23] Sara Darwish singt Zeilen aus „Ya Ghazalan Qad Jafani“ und zieht musikalische Verbindungen zu den Ähnlichkeiten mit dem Walzer. „Ya Ghazalan Qad Jafani“ ist ein weiteres berühmtes Muwashah mit einem Text von Muhammad Harbali und Musik von Bahjat Hassan.

[Min 1:46] ] Sara singt den Anfang von „Yamuru Ojban Muwashah“. Das Lied besteht aus einem Gedicht von Fakhri al Baroudi, von Omar al Batch komponiert und wurde in Syrien von Sabah Fakhri und vielen anderen Tenorsängern gesungen.

Für Ibrahim al-Sheikh Omar, einen Musiklehrer und Komponisten, sind seine Erinnerungen an al-Muwashah eng mit Damaskus verbunden. Während wir durch eine der alten Gassen der Altstadt spazieren, erzählt er mir von seinem Damaszener Haus, dem offenen Innenhof und den zwitschernden Vögeln, die im Rhythmus des Wasserbrunnens in der Mitte ihres Hofes singen. Al-Sheikh entwickelte seine Liebe zur Musik und zu al-Muwashah schon in jungen Jahren: „Alles an dieser Stadt, ihrer Elemente und die Art, wie sie mit deiner Seele kommuniziert, macht dich zu einem Künstler.“

Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus
Zwitschernde Vögel in einem Innenhof in Damaskus | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Es ist kein Wunder, dass Muwashah auch Jahrhunderte nach dem Fall Andalusiens in Syrien wieder aufblühte und sich in den Stimmen von Künstlern wie Sabah Fakhri und in den Werken von Fakhri al Baroudi, Omar al Batch und dem Vater des arabischen Musiktheaters Abu Khalil Qabbani wiederfand. In seinem Buch über traditionelle Damaszener Rezepte „Kitab al Tabeekh w Moujam al Maa’koulat al Dimashkiyyeh“ erwähnt Baroudi den unglücklichen Verlust seines Erinnerungsbuchs als sein Haus während des Staatsstreichs 1963 in Brand geriet. Das Buch war sein persönliches Archiv und enthielt unter anderem alle seine persönlichen Werke der Damaszener Muwashahat. Anstatt aufzugeben, suchte Baroudi die Hilfe von Omar al Batch aus Aleppo. Gemeinsam gründeten sie ein Musikinstitut und eine Band, aber vor allem nahm al Batch Baroudis Gedichte in seine Werke auf und schuf so eine ganz besondere Komposition von Muwashahat.

Muwashahat: Eine Erinnerung aus Damaskus

Infobox


Das Wort Muwashah bezieht sich auf einen Gedichtstil, der sich im 9. Jahrhundert im islamischen Spanien al-Andalus als neue Innovation der klassischen arabischen Poesie entwickelt hat, die sich später zu einem musikalischen Genre entwickelte. Dieser neue Stil erlaubte es den Dichtern, mehrere Rhythmen (Awzan) und Umgangssprache in ein und demselben Gedicht zu verwenden, im Gegensatz zu klassischen Gedichten, die meist in einem einzigen Rhythmus und in anspruchsvollem klassischem Arabisch verfasst waren. Zu Beginn des 10. Jahrhunderts begann man, die Aufführung von Muwashahat mit Musik zu begleiten. Ein Grund dafür könnte die Einfachheit der Sprache und die Vielfalt der Rhythmen sein, die dieses Genre für den Gesang geeigneter und für die Vokalkomposition einfacher machten als die klassische Poesie.
 
Eine berühmte andalusische Muwashah, die auch heute noch aufgeführt wird und in der arabischen Welt bekannt ist, ist das Jadaka al ghaythu des granadinischen Dichters und Politikers Lisan al-Din Ibn al-Khatib, in der er seine Trauer über den Untergang der andalusischen Königreiche im vierzehnten Jahrhundert beschreibt. Dieses historische Ereignis markierte eine Wende in der Entwicklung und Verbreitung der Muwashah. Der Fall von Al-Andalus führte zu einem drastischen demografischen Wandel mit einer Migrationsbewegung von einer halben Million Arabern nach Nordafrika. Es wird angenommen, dass die Muwashahat dadurch in neue Regionen getragen wurde und noch heute im musikalischen und poetischen Erbe anderer Gebiete wie Jemen, Ägypten, Libanon, Palästina und Syrien zu finden ist, wo sich seither verschiedene Zweige der Muwashahat entwickelt haben. Die Frage, woher sie ursprünglich stammt, gibt jedoch bis heute Anlass zu Diskussionen.

Wir dürfen auch den legendären Abu Khalil Qabbani (1835 – 1902) nicht vergessen, der viele vergessene Muwashahat aus unserem arabischen Erbe wiederbelebt hat. Qabbani gilt als der Vater des syrischen Theaters und als Begründer der Operette im arabischen Theater. Er studierte die Muwashahat in dem Glauben, dass sie einen Teil der kulturellen Identität von Damaskus ausmacht. Er komponierte und schrieb fünf Original-Muwashahat neu, darunter das berühmte Folklorelied „ya tera tiri ya hamama“ und, wie ich herausgefunden habe, mein persönliches Lieblingslied „ya mal al Sham“. Qabbani führte viele dieser Stücke in seinen Theaterstücken auf, die seit den 1870er Jahren in Damaskus aufgeführt wurden, doch viele seiner Werke sind in Vergessenheit geraten, da sie zu seinen Lebzeiten nicht aufgezeichnet wurden.

‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien

  1. ‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
  2. ‘Ajami von A to Z
  3. Restaurierung von ‘Ajami – Herausforderungen und faszinierende Entdeckungen
  4. Die Großmeister des ‘Ajami-Handwerks
  5. Der Weg zum ‘Ajami-Künstler: Im Gespräch mit Mohammad Haj Qab
  6. Zwischen Tradition und Innovation: Im Gespräch mit Aliya Alnuaimi
  7. Die Geheimnisse der Alten Meister
  8. Die Seele des ‘Ajami: Interview mit Ziad Baydoun
  9. Das Aleppozimmer …ganz persönlich
  10. ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive
  11. Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

von Elisabeth Korinth

Mit ruhiger Hand trägt Abdulraouf Baydoun eine dickflüssige Masse in die vorgezeichneten Muster einer bearbeiteten Holzplatte. In wenigen Tagen wird dieses Muster zu einer prachtvollen und farbenfrohen Deckendekoration, inspiriert durch ein einst sehr bekanntes und anspruchsvolles Handwerk namens Khashabiyyat madhuwna (bemalte Holzpaneele), Damaszener Malerei oder einfach ‘Ajami.

‘Ajami ist eine dekorative Art der Innengestaltung in Syrien und beschreibt sowohl die Technik des Auftragens einer Masse, um bestimmte Darstellungen eines Bildes plastisch hervorzuheben, als auch die eigentlichen Ornamente und einen Raum, der mit dekorierten Wandpaneelen ausgekleidet ist. ‘Ajami zählt heute zu den bekanntesten syrischen Handwerkstechniken. Die prunkvolle Verzierung entsteht durch das Auftragen mehrerer Schichten und der Kombination verschiedener Materialien. Die Wechselwirkung zwischen matten und glänzenden Elementen und das Zusammenspiel von Licht und Schatten verleihen den historischen Räumen ihren einzigartigen Charakter.

‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
Inneneinrichtung eines traditionellen Damaszener Hauses mit ‘Ajami-Verzierung (© The Metropolitan Museum of Art, Foto: Bryan Whitney)

Die Geschichte des Handwerks geht mindestens zurück bis zur Mamlukenzeit (13./14. Jahrhundert). Laut Prof. Stefan Weber, Direktor des Museums für Islamische Kunst in Berlin, könnte es sogar bis zur Zeit der Fatiminiden zurückgehen. Im Laufe der Zeit wurde das Handwerk von verschiedenen Regionen beeinflusst. In der osmanischen Zeit erlebte das ‘Ajami-Handwerk einen seiner Höhepunkte, der durch eine Mischung aus arabischen, persischen, europäischen, indischen und türkischen Elementen geprägt ist. In dieser Zeit entwickelte sich die Kunst des ‘Ajami zu einem hochentwickelten und angesehenen Handwerk in Syrien. Als integraler Bestandteil syrischer traditioneller Häuser der Oberschicht in der osmanischen Zeit finden sich viele Zimmer aus dieser Zeit, die mit ‘Ajami dekoriert sind. In den folgenden Jahrhunderten entstanden in Syrien mehrere Familienunternehmen, die sich in diesem Handwerk professionalisierten und ihr Wissen von Generation zu Generation weitergaben. Seitdem hat sich das Handwerk weiterentwickelt und wird bis heute von einer Reihe von Werkstätten praktiziert, wenn auch die Arbeitstechniken sich signifikant geändert haben. Die kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte haben jedoch zu einem starken Rückgang in der Nachfrage dieser Kunst geführt und sie droht, in Vergessenheit zu geraten.

| Die Bedeutung des Wortes ‘Ajami

Der Begriff ‘Ajami taucht in schriftlichen Quellen ab dem 18. Jahrhundert auf und bezieht sich auf die Innenausstattung von Gebäuden. Das Wort bedeutet übersetzt „ausländisch“ bzw. „Nicht-Arabisch“ und bezieht sich auf die persischen Wurzeln vieler Motive, die für die Dekoration der wunderschönen Innenräume verwendet wurde. Eine genaue Definition und Bezeichnung für dieses Handwerk wurde jedoch bisher nicht offiziell festgelegt, sodass mit dieser Kunst viele Kontroversen einhergehen und weiterhin verschiedene Name für dieses Handwerk kursieren. Für den Künstler Mohammad Haj Qab passt der Begriff ‘Ajami perfekt: “Das Wort ‘Ajami wurde mit allem in Verbindung gebracht, was aus Persien kam. Der Name passt für dieses Gewerbe, da die dekorativen Elemente nicht vorgegeben sind oder auf einem strengen dekorativen Prinzip beruhen. Wir verwenden Motive und Blumen aus dem Osten und dem Westen, Techniken aus dem Norden und dem Süden.“ Ein anderer häufig verwendeter und vielleicht passenderer Begriff ist das arabische Wort Khashabiyat madhuwna, was „bemalte Holzwandtafel“ bedeutet und das Produkt des Handwerks meint. Andere nennen es Damaszener Malerei mit der persönlichen Überzeugung, dass die Stadt Damaskus das Zentrum und Ursprungsort dieses Handwerks ist. Wo genau es herkam und wann kann jedoch nicht wissenschaftlich bestätigt werden, da ‘Ajami-Objekte aus dem 17. Jahrhundert oder früher äußerst selten noch zu finden sind.


Weitere Artikel und Interviews aus der Serie ‘Ajami – Geschichten über ein Handwerk lesen:

‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
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‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien

‘Ajami von A to Z

  1. ‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
  2. ‘Ajami von A to Z
  3. Restaurierung von ‘Ajami – Herausforderungen und faszinierende Entdeckungen
  4. Die Großmeister des ‘Ajami-Handwerks
  5. Der Weg zum ‘Ajami-Künstler: Im Gespräch mit Mohammad Haj Qab
  6. Zwischen Tradition und Innovation: Im Gespräch mit Aliya Alnuaimi
  7. Die Geheimnisse der Alten Meister
  8. Die Seele des ‘Ajami: Interview mit Ziad Baydoun
  9. Das Aleppozimmer …ganz persönlich
  10. ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive
  11. Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

von Elisabeth Korinth

Die mit ‘Ajami dekorierten Räume bestanden ursprünglich aus einer Reihe von gerahmten Holztafeln, welche die Wände und Decke verkleideten und Türen, Fenster und Schränke in ihr Design integrierten. Für die Paneele wurden meist Pappel-, Zedern-, Zypressen- oder Walnussholz verwendet. Einige Holzarten variieren auch innerhalb einzelner Räume: In Damaskus beispielsweise bestanden Deckenpaneele und -rahmen häufig aus Pappelholz, während Türen und Fensterläden aus härterem Holz wie Nussbaum bestanden. In Aleppo wurde am häufigsten Zeder und Nussbaum verwendet. Zwischen den Holzpaneelen entstanden häufig Lücken, die oft mit organischem Material gefüllt wurden. Die Platten selbst wurden mit einem Klebstoff aus Pflanzenfasern oder Tierkleber oder einfachen Nägeln zusammengehalten. Manchmal wurden die Paneele auch mit Stoff bedeckt, um die Fugen zu verbergen oder die Nägel zu bedecken.

Ceiling and Reverse side of the ceiling of Bayt Ḫazīna-Kātibī / Niẓām with ‘Ajami decoration
Decke und Rückseite der Decke des Bayt Ḫazīna-Kātibī / Niẓām mit ‘Ajami Dekoration | Anke Scharrahs (CC-BY-NC-ND)

| Bearbeiten der Holzoberfläche

Traditional production of animal glue
Traditionelle Herstellung von Tierleim | Mohammad Haj Qab (CC-BY-NC-ND)

Vor dem Auftragen der Verzierungen wurden die Holzpaneele aufwändig mit unterschiedlichen Werkzeugen und Materialen bearbeitet und grundiert. Dabei wurde die Holzoberfläche in der Regel ganz individuell auf die unterschiedlichen Anforderungen der darauffolgenden Verzierungen und Malereien vorbereitet. Üblicherweise wurde eine Mischung aus ungebranntem Gips und Tierkleber als Grundierung (Gesso) verwendet. Manchmal wurden Primer in hellblauer, orangefarbener oder gelber Farbe hergestellt, die Indigo, Minium (rotes Blei) oder Orpiment enthielten. In einigen Fällen, wie im Aleppo-Raum in Berlin, wurde die Zinnfolie mit einer klebrigen Harzschicht direkt auf einige Paneele aufgebracht, während in Bayt al-Hawraniya in Damaskus die ‘Ajami -Verzierung auf einige Holzpaneele vor der Zinnverzierung aufgebracht worden war . Heutzutage werden die Holzplatten jedoch häufig durch MDF (Faserplatten) ersetzt, da das Material billiger und einfacher zu verwenden ist.

| Muster und Vorlagen der ‚Ajami-Verzierung

Zur Vorbereitung für die anschließende Dekoration und Bemalung der Holztafeln wurden Schablonen als Vorlage verwendet. Über die Holzoberfläche wurde hierfür ein Blatt Papier gelegt, das mit ausgekleideten Löchern ausgestanzt war. Dann wurde ein kleiner mit Holzkohlepulver gefüllter Textilbeutel über die Schablone gestoßen. Auf diese Weise wurden die Umrisse der ‘Ajami auf den vorbereiteten Boden übertragen. Einzelne Ornamente, die nicht dem regulären Muster entsprachen, wurden freihändig gezeichnet.

Pre-drawn patterns of a contemporary ‘Ajami decoration
Muster einer zeitgenössischen ‘Ajami-Dekoration | Ziad Baydoun von Baydoun Creation (CC-BY-NC-ND)

Application of the relief paste of a contemporary ‘Ajami decoration
Auftragen der Reliefmasse einer zeitgenössischen ‘Ajami Dekoration | Ziad Baydoun von Baydoun Creation (CC-BY-NC-ND)

| Auftragen der Reliefmasse

Im Anschluss an die Skizze wurde die Reliefmasse (pastiglia oder im Arabischen Nabati) aufgetragen. Hierbei spielte die richtige Zusammensetzung der Paste eine entscheidende Rolle. Denn nur mit der richtigen Mischung aus Wasser, Tierleim und ungebranntem Gips entsteht die gewünschte erhobene Dekoration. Eine falsche Zusammensetzung der verschiedenen Elemente führt zum Absinken der Paste und hinterließ eine poröse Schicht. Heutzutage verwenden Handwerker meist eine Mischung aus Acrylbindemitteln, Kreide, Gips und Zinkweiß.

| Najeene ‚Ajami oder Nabati

Insbesondere die Zusammensetzung der Reliefpaste (auf Arabisch Najeene Ajami oder Nabati genannt) ist oft ein streng gehütetes Geheimnis. In der Regel mischt der Meister selbst die Paste an. Viele Mythen und Gerüchte ranken sich um die Herstellung der Reliefpaste. Ein wenig Zucker… ein wenig Tee hinzufügen.  Manche glauben, das Geheimnis liege darin, die Farben mit bloßen Händen zu mischen, und sind sicher, die menschliche Haut enthalte Enzyme, die die chemischen Reaktionen in der Farbe beschleunigen und somit einen wichtigen Beitrag zu ihrer Qualität leisten – eine Hypothese, die nie durch wissenschaftliche Untersuchungen bestätigt wurde, aber zur geheimnisvollen Aura des Handwerks beiträgt.

Application of the relief paste of a ‘Ajami decoration
Auftragen der Reliefmasse auf eine ‘Ajami-Dekoration | Ziad Baydoun von Baydoun Creation (CC-BY-NC-ND)

Application of metal foil on the ‘Ajami decoration
Applikation von Metallfolie auf eine ‘ Ajami-Dekoration | Anke Scharrahs (CC-BY-NC-ND)

| Applikation von Metallfolie

Auf die getrocknete Masse  wurde anschließend Metallfolie (meist Blattgold oder Zinnfolie) mit Hilfe von Bindemitteln auf einzelne Areale oder auf die komplette Fläche aufgetragen. Ab dem 18. Jahrhundert wurden vermehrt Kupferauflagen verwendet. Die Wahl des Bindemittels war auch hier abhängig von der Art des Materials, das auf die darunterliegende Paste aufgelegt wurde. So wurde für das Auftragen von Goldblättern die darunterliegende erhobene Masse angefeuchtet. In manchen Fällen wurde auch Bindematerial verwendet um eine bessere Haftung der Edelmetallschicht zu gewährleisten. Heute wird die Folie oft durch Bronzefarben ersetzt.

| Verzierungen

Im nächsten Schritt wurden verschiedene Areale der Metallschicht poliert und mit einer farblichen Glasur versehen. Hierbei konnten verschiedene Areale akzentuiert werden. Man begann mit den größeren Flächen und setzte dann mit kleineren Ornamenten fort. Die Glasur bestand meist aus gefärbtem Naturharz. Die Glasur diente nicht nur der Verbesserung des Aussehens, sondern war in manchen Fällen ausschlaggebend für die Konservierung von Oberflächen wie Blattmessing, da es die Oberfläche vor Korrosion schützt. Nicht glasierte Bereiche sind heute deutlich an einer Verfärbung des Metalls zu erkennen. Heutzutage werden moderne Farben verwendet, um die Oberfläche zu streichen.

Production of a contemporary ‘Ajami decoration in a Syrian workshop
Herstellung einer zeitgenössischen ‘Ajami-Dekoration in einer syrischen Werkstatt, 1995 | Mohammad Haj Qab (CC-BY-NC-ND)

Part of a decorated wooden door with ‘Ajami decoration from the Damascus Room in the Dresden Museum for Ethnology
Ausschnitt einer ‘Ajami-Bemalung aus dem Damaskuszimmer im Museum für Völkerkunde Dresden (© Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Museum für Völkerkunde Dresden, Foto: Anke Scharrahs)

| Malereien zwischen den Reliefornamenten

Bereiche, die nicht als Relief hervorgehoben wurden, wurden zuletzt reich bemalt. Die beliebtesten Motive waren wiederkehrende florale und geometrische Formen sowie Blumenbouquets und Obstschalen. Hierfür wurden Pigmente wie Bleiweiß, Auripigment, Mennige, Lapislazuli, Indigo, Grünspan und Rußschwarz sowie andere organische Farbstoffe wie Kermes, Indigo, Cochineal und Aloe verwendet. Es ist jedoch nicht dokumentiert wie die Bindemittel und Farben hergestellt wurden. Ein wichtiger Teil des Wissens über die Maltechnik des 17. Und 18. Jahrhunderts ist somit verloren. Nur durch spätere wissenschaftliche Analysen der Farben konnten die Bestandteile der Farben später identifiziert werden.

| Der letzte Schliff

In der heutigen Zeit werden die reichen Ornamente dann schwarz umrandet und einzelne Blüten schattiert. „Vor diesem Schritt ist das Bild nur bunt“, erklärt Z. Baydoun, „aber es lebt noch nicht.“ Die schwarzen Konturen und Schatten der verschiedenen Ornamente sind wichtig, um die Form und den Zustand der Oberfläche eines Motivs zu veranschaulichen und ein Objekt vom Rest des Gemäldes abzugrenzen. Das Gemälde reflektiert somit nicht nur ein Bild, sondern fügt ihm eine räumliche Dimension hinzu. Zum Schluss wird das Kunstwerk mit einem Lack versiegelt.

Outlining and shadowing of motifs of a contemporary ‘Ajami decoration
Umrandungen und Schattierungen von Motiven einer zeitgenössischen ‘Ajami-Dekoration | Ziad Baydoun von Baydoun Creation (CC-BY-NC-ND)

A room cladded with ‘Ajami decoration in a Damascene house
Ein mit ‘Ajami verkleideter Raum eines Damaszener Haus | Stefan Weber (CC-BY-NC-ND)

| ‘Ajami-Räume

Ein ‚Ajami-Kunstwerk kann als lebender Organismus betrachtet werden. Sowohl das Holz als auch die Farben reagieren ständig auf ihre Umgebung. Dieses Wissen und die Abstimmung der einzelnen Komponenten mit der Natur und ihren Gesetzen waren vor allem in historischen Zeiten entscheidend für die Qualität des Werkes. Die richtige Zusammensetzung der Farbe hängt zum Beispiel von der Jahreszeit und der Luftfeuchtigkeit des Herstellungsortes ab. Holz als lebendiges Material bekommt je nach Witterung Risse und dehnt sich aus. Neue Materialien wie MDF (Faserplatten) haben dazu beigetragen, die Ausübung des Handwerks zu erleichtern, da sie eine weiche Oberfläche haben. Das Wissen und die ursprünglichen Aspekte der Ausübung dieses Handwerks sind jedoch im Laufe der Jahrhunderte weitgehend in Vergessenheit geraten.

Die Sensibilisierung für die Bedeutung des Schutzes des traditionellen Handwerks umfasst nicht nur die Förderung der des Handwerks selbst, sondern erfordert auch die Einbeziehung anderer Disziplinen, die mit dem Schutz des historischen materiellen Erbes in Verbindung stehen, wie z. B. das Feld der Konservierung. Darüber hinaus bedarf es einer umfassenden Forschung, die in der Lage ist, die historischen Spuren eines Handwerks aufzudecken, um seine Entwicklung im Laufe der Zeit und seine Interpretation in der Gegenwart besser zu verstehen. Anke Scharrahs hat ihre berufliche Laufbahn der Konservierung und Erforschung von polychrom verzierten hölzernen Innenausstattungen gewidmet. Ihren umfangreichen Forschungsarbeiten ist es unter anderem zu verdanken, dass die verschiedenen Schichten und Arbeitsschritte der Herstellung der polychrom verzierten Tafeln in historischer Zeit nachvollzogen werden können.


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Fata Morgana in Busra*

von Gabriele Conrad-Hamzé

Die Schatten wurden länger. Er überquerte bedächtigen Schrittes, beinahe schlafwandlerisch, die große Dachterrasse. Er war barfuß, genoss die Kühle unter seinen heißen Sohlen, schlenderte hinüber zur steinernen Brüstung der Zitadelle, lehnte sich an sie, um hinüberzuschauen über die Zinnen und flachen Dächer der Ruinenstadt aus schwarzem Basalt. Der Ruinenstadt, in der noch Menschen leben und ihrem Tagwerk nachgehen, als hätte ein Wind sie durch die Zeiten getragen. 

Das war es, was Busra einen so eigenartigen Reiz verlieh. Die Antike floss hinüber ins Jetzt, das Jetzt glitt hinüber in die Antike.  Wie viele Nächte mochte er nun schon in diesem kargen Turmzimmer verbracht haben? Sinnend, lesend, schreibend, sein schmales, hartes Lager meidend, da der Schlaf ihn floh? Er dachte an den Freund, den herausragenden Wissenschaftler und leidenschaftlichen Menschen, der viel zu früh verstorben war.** Die prägendsten Erinnerungen an ihre Freundschaft waren gebunden an eben diesen Ort, der sie beide in ihrer Wissenschaft forderte… Deshalb musste er zurückkommen, hierher. … Er sah hinunter auf die Kolonnade, auf den im Licht der untergehenden Sonne leuchtenden schwarzen Pflasterstein der Antike. … Nur hier konnte er den Freund noch einmal finden, in dieser großen Ruinenstätte, aus der sie beide geschöpft hatten, die ihre Phantasie beflügelte. 

Busra, Blick auf das römische Theater im Inneren der aiybidischen Zitadelle
Blick in das römische Theater, das von der ayyubidischen Zitadelle umschlossen ist, Busra 1999 | Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)
Busra, Blick auf die ayybidische Zitadelle, die das römische Theater umschließt.
Blick auf die ayyubidische Zitadelle, die das römische Theater umschließt, Busra 1995 | Christine Englmann (CC-BY-NC-ND)

Er plauderte erstmals mit den Kindern, die seinen Weg kreuzten, schäkerte und machte übermütig seine Späße mit ihnen. Sie stürmten zusammen durch die engen, verschatteten Gassen von Busra, sprangen kühn über die Steinquader am Wegrand, jagten sich um die Säulen. Und sie lachten und schrien und tobten ausgelassen. Bis sie endlich ermattet zwischen den verstreut herumliegenden Steinfragmenten und Säulenstümpfen niedersanken. Es begann Abend zu werden. Die Kinder liefen nach Hause, in alle Richtungen. Zum Westtor, zum Nabatäertor, zur Zitadelle, zur Basilika, zur Zisterne, zur Moschee, zum Hammam Manjak, hinter die Thermen, zum islamischen Museum, zur Madresse. Von da und dort vernahm man das Rufen ihrer Mütter, lang hingestreckte Laute ihrer Namen.

Busra, Kathedrale. Ruinen der Basilika der Heiligen Sergius, Bacchus und Leontius, erbaut im 6. Jahrhundert n.Chr.
 Ruinen der Basilika der Heiligen Sergius, Bacchus und Leontius, erbaut im 6. Jahrhundert n. Chr., Kathedrale von Busra 2001
| Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)
Busra, Das sog. "Nabatäische Tor", das Osttor
Das im Osten gelegene „Nabatäische Tor“, Busra 1975
| Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)
Busra, Blick auf das Westtor des Decumanus Maximus
Blick auf das Westtor des Decumanus Maximus, Busra 1999 | Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)
Busra, Blick auf den Decumanus Maximus nach Westen, vom Nymphäum aus gesehen.
Blick auf den Decumanus Maximus nach Westen, vom Nymphäum aus gesehen, Busra 1990
© Laszlo A. Kéry (CC-BY-NC-SA)

Schrill zirpten die Grillen, die heiße Sommerluft schwirrte von ihrem Flügelschlag. Wind kam auf, wehte herüber aus den Ebenen. Daniel wandte sich zur Säulenstraße, denn er liebte es über den römischen Pflasterstein zu schreiten, der seine Phantasie beflügelte, ihn inspirierte, wie nur wenige Dinge in seinem Forscherleben. …

Er lenkte seinen Schritt zur Großen Moschee, hin zum Hammam Manjak, der islamischen Badeanlage, ausgegraben einst von seinem toten Freund. Dort hoffte er Trost zu finden, denn er wusste sich ihm nahe an diesem Ort, wie sonst an keinem. Durch seine Nähe und die Erinnerung an die gemeinsamen Jahre der Arbeit würde Kraft auf ihn überfließen, würde sein Warten ausgefüllt. Er erreichte das Bad, vom Mondlicht umflutet, weiß silbern in seiner Helle.  

Die Große Moschee und das Bad warfen lange Schatten. Die Stadt war still, kein Mensch war zu sehen, kein Laut zu vernehmen. …. Den Frieden, diese göttliche Stille, die Heiligkeit der Stunde zu wahren, setzte er behutsam seine Schritte. Er näherte sich dem Hammam. Jeden Schritt bewusst setzend, sachte, leise. Er berührte die Mauer, tastete ehrfürchtig über die schwarzen Quader mit der Hand des Wissenden, schritt bedächtig an der im Mondlicht matt schimmernden Wand entlang, bis er die bogenförmige, fensterartige, mit Schmiedeeisen verkleidete tiefe Öffnung zur Straßenseite erreichte. Er verweilte sinnend einen kurzen Augenblick. Er dachte an seinen Freund. Und sah vor sich die Anfänge dieser Grabung einst im November, auf den viele November folgten. Wenn die kalten Winde aus der Ebene drehen und durch die Ruinen fegen. Novembertage, in denen sie froren, sich mühten in harter Arbeit. Aber der Drang nach Erkenntnis und die Hoffnung, dieser bald teilhaftig zu werden, erfüllten diese Tage dennoch mit Heiterkeit. … Lange betrachtete er das Monument und er wusste sich und seinen Freund belohnt. … Er bewegte sich, seine rechte, vom Mondlicht hell beschienene Hand sanft die Wand entlang gleitend, auf deren Öffnung zu. Von dort konnte er einen Blick in das Innere … des frühmittelalterlichen Bades werfen, dessen fehlende Kuppel den Blick frei gibt in den Himmel. Er erreichte das Gitter aus Schmiedeeisen. Trat davor und warf, leicht gebückt, einen Blick hinein in den Raum. Er hielt den Atem an. Auf den steinernen Sitzbänken, die das Hammam umlaufen, saßen zwei Mädchen, in absoluter Gleichheit, einander zugewandt im Gespräch. Das helle Mondlicht zeichnete wie mit einem Stift genau ihre Konturen, die Linien ihrer Gesichter. Sie flüsterten, unvernehmbar waren die Laute. Ihre Bewegungen waren von der Grazie und Geschmeidigkeit des leichten Sommerwindes … Ihre bodenlangen Gewänder und ihre Kopfbedeckungen leuchteten im Widerschein des sanften, fast taghellen Mondlichtes. Schimmerten in rot und schwarz.

Busra, Heißbadebereich (juwawani) des Hammam Manjak.
Heißbadebereich (juwwani) des Hammam Manjak, Busra 1991 | Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Foto: Michael Meinecke (CC-BY-NC-SA)
Busra, Hammam Manjak, Kaltbadebereich (barrani)
Kaltbadebereich (barrani) des Hammam Manjak in Busra 1986 | Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Foto: Michael Meinecke (CC-BY-NC-SA) 

Fata Morgana? Sarab zur mitternächtlichen Stunde? Schwarz war die eine gekleidet, ganz in Purpurrot die andere. Sie saßen dort, raunend, wispernd, immer wieder innehaltend im Wort, ihre ebenmäßigen, absolut gleichen Gesichter einander zugeneigt, fast berührten sie sich. Sie saßen so in tiefem Ernst. Daniel erschrak, in freudigem Erstaunen, zog sich sogleich von der schmiedeeisernen Öffnung zurück. Er fühlte sich ertappt, als Eindringling, wie zum vulgären Mitwisser eines Geheimnisses gemacht, schämte er sich seiner Indiskretion. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand und verharrte. Er dachte nach. War das Hammam denn nicht immer verschlossen? Auch tagsüber, um der lärmenden, übermütigen Kinderschar aus Busra zu wehren? Unversperrt war es zum beliebten Versteck für sie geworden, ja sogar zum Kampfplatz im Streit rivalisierender Banden. Und hatte man das Hammam nicht erst vor Verfall und Zerstörung gerettet? So war seit langem schon der Schlüssel nur noch beim Wächter zu erhalten, ein Öffnen des Bades nur in seiner Gegenwart möglich. …


* Dieser Text wurde stark gekürzt und entstammt dem Buch „Archäologie der Seele“ von Gabriele Hamzé-Conrad, das 2018 im Autumnus-Verlag, Berlin erschien.

** Michael Meinecke (1941-1995) leitete die Grabungs- und Restaurierungskampagnen des frühislamischen Bades Hammam Manjak durch die Antikenverwaltung in Busra und das Deutsche Archäologische Institut Damaskus zwischen 1981 und 1993. Diese Arbeit resultierte in der denkmalgerechten Instandsetzung der Ruinen des Hammams, dessen Originalbau im Jahr 1372/773 fertig gestellt worden war. 


Featured image: Die Altstadt von Busra, eine Welterbestätte der UNESCO © Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Foto: Michael Meinecke (CC-BY-NC-SA)


Autorenschaft von Gabriele Conrad-Hamzé: Gabriele Conrad-Hamzé war am Deutschen Archäologischen Institut Damaskus tätig und lebte jahrelang in Sichtweite der Ruinen von Busra. Mit ihrem syrischen Mann und lokalen Unterstützer:innen baute sie erst ein Zentrum für Umweltbildung, dann die Flüchtlingskinderbetreuung „Auf, lasst uns spielen, lasst uns lernen“ mit Schwerpunkt auf Alphabetisierung in Suwayda auf.

An der Getreidemühle findet mich

von Rasha Arous

An der Getreidemühle findet mich

Leute, bitte gebt mir nicht die Schuld!

Ich gehe ein Glas trinken

Selbst wenn sie sagen, ich sei verrückt“

مشهد لمنحدرات الجبال الساحلية والسهول شرق مدينة مصياف
Blick auf die Abhänge des syrischen Küstengebirges und auf die östlich von Masyaf gelegene Ebene | Stefan Heidemann (CC-BY-NC-ND)

Dies ist der Schriftzug, mit dem das Restaurant at-Tahuna (die „Getreidemühle“) im Dorf al-Bayda in der Nähe von Masyaf für sich wirbt. Das Restaurant grenzte in seiner Gründungszeit an die alte Mühle für Weizenschrot, (arab.) Burghul, die an der Brücke über dem Dorffluss lag. Bergwasserquellen speisten den Lauf dieses Flusses.

Das Restaurant behielt seinen alten Namen, selbst als es vor Jahrzehnten an den heutigen Standort umgezogen war. Die angrenzende Kreuzung wurde nach ihm „Getreidemühlen-Kreuzung“ genannt. Diese Kreuzung ist keine gewöhnliche Wegkreuzung; sie ist der Ort, an dem die ansteigende Straße aus Homs und den benachbarten Dörfern des Flachlands aufhört, um in die Strecke, die in Richtung des Ortseingangs von Masyaf führt, einzumünden. An diesem Haltepunkt zwischen den Ebenen, die man verlässt, und vor den ersten Ausläufern der hohen Berge, die man zu erreichen sucht, zeichnet sich das Gelände durch eine deutliche Höhenveränderung aus. Und so scheint es, als ob an dieser Stelle die Straße für einen Moment stehen bleiben will, um einen Seufzer vom Tragen der Bergketten und Wolken zu tun, die bereit sind, hinter sie zu fallen.

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Hinweisschilder auf das in Al-Bayda ehemals vorhandene Restaurant „Kornmühle“ | Rasha Arous
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Die Brückenbögen unter denen früher das Wasser aus der Mühle abfloss | Rasha Arous

Ähnliche Mühlen wie die von al-Bayda haben sich in anderen Dörfern der Gegend und in Masyaf selbst befunden. Sie wurden von den entlang der Berghänge hinab fließenden Wasserläufen betrieben, deren Antriebskraft nach der regenreichen Jahreszeit ausreichte, um die Räder, Mühlsteine und Märchen zu drehen. Bei den Einheimischen sind diese Getreidemühlen bestens bekannt unter den Namen der Quellwasserläufe, die sie antreiben. Heute mahlen sie mit ihrer Stille gemahlene Worte vergangener Zeiten. Sie erscheinen als Zeichen in der Werbung an nahe gelegenen Restaurants und Wegkreuzungen, und wenn etwas von ihnen übrig ist, segnen sie mit ihrer baufälligen Architektur die Flüsse und Felder, die sich um sie herum ausbreiten.

Diese Getreidemühlen haben sich von lebenswichtigen wirtschaftlichen Einrichtungen in archäologische Überreste verwandelt. Deren Wert wird von Menschen, die Errungenschaften schätzen und von den Nostalgikern so ganz anders eingeschätzt als von den ortsansässigen Unternehmenspionieren und denjenigen, die Fortschritt und ‚Modernität‘ für sich beanspruchen. Die Mühlen hinterlassen ein menschliches Erbe und Weisheiten wohnen ihnen inne. Das beliebte Sprichwort drückt es so aus: „Herbeigeschafftes Wasser bringt die Mühlräder nicht zum Laufen.“ Der Betrieb einer Mühle erfordert Fließen und Überfluss, was durch schlichtes Zuführen nicht erreicht werden kann. Genauso wie jede schöpferische Arbeit und jeder Fortschritt Fülle vor Ort erfordert, und nicht einen unzulänglichen Import.

An der Getreidemühle findet mich
Blick von der Burg in Masyaf auf die Stadt | Stefan Heidemann (CC-BY-NC-ND)

Im Haus meines Großvaters im östlichen Stadtviertel von Masyaf hörten wir Kinder in dem äußeren Zimmer, in dem meine Großmutter uns während der Ferien zum Schlafen beherbergte, häufig fanfarenartige Töne. Die Quelle dieses Geräuschs war die Getreidemühle von Shubasi, die sich hinter der Schlafzimmerwand befand. In dieser dieselbetriebenen Getreidemühle ließen die Bewohner der Stadt und der umliegenden Dörfer jahrzehntelang mahlen, nachdem die alte Wassermühle nach und nach abgebaut worden war. Doch auch diese Dieselmühle wurde aufgegeben, sodass die modernsten Getreidemühlen den Wettlauf um die Weizenernte gewannen.

Das Geräusch der Shubasi-Getreidemühle war für mich montags und donnerstags, wenn die Maschine lief, wie eine hypnotisierende Musik. Meine Großmutter sagt, dass sie früher die Getreidemühle während jenes Zeitraums, in dem die großen jaʿila-Kessel mit dem kochenden Weizen (sliqa) die offenen Feuerstellen in den Straßen der Stadt belegten, sogar täglich zu hören bekommen hatte. So erhielt sie seinerzeit in der Herstellungssaison von Burghul am Ende des Sommers ihre tägliche Hypnosedosis. Bei diesem Geräusch zu schlafen lässt viele Träume entstehen, die dem Unterbewusstsein helfen, sich ein Paradies vorzustellen, in dem Hunger keine leeren Mägen hat. 

Die Tante meiner Mutter lebte in ihrem alten Haus neben dem Haus meines Großvaters inmitten von Gebrauchsgegenständen der örtlichen Handwerksproduktion: Der Mühlstein im Hof wurde von Hand gedreht und der Weizen mit Hilfe dieser Mühle zu Burghul geschrotet. Der urghul wurde im ʿanbar gelagert (einem Aufbewahrungschrank aus Blech, zusammengesetzt aus den Resten eines ausgedienten Öltanks, mit je einer Öffnung für feinen und groben Burghul). Die kibba (wörtl. „Kugel“), ein Gericht aus Burghul-Teig zumeist in Form von Klößen, wurde in einem speziellen Steinbecken zerstoßen.

Was die Familienzusammenkünfte betrifft, so gewannen deren Geschichten Profil bei einem Teller Tomaten-Kibba (bestehend aus feinem Burghul, Tomaten, Butter, Petersilie, zerstoßen im Mörser), den man zusammen mit eingelegten und mit Knoblauch und Paprika gefüllten Auberginen isst. Diese Geschichten wurden von einer Prise Adrenalin umweht, da manche von Hyänen handeln. Ja, tatsächlich… denn die Hyänen sind Gefährtinnen der Gebirgswege und der Abenteuer. So spielten auch die Abenteuer meiner Urgroßmutter bei ihrem erzwungenen Weggang aus Juwita (einem schönen Dorf in der Nähe von Qadmus) und die Zerstreuung ihrer Familie zwischen Masyaf und as-Salamiyya bei jenen Treffen eine wichtige Rolle. Desgleichen die Gespräche, die sich um den Weltraum und die Möglichkeit der Existenz außerirdischer Lebewesen ebenso drehten wie um die Städte und Dörfer, die um den Geschmack des Essens und die ursprünglichen Werte, insbesondere die Großzügigkeit, wetteiferten. All diese Reden – angetrieben von den Rädern der Fantasie und dem Mahlstein der Sprache –, erreichen mich mit der Stimme eines alten schwarzen Radios, dessen abgenutzte Teile ein weißes, mehrmals verknotetes Gummiband zusammenhält.

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Der Blechvorratsschrank mit je einem Fach für feinen und für groben Burghul | Rasha Arous
طحن القمح المطبوخ وتحويله إلى برغل في قرية البتراء في منطقة المالكية
Schroten des gekochten Weizens zur Grütze-Herstellung (burghul) in Dorf al-Batra‘ in der Malikiyya-Region | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

„Der Reis hat den Ruhm, während der Burghul sich erhängt“, sagte eine Besucherin in einer dieser Versammlungen, angeregt vom Anblick des Burghuls, der zum Trocknen im Hof ausgebreitet lag. Sie dürfte die Augen vor Ärger darüber zusammengekniffen haben, noch zu der Generation von Frauen zu gehören, die sich in den Klauen mühseliger Hausarbeit gefangen fühlen und zu kämpfen haben.

Einige Frauen möchten sich von dieser Arbeit befreien, indem sie Urbanisierung fordern, die ein Merkmal der Entwicklung von Orten zwischen Land und Stadt ist. Sie tun dies, weil die Verstädterung andere Konsumgüter anbietet und dafür sorgt, dass sie durch die Bereitstellung fertiger Alternativen weniger Arbeitsaufwand haben. Ist dies nicht das Verständnis von urban?

تجفيف البرغل كاحتياطي لفصل الشتاء في قرية حبوبة كبيرة الواقعة في وادي الفرات
Trocknen der vorgekochten Weizengrütze (burghul) als Vorrat für den Winter in Habuba Kabira im Euphrat-Tal, | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)
تصنيع البرغل في يبرود في ستينيات القرن المنصرم
Herstellung von Burghul in Yabrud in den sechziger Jahren, | Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, collection Eugen Wirth (CC-BY-NC-SA)

Die Herstellung von Weizengrütze ist arbeitsintensiv und das Ausbreiten zum Trocknen ist der letzte Schritt eines Verfahrens, das ein Nahrungsmittel haltbar macht, damit es später im harten Winter gegen den Hunger helfen kann. Was nach diesen Mühen von den Liebhabern des Burghul und seiner vielen Zubereitungsarten verlangt wird, ist – Sättigung. Das Erscheinungsbild des ausgebreiteten Burghuls ist wie eine geometrische Dekoration, seine Menge steht im Verhältnis zu seiner Dicke (grober Burghul, feiner Burghul, al-Frayfira, Burghul-Mehl). Die Frayfira und das Burghul-Mehl (feiner als der feine Burghul) werden für zwei bestimmte Speisen verwendet: eine Art Salat namens Frayfira und das Burghul-Mehl, um die heimischen getrockneten Feigen, at-tin al-habbul, zu bedecken.

An den Tagen, wenn der Burghul getrocknet wird, beschäftigt die Menschen die Wetterlage – der Anblick von Regenwolken, die von Westen her hinter den Bergen heraufziehen, garantiert Aufruhr unter den Familienmitgliedern. Blitzschnell eilen sie herbei, um den draußen ausgebreiteten Burghul einzusammeln. Wenn Regen fällt und den Burghul befeuchtet, so verliert dieser seinen ursprünglichen Geschmack und seine Qualität! Dadurch werden die Knie ihre Schrauben verlieren, um der Kälte zu widerstehen. Denn Burghul ist ein lebenswichtiges Material, das unentbehrlich ist. ‚Knieschrauben‘? Fragen Sie nicht, wie…


ِAutorenschaft von Rasha Arous: Rasha Arous ist eine syrische Forscherin und Expertin in den Bereichen Stadtplanung, Vertreibung, Kultur und Entwicklung. Sie hat ein besonderes Interesse an lokalem Erbe und gelebten kulturellen Identitäten.

Die Ghuta, der einstige Paradiesgürtel um Damaskus

von Azadeh Rahnama und Lulu Dombois

„Die Gärten umgeben sie (die Stadt Damaskus) wie der Lichthof den Mond, sie umfassen sie wie der Kelch seine Blüte. Im Osten erstreckt sich ihre grüne Umgebung, soweit das Auge reicht: wo auch immer man auf den vier Seiten hinschaut, trifft der Blick auf ihre reifen Früchte. Diejenigen, die sagten: ‚Wenn das Paradies auf Erden ist, dann ist ohne Zweifel Damaskus ein Teil davon. Wenn es im Himmel ist, dann wetteifert es mit ihm und teilt den Ruhm‘, sprachen die Wahrheit.“ (Ibn Ǧubair, 1184)

Die syrische Hauptstadt Damaskus ist in eine fruchtbare Bewässerungsoase, die sogenannte Ghuta (arab. für fruchtbare Ebene mit Bäumen), eingebettet und wird im Norden durch den Berg Qasiyun, einen Ausläufer des Antilibanon-Gebirges, begrenzt. Im Süden wird die Ghuta durch die 700-900 m hohe vulkanische Bergkette der Aswad- und Al-Mani-Berge vom Hauran, der Kornkammer Syriens, getrennt. Im Osten verläuft sich die Hochebene ohne natürliche Grenze in der Syrischen Wüstensteppe. Der Fluss Barada ist die Hauptwasserquelle der Stadt und ihrer Ghuta. Ursprünglich dehnte sich die Ghuta in einem Radius von ca. 7-10 km um die Altstadt von Damaskus aus, sie lag wie ein breiter grüner Gürtel vor der Stadtmauer.

Die Oase entstand auf den fruchtbaren Böden, welche mit den geschmolzenen Niederschlägen vom Berg Qasiyun heruntergespült wurden.

Ghuta von Damaskus, Luftaufnahme von Obst- und Gemüsegärten
Ghuta von Damaskus, Luftaufnahme von Obst- und Gemüsegärten | Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, Sammlung Eugen Wirth (CC-BY-NC-SA)

Die Bedeutung der Ghuta

Die Ghuta von Damaskus war unter den Oasen des Orients die größte und berühmteste.

Sie war nicht nur landwirtschaftlicher Nutzraum, sondern verfügte darüber hinaus über zahlreiche weitere Funktionen und hatte eine starke historische, ökologische, versorgungstechnische und kulturelle Bedeutung für die Stadt Damaskus. Ihren außerordentlichen Wasserreichtum verdankte die Ghuta dem Barada, der in sieben Flussarme aufgeteilt war und so sauberes Wasser führte, dass die Bewohner des Barada-Tales ihr Trinkwasser noch bis in die 1960er Jahre direkt aus dem Fluss entnahmen. 

Die Böden der Ghuta zeichneten sich durch eine hohe Fruchtbarkeit aus, nicht zuletzt da der Barada dort einst in einem später ausgetrockneten See endete, aber auch da der organische Abfall der Stadt über Jahrhunderte von den Bauern abgeholt und auf den landwirtschaftlichen Flächen verteilt wurde. Die landwirtschaftliche Nutzung der Ghuta erfolgte in Zonen, deren intensive Nutzung ringförmig von den Stadtmauern ins Umland abnahm.

Die Ghuta, der einstige Paradiesgürtel um Damaskus
Damaszener Rosen am Bewässerungskanal – irgendwo in der Ghuta, 2010 | Lulu Dombois/Azadeh Rahnama (CC-BY-NC-ND)
Weingarten in der Ghuta von Damaskus
Weingarten in der Ghuta von Damaskus | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)

In den stadtnahen, gut bewässerten und gedüngten Gebieten, wurde überwiegend Gemüse angebaut, stadtferner war die Ghuta von weitläufigen Obstbaumhainen geprägt. Vor allem Nüsse, Aprikosen und Oliven gehörten zu den Spezialitäten, die die Ghuta hervorbrachte. Die landwirtschaftlichen Erträge waren so reich, dass die Bewohner von Damaskus versorgt werden konnten und sich die Stadt damit autark mit Lebensmitteln versorgen konnte.

Die Ghuta war stets eng verknüpft mit der Stadt und ihren Bewohnern, sowohl wirtschaftlich und versorgungstechnisch als auch soziokulturell – neben ihrer Funktion als landwirtschaftlicher Ertrags- und ökologischer Nutzraum spielte die Ghuta eine wichtige Rolle als landschaftlicher Freizeit- und Erholungsraum. So zog man sich am Feierabend nach einem schweren Arbeitstag in der lauten und staubigen Stadt in die stadtnahe Gartenzone zurück und genoss das frische Klima in seinem privaten Garten oder einem der zahlreichen Tee- und Kaffeehäuser im Schatten der Obstbäume. Die Ghuta hatte somit eine starke kulturelle Bedeutung, die sich für die ganze Stadt über Jahrhunderte und bis ins 21. Jahrhundert identitätsstiftend auswirkte.

Weg in der Ghuta von Damaskus
Weg in der Ghuta von Damaskus | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)
Schafherde in einem Baumhain der Ghuta
Schafherde in einem Baumhain der Ghuta | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)

Der Wandel der Ghuta

Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert sah sich der Oasengürtel wegen des schnellen Wachstums der Stadt einem rasanten Wandel unterzogen. Durch neue Wohnviertel, Straßen, Werkstätten und Fabriken außerhalb der Stadtmauern breitete sich die Stadt immer weiter und zumeist unkontrolliert in das Umland aus und drängte die Flächen der Ghuta zurück. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit 1941 zählte die Stadt rund 296.000 Einwohner, in den 80er Jahren spricht man schon von einer Einwohnerzahl von rund drei Millionen. Dieses rapide Bevölkerungswachstum, bedingt durch Landflucht, Immigration und wirtschaftlichen Aufschwung, erschwerte vermutlich eine geordnete und zielgerichtete Stadtplanung. Im Flächennutzungsplan, den Ecochard und Banshoya 1957 erstellten, wurde die Ghuta als schützens- und erhaltenswert erkannt und es wurden konkrete Räume außerhalb der Ghuta für die potentielle Stadterweiterung vorgeschlagen. Die Umsetzung dessen wurde allerdings nur zögerlich und in Teilen vorgenommen. Die großen und kleinen Siedlungen innerhalb der Ghuta fraßen sich immer weiter in die Bewässerungsoase hinein und entwickelten sich zu Klein- und Großstädten.

Neubau einer Villa inmitten der Ghuta von Damaskus
Neubau einer Villa inmitten der Ghuta von Damaskus | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)
Ein zweistöckiges Gebäude in einem Dorf der Ghuta
Ein zweistöckiges Gebäude in einem Dorf der Ghuta | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)

Dieses Phänomen des rasanten und meist unkontrollierten Wachstums von Damaskus zog eine extrem hohe Belastung der natürlichen Ressourcen nach sich, wie Vermüllung, ausgelaugte Böden, Wassermangel, Absenkung des Grundwasserspiegels etc. zeigen.

Damaskus nahm sich mit der unkontrollierten Bebauung seines Grüngürtels die eigene Luft zum Atmen. Mit dem Krieg 2011 verwandelte sich die Ghuta in ein Schlachtfeld mit Giftgasangriffen, Belagerungen und Eroberungen. Der Krieg vertrieb die Bewohner, zerstörte die Häuser und verbrannte die Bäume. Von den einst paradiesischen Gärten und blühenden Landschaften dürfte nun nicht mehr viel übrig sein.

West-Ghuta, abgebrannter Olivenhain, 2010
West-Ghuta, abgebrannter Olivenhain, 2010 | Lulu Dombois/Azadeh Rahnama (CC-BY-NC-ND)

Featured image: Ghuta-Landschaft mit Blick über den Süden von Damaskus zum Jabal Qasyun, 2007 | Jaber al-Azmeh (CC-BY-NC-ND)



Autorenschaft von Azadeh Rahnama und Lulu Dombois. Azadeh Rahnama und Lulu Dombois haben Landschaftsarchitektur an der TU Berlin studiert. 2010 gaben sie ihre Diplomarbeit mit dem Titel Al-Ghouta und Damaskus – eine Geschichte neu erzählt im Fachbereich Landschaftsarchitektur und Freiraumplanung (bei Professor Prof. Undine Giseke) erfolgreich ab. Zu den Recherchen haben sie Syrien in den Jahren 2008 bis 2010 mehrfach bereist.

Eineinhalb Bahnen – Das Haus meines Großvaters im Euphrat-Tal

von Kahttan Alsharki

Hajar al-Abyad, Vater des Autors im Gespräch, im Hintergrund Blick zum Küchenbereich
Vater des Autors im Gespräch, im Hintergrund der Küchenbereich des Eineinhalb-Bahnen-Hauses in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)

An den flachen Hängen des Euphrat-Tals östlich von Manbij befindet sich im Dorf Hajar al-Abyad das traditionelle Haus meines Großvaters, in dem er mit seiner Familie lebte. Die Geschichte des Hauses geht auf das Jahr 1907 zurück, als zwölf armenische Einwanderer in unser Dorf kamen. Diese Migranten, Frauen, Männer und Kinder, wurden von meinem Großvater für mehr als zwei Monate in sein bescheidenes Haus eingeladen. Er schützte sie vor Anfeindungen und versorgte sie mit allem Lebensnotwendigen wie Essen, Trinken und einer Unterkunft. 

Da großzügige Menschen Dankbarkeit mit Dankbarkeit erwidern, bauten vier Armenier ein neues Haus für meinen Großvater. Der Grundriss, der für das neue Haus gewählt wurde, war ein für die ländliche Region des nordsyrischen Euphrat-Tals üblicher Typ, der als „eineinhalb Bahnen“ (fjjje u nus, hocharab. fijja wa nusf) bezeichnet wird. Es handelt sich um ein geräumiges Einraumhaus, in dem der Sitzbereich etwas abgeteilt ist, um dort männliche Gäste empfangen zu können. Im Alltag okkupiert die Familie die gesamte Hausfläche. Die Raumteile sind nur durch Zungenmauern getrennt, das Haus verfügt über keine Innentüren. Der vordere, größere Hausteil (die ganze Bahn) besteht aus Sitz- und Gästebereich links und einem Küchenteil rechts des Eingangs, während im kleineren hinteren Hausteil (die halbe Bahn) aller Besitz der Familie gestapelt ist.

Meine Mutter bewohnt nun alleine das Haus, während früher unsere große Familie dort ihr Zuhause fand.

Eineinhalb Bahnen – Das Haus meines Großvaters im Euphrat-Tal
3 Häuser des Typs ‚Eineinhalb Bahnen‘, deren ‚halbe Bahn‘ jeweils zur Westseite liegt (am Rande des Euphrat-Tales) | Julia Gonnella (CC-BY-NC-ND)
Hajar al-Abyad, plan of fijje u nus-house
Grundriss des fijje u nus-Hauses in Hajar al-Abyad | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

Die Grundfläche eines fjjje u nus-Hauses beträgt zwischen 48 und 80 m² bei mindestens 3 m Raumhöhe und seine Geräumigkeit macht den Aufenthalt darin auch im Sommer erträglich. Wandstärken von 50 cm halten das Innere im Sommer kühl und im Winter warm. Die Mauern sind aus Lehmziegeln gebaut, die aus einer Mischung von Erde, Wasser und Stroh bestehen. Die Lehmziegel werden in der Sonne getrocknet, um ihnen die nötige Festigkeit zu verleihen. Das Dach liegt auf dem massiven waagrechten Querbalken (hayzan) auf, der auf einem Pfeiler und den beiden Zungenmauern ruht. Der hayzan muss stark genug sein, um die darauf aufliegenden, dünneren Rundhölzer und damit das Dach als Ganzes zu tragen. Mein Großvater erzählte uns, dass er das Bauholz aus der Stadt Harran in der Nähe von Urfa mitgebracht hatte.

Hajar al-Abyad, in the one and a half lane house the internal wall is used to hang a mirror and a wall bag
Im Eineinhalb-Bahnen-Haus wird die Wandzunge benutzt, um Spiegel und Wandtasche aufzuhängen in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)
Hajar al-Abyad: In the center of the "panel and a half"-house with pillar, beam and bedding piles
Im „Eineinhalb-Bahnen“-Haus mit hölzerner Stütze, Träger und Bettzeugstapeln in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)

Die Eingangstür des Hauses meines Großvaters war ein Meisterwerk. Die Armenier, die sie gebaut haben, verwendeten Eichenholz und Stahlnägel. Der Schließmechanismus war komplex. Leider ging diese Tür vor einigen Jahren verloren. Im fjjje u nus-Haus meines Großvaters befanden sich viele traditionelle volkstümliche Gegenstände, wie zum Beispiel eine Rababa, eine Art einfacher Geige. Trotz ihrer Beliebtheit seit alters her stirbt sie heute aus. Das Haus war mit Schwertern und alten traditionellen Teppichen dekoriert. Die Gebrauchsgegenstände für Essen und Trinken waren oft aus verzinntem Kupfer. Es hingen selbstgemachte Wandtaschen an den Wänden, die zur Aufnahme einfacher Haushaltsgegenstände wie Nähzeug, medizinische Geräte und anderer Dinge dienten.

Hajar al-Abyad, the self-woven carpet is laid out only for important celebrations
Der selbstgewebte Teppich wird nur zu wichtigen Feiern ausgelegt in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)
Hajar al-Abyad, kitchenware from the 2nd half of the 20th century
Küchengeschirr aus der 2.Hälfte des 20.Jahrhunderts in Hajar al-Abyad | Kahttan Alshrki (CC-BY-NC-SA)

Fijje u nus ist ein architektonischer Haustyp, der die Region im 20. Jahrhundert prägte, heute aber nicht mehr gebaut wird. Nur das Haus meines Großvaters und einige ähnliche in den Nachbardörfern existieren noch. Der fjjje u nus-Haustyp wurde etwa bis in die 1970er Jahre bei Neubauten verwendet. Während der Jahre seiner Verbreitung bauten viele Dorfbewohner ähnliche Häuser in verschiedenen Größen. Die meisten dieser Häuser wurden jedoch aufgegeben oder durch moderne Gebäude ersetzt. Die Kupferwaren sind verschwunden und durch moderne Gebrauchsgegenstände ersetzt worden. Von diesem Kulturerbe sind nur noch wenige Überreste und einige Fotos erhalten.

Als Bevollmächtigter der osmanischen Verwaltung verfügte Hamad al-Sharqi, der Großvater des Autors, über das offizielle Siegel für den Distrikt.
Als Bevollmächtigter (Imam) der osmanischen Verwaltung verfügte Hamad al-Sharqi, der Großvater des Autors, über das offizielle Siegel für den Distrikt | Kahttan Alshrki

Feature Image: Julia Gonnella (CC-BY-NC-ND)


ِAutorenschaft von Kahttan Al-Shrki: Kahttan Al-Shrki wurde in der Nähe von Manbij geboren und studierte Arabisch in Damaskus. Er lebt in der Südtürkei, wo er im humanitären Bereich, im Journalismus, in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Koordination lokaler syrischer und internationaler Organisationen arbeitet. Er schreibt auch über das syrische Erbe, womit er sich auf seinen Vater, Shaykh Abdul Jabbar al-Sharqi, bezieht, der ein bekannter Lokalhistoriker in der Region war.

Der Eselsführer von Max von Oppenheim

von Rolf Brockschmidt

Im Jahr 1977 war Rolf Brockschmidt als Student Teilnehmer einer archäologischen Bestandsaufnahme am Khabur in Nordostsyrien für den Tübinger Atlas des Vorderen Orients.

Karte des Zweistromlandes zwischen Euphrat und Tigris
Karte des Zweistromlandes zwischen Euphrat und Tigris | Hiba Bizreh (CC-BY-NC-SA)

Die Leitung der Expedition lag bei Professor Wolfgang Röllig von der Universität Tübingen. Dabei wurde Tell Scheich Hamad (Tall ash-Shaykh Hamad) als bedeutende Provinzhauptstadt Dur-Katlimmu entdeckt, die Hartmut Kühne, ebenfalls Expeditionsteilnehmer, seit 1978 an der Freien Universität (seit 1980 als Professor) ausgräbt. Die fünf Teilnehmer der Expedition waren sich damals der Tatsache bewusst, dass der letzte deutsche Archäologe in dieser abgelegenen Gegend Nordostsyriens Baron Max von Oppenheim war, als er 1929/30 den Khabur entlang reiste.

Die Expedition unternahm Erkundungen in der Region. In der ersten Hälfte der Zeit fuhren wir von der Provinzstadt Hasaka im Norden aus den Khabur entlang nach Süden, um bedeutende Siedlungshügel (Talls) zu vermessen, Scherben zu sammeln, zu fotografieren und in Karten einzutragen, in der zweiten Hälfte von Dayr az-Zawr aus nach Norden. Gerade die systematische Kartierung der Siedlungshügel hatte von Oppenheim nicht vorgenommen. Die Flussaue des Khabur ist grün und fruchtbar, doch oben auf dem Plateau reicht der Blick weit über ein flaches Land, karg, staubig, mit einer steppenartigen Vegetation. Es war heiß im August, außergewöhnlich heiß, einen Monat lang hatten wir bis zu 45 Grad im Schatten – und Schatten gibt es in der Jazira, wie diese Gegend heißt, kaum. Die Dörfer lagen auf dem Plateau meist in Flussnähe, ein paar Lehmziegelbauten, die wie Fremdkörper in der Ebene lagen. Nicht wenige hatten einen Tall in der Nähe, der sich markant aus der Ebene erhob – ein Zeichen vorzeitlicher Besiedlung. Ab und zu begegneten einem Kinder, die Schafe hüteten oder Frauen, die mächtige Bündel mit Reisig oder Viehfutter auf dem Rücken schleppten – ganz wie zu Oppenheims Zeiten.

Blick vom Tall Hamidiyya auf die Ebene mit dem Wadi Jarjar und Feldern
Blick vom Tall Hamidiyya auf die Ebene mit dem Wadi Jaghjagh und Feldern | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)
Das Dorf Tall Hamidiyya mit dem Grabungshaus (links)
Das Dorf Tall Hamidiyya mit dem Grabungshaus (links) | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

Wann immer wir mit unserem VW-Bus in ein Dorf kamen und den Theodoliten auf den Tall schleppen wollten, kamen Kinder und Erwachsene neugierig herbei, um uns zu begrüßen und zu bestaunen. Die Verständigung lief über unseren ständigen Begleiter, den damaligen Museumsdirektor von Dayr-az-Zawr, Assad Mahmoud.

In einem kleinen Dorf am Khabur: fremde Besucher werden willkommen geheißen
In einem kleinen Dorf am Khabur: fremde Besucher werden willkommen geheißen | Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

Eines Tages trafen wir in Tall Knaydij Nord ein, einem kleinen Ort am Siedlungshügel. Als wir ausstiegen, um uns umzuschauen, kam uns die übliche Delegation entgegen, angeführt von einem würdigen älteren Herrn mit weißem Bart. Nach dem Begrüßungsritual wollte er wissen, wer wir seien, was wir hier wollten und woher wir kamen. Meistens dachten die Dorfbewohner, wenn sie unseren Theodoliten sahen, wir seien das Vorauskommando für den Staudammbau – manche hielten uns für Spione Israels, aber das war die Minderheit.

Als der alte Mann erfuhr, dass wir deutsche Archäologen seien, hellte sich seine Miene deutlich auf. „Ja, da war schon einmal jemand hier, vor langer Zeit, der Baron, aber der Name…“ „Max von Oppenheim“, sagte Assad Mahmoud und der alte Mann erinnerte sich plötzlich: „Ja, so hieß er, und ich war damals sein Eselsführer, als junger Mann.“

Damit konnten wir die Untersuchung von Tall Knaydij Nord vergessen. Kein Scherbensammeln, keine Vermessung – wir wurden zu seinem Haus eingeladen, einem größeren rechteckigen Lehmziegelbau, der allerdings schon bessere Tage gesehen hatte. Oben am Dach waren ringsum große Neonleuchten angebracht – Zeichen seines bescheidenen Wohlstands. Niemand im Dorf hatte Neonleuchten am Haus.

Der Eselsführer von Max von Oppenheim
Eselsführer Max von Oppenheims bei einer Rast auf dem Rückweg vom Tall Halaf 1913 | Max Freiherr von Oppenheim Stiftung, Köln
Der Eselsführer von Max von Oppenheim
Bei der Ausgrabung des Tall Halaf durch Max von Oppenheim im Jahr 1912: Fund von zwei umgestürzten Skulpturen, die einst das Skorpiontor bewachten (10./9. Jh. v. Chr.) | Max Freiherr von Oppenheim Stiftung, Köln

Der damalige Eselsführer von Max von Oppenheim stellte sich als Shaykh Khidr al-Muslat vom Stamme der Jbur vor, und nach Sitte der Beduinen wollte er uns nun bewirten. Er stellte uns seiner Frau vor, die sich ihrer Rolle als Frau des Shaykhs bewusst war. Sie trug ein schwarzes Gewand, verschwand nach der Begrüßung sogleich im Haus und kehrte bald danach wieder. Zu unseren Ehren hatte sie ihren ganzen Goldschmuck angelegt, eine lange schwere Kette mit vielen Goldstücken und Münzen sowie schwere Armbänder. Wir ließen uns vor dem Haus im Schatten auf Teppichen nieder und bekamen Tee, Zigaretten, Bonbons, Parfüm und ein vorzügliches Essen gereicht, das in der Eile für uns zubereitet wurde – ein Eintopf aus Fleisch, Auberginen, Zwiebeln und Lauch sowie Fladenbrot. Es war vorzüglich.

Der Shaykh entschuldigte sich für das in seinen Augen karge Mahl, es sei eben Ramadan und man faste, aber hätte er gewusst, dass wir kommen, er hätte einen Hammel für uns schlachten lassen. Beduinische Gastfreundschaft, wie auch Max von Oppenheim sie erlebt und beschrieben hat. Der Shaykh klagte ein wenig über die Zeiten – damals war Syrien eine sozialistische Republik. Früher habe er über 20 Dörfer geherrscht, jetzt bleibe ihm nur noch dieses eine. Aber sein Bruder, der Shaykh von Tall Brak, habe wohl dank seiner guten Beziehungen zur saudischen Königsfamilie, die offenbar Druck auf die Regierung ausgeübt habe, sein Vieh und seine Ländereien zurückbekommen und sei wieder ein reicher Mann.

Aber er freute sich, dass er nun Gäste aus Deutschland bewirten konnte, die wie der Baron gekommen waren, um diese Gegend Syriens zu erforschen. Ob er noch mehr über Oppenheim und die damalige Reise erzählt hat, geben weder Tagebuch noch Erinnerung her, aber den Eselsführer des Barons in einem kleinen Dorf am Khabur getroffen zu haben, wird uns ewig in Erinnerung bleiben. Am Nachmittag sind wir nach Hasaka zurückgekehrt und mein Tagebuch vermerkt lapidar: „Danach das Übliche: Scherbenwaschen.“ 


Mit freundlicher Genehmigung des Tagesspiegels, in dem der Artikel im Jahr 2011 erstmalig erschien.

Max Freiherr von Oppenheim ist in archäologischen Kreisen besonders durch seine Entdeckung des prähistorischen Siedlungshügels von Tell Halaf bekannt. Nach der tragischen Zerstörung der archäologischen Funde während des Zweiten Weltkrieges in Berlin wurden die Objekte ab 2001 durch ein großangelegtes Restaurierungsprojekt des Vorderasiatischen Museums restauriert und 2011 in der Sonderausstellung Die geretteten Götter aus dem Palast von Tell Halaf ausgestellt. Der Tagesspiegel berichtete von der Ausstellung in mehreren Artikel, die unter anderem auch Ausschnitte des Tonarchivs von Max von Oppenheim zeigen.


ِAutorenschaft von Rolf Brockschmidt: Rolf Brockschmidt hat Germanistik, Niederlandistik und Geschichte in Berlin und Utrecht studiert und arbeitet seit 1982 als Redakteur und seit 2018 als Autor für den Tagesspiegel. Als Zeichner hat er 1974 an der Grabung in Kamid el Loz, Libanon, und 1977 an dem Survey des Tübinger Atlas des Vorderen Orients am Khabur, Syrien, teilgenommen.

Der letzte Meister der Sattelmacher

von Dr. Saria Almarzook

In Damaskus, der ältesten Hauptstadt der Welt mit ihren einhundertfünfzig Märkten (suq), kann man noch die „Ruinen“ des berühmten Surujiyya Markts sehen. Der Markt liegt nördlich des Suq al-Hamidiyya und Suq al-Khaja. Im Westen grenzt er an die Mauern der historischen Zitadelle von Damaskus und des ‘Tor des Geheimnisses’, mit Blick auf die Ufer der Flüsse Banias und Barada, gegenüber der Sanjaqdar Moschee (Ibn al-Mabrid, 1939). Früher lag er orthonogal zum Zarabiliyya Suq, bevor dieser abgerissen wurde. Im Osten grenzt der Suq as-Surujiyya an traditionelle syrische Wohnhäuser und den Suq Al-Mahayariyya, und im Norden an die King Faisal ibn Hussein Street (Al-Armashi, 2017). Der restliche Markt erstreckt sich mit einem gewölbten Eisen- und Zinkdach von der Thawra Street und der König Faisal Straße parallel zur Mauer der Zitadelle von Damaskus, wie auf der Karte zu sehen ist (Fig. 2).

Postcard of Suq as-Surujiyya in Damascus
Fig. 1: Alte Postkarte des Suq as-Surujiyya in Damaskus | Wolf-Dieter Lemke (CC-BY-NC-ND)
Der letzte Meister der Sattelmacher
Fig. 2: Karte des Suq as-Surujiyya – © Imad Al-Armashi, basierend auf einer Karte von Prof. Stefan Weber

Der Suq as-Surujiyya entstand höchstwahrscheinlich in der Ayyubiden-Dynastie, also vor etwa 800 Jahren. Der Markt war spezialisiert auf die Herstellung von Sätteln für Pferde, und alle anderen Arten von Tieren, die für den Transport auf den Handelsrouten, auf den Feldern und für andere Dienste eingesetzt wurden, wie Maultiere, Esel und Kamele (Al-Armashi, 2017). Die Nachfrage nach Pferdesätteln stieg mit der Ankunft der Osmanen in Damaskus durch ihre Beteiligung an militärischen Missionen. Es entstand ein Bedarf an der Ausrüstung von Pferden in Militärlagern und Kasernen. Sättel wurden auch von Reisenden und Forschern benötigt, die die osmanischen Staaten in dieser Zeit bereisten, insbesondere während des Endes der osmanischen Herrschaft in der Levante, am Ende des neunzehnten Jahrhunderts und an der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert. Jeder wollte arabische Sättel, die im Suq as-Surujiyya von Damaskus hergestellt wurden (Nuʿaysa, 1986). Die Herstellung von Sätteln fand nicht ausschließlich im Surujiyya Suq in Damaskus statt, wie die wenigen verfügbaren Quellen verlauten lassen. Einige Züchter erwähnen, dass es auch lokale Sattelhersteller auf dem Land und in Städten weit weg von Damaskus gab. Die Kavallerie verwendete jedoch stolz Damaszener Sättel und betrachtete sie als unverzichtbare Dekoration bei großen Veranstaltungen und Festen. Ein Damaszener Sattel vereinte Schönheit, Qualität und Widerstandsfähigkeit.

Der letzte Meister der Sattelmacher
Fig. 3: Bestandteile eines handgefertigten Damaszener Sattel für Araberpferde‎ | Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh  (CC-BY-NC-ND)

Der Begriff Surujiyya bezieht sich auf die Werkzeuge, die zur Herstellung eines Reitersattels verwendet werden und auf die komplette Sattelausrüstung. Wesentliche Elemente dieser Ausrüstung sind der Sattel (oder jalal, die Bedeckung des Pferderückens) und sein Zubehör einschließlich Zaumzeug (الراسيات), Zügel oder Leine (الصرع أو المقود), Trensengebiss (الشكيمة), Bauchgurt (الحزام), Martingal aus Wollfäden und Muscheln (الشوبند أو الصدرية) oder Martingal aus Silber (السلبند), und Steigbügel (الركاب).

Der Sattelsitz besteht aus einer Matte (الجلال), deren Seiten vernäht sind. Ursprünglich wurde es aufgrund des leichten Gewichts mit Stroh gefüllt. Später stopfte man es mit Baumwolle und zusätzlichen Stoffstücken, überzog es mit Leder, der dann mit bestickten Stoff versehen wurde. Damit wird sichergestellt, dass sich der Reiter beim Reiten mit einem arabischen Sattel wohl fühlt, egal wie lang die Reise ist. Sättel werden aus den besten Arten von Baize, Baumwolle und Wolle hergestellt. Die Reiter in Damaskus und generell in Syrien verwenden unterschiedliche Bezeichnungen für Sättel, je nachdem, ob der Sattelsitz lang ist (marshaha) und den gesamten Rücken des Pferdes bis zum Schweif bedeckt oder kurz (kafliyyah). Die handgearbeiteten Inschriften auf dem Sattel, der mit Silber und bunten Wollfäden verziert ist, variieren. Zusammen mit dem Zubehör bildet der Sattel eine komplett ausgestaltete Einheit, die den Körper des Pferdes bedeckt. Es garantiert totalen Komfort für das Pferd und die Reiter. Die Menge an Silberamuletten, Edelsteinen, Muscheln und bunten Perlen, die besonders das Halfter und das Martingal schmücken repräsentiert Wohlstand (Fig. 4 und 6).

Handcrafted bridles with noseband for Arabian horses
Fig. 4: Handgefertigtes Zaumzeug mit Nasenband für Araber-Pferde | Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh  (CC-BY-NC-ND)
Martingale aus Silber
Fig. 5: Martingal aus Silber | Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh  (CC-BY-NC-ND)
Martingale made of wool and shells
Fig. 6: Martingal aus Wollfäden und Muscheln | Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh  (CC-BY-NC-ND)

Nach syrischem Brauch wurde der Sattel in der Regel für Feste oder kurz vor einer Reise hergerichtet, da das Zurechtmachen des Pferdes ein gutes Omen versprach. Aus diesem Grund wird der Status des Pferdes und das Wohlergehen der Reiter an religiösen Feiertagen oder bei der Abreise zu Geschäften oder dem Hadsch geehrt und gesegnet (Sheik Al-Sroujieh, 2019). Dies ist vor allem auf den religiösen Status der Araberpferde in der islamischen Geschichte und auf ihre Erwähnung im Koran („Die Kriegspferde/al-adiyyat/ Sura 100) und in prophetischen Überlieferungen zurückzuführen, bei denen man ausgeht, dass auf Araberpferde Bezug genommen wird.

Es wird angenommen, dass die Organisation des Handwerks auf die Zeit der Fatiminiden (10.-12. Jahrhundert) zurückgeht, jedoch wurde es in osmanischer Zeit weiter definiert, als jeder Berufszweig in Damaskus einem Handwerksmeister (Sheikh al-Kar) unterstellt wurde. Historischen Quellen zufolge waren zu dieser Zeit 435 Handwerker (kar) in Damaskus registriert (Al-Qasimi and Al-Azam, 1988). Kar ist ein persisch-türkisches Wort, das Handwerk bedeutet. Jedes Handwerk und dessen Handwerker wurde einem Handwerksmeister unterstellt, der in der Regel entweder aus einer adligen Familie (dies konnten prominente Familien aus Damaskus sein oder eine Familie, deren Abstammung auf die Familie des Propheten Mohammed zurückgeht) oder von den Janitscharen (einer Elitetruppe der osmanischen Armee, welche die persönlichen Wachen der osmanischen Sultane stellten) stammte (Farid Beg, 1981). Der Handwerksmeister kann mit dem Leiter einer Berufsgilde gleichgesetzt werden, der durch eine von einem Richter ausgestellte Urkunde ernannt und gemäß dem Gesetz in den Akten des Damaszener Gerichts registriert wurde (Nuaisa, 1986).

Die Herstellung von Damaszener Sätteln für Araber gilt als traditionelles Handwerk, mit dem das Wissen und die Fertigkeit zur Herstellung eines Sattels, seines Zubehörs, der notwendigen Instrumente und die Fachkenntnis über die Tätigkeiten und Produkte dieses Handwerks überliefert werden. Die Zahl der Handwerker ist alarmierend zurückgegangen. Derzeit gibt es nur noch einen Handwerksmeister.

Yasin, Sohn des Amin, Sohn des Muhammad Sheikh al-Sroujieh in seinem Laden im Suq as-Surujiyya in Damaskus vor der partiellen Zerstörung des Marktes in 1970
Fig. 7: Yasin, Sohn des Amin, Sohn des Muhammad Sheikh al-Sroujieh in seinem Laden im Suq as-Surujiyya in Damaskus vor der partiellen Zerstörung des Marktes in 1970

Die Geschichte des letzten Meister der Sattelmacher des as-Surujiyya: Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh‎

Mit der Entwicklung moderner Transportmittel und dem damit verbundenen Verschwinden der Pferde aus dem öffentlichen Leben schwand der funktionale und berufliche Zweck des As-Surujiyya Suq. Die meisten der geschickten Sattelhersteller verließen das Land und nahmen die Geheimnisse des alten Handwerks mit. Dennoch wollen Pferdezüchter (insbesondere von Araberpferden) in allen Teilen der Welt nach wie vor Sättel und Zubehör für Araberpferde kaufen, und sei es nur, um ihre Pferde für Veranstaltungen oder Fotoshootings zu schmücken, oder um sie als traditionelle Dekorationsgegenstände an die Wände ihrer Häuser und Gästehäuser zu hängen.  

„Die Leute, die in der Sattelherstellung arbeiteten, wurden „suruji“ genannt (vom arabischen Wort für Sattel, suruj)”, erzählt Khalil Sheik Al-Sroujieh. “Wenn es Streitigkeiten oder Probleme gab, wurde eine Person mit Erfahrung, Intelligenz und Taktgefühl ausgewählt, um zu schlichten. Er musste vor allem die notwendige finanzielle Kapazität, erwartete Frömmigkeit und einen gewissen Charakter haben, um die Probleme der Händler zu lösen.  Der Gouverneur von Damaskus erließ deshalb ein Dekret, dass jeder Berufsstand einen Meister haben musste, der sich bei Problemen auf dem Markt oder unter Handwerkern um Lösungen bemühte. Diese Person wurde Sheikh Al-Kar (Handwerksmeister) genannt. Da unsere Familie die fähigste und am längsten bestehende in diesem Handwerk war, wurde unser Vorfahre am Ende des achtzehnten Jahrhunderts als Meister für die Zunft der Sattelmacher ausgewählt. Das Handwerk wurde in unserer Familie von Generation zu Generation weitergegeben. Der Titel des Scheikh Al-Kar ist in der Familie geblieben. So wurde der Berufstitel mit der Zeit der Nachname unserer Familie: Sheik Al-Sroujieh.“

Broschüre von Khalil Ibrahim Sheikh Al-Sroujiehs Geschäft in Amman
Fig. 8: Broschüre von Khalil Ibrahim Sheikh Al-Sroujiehs Geschäft in Amman

Khalil, Sohn des Ibrahim, Sohn des Ahmed, Sohn des Amin, Sohn des Muhammed Said, Scheikh As-Sroujieh, ist heute der Großmeister des Sattlerhandwerks und der letzte seiner Zunft. Diesen Titel hatte auch sein Großvater väterlicherseits (Scheich Muhammad Said, bekannt als Abu Amin) inne – Vertreter der Handwerker dieses Berufs und oberster Handwerksmeister sowie Repräsentant gegenüber dem Osmanischen Reich. Zu seinen Befugnissen gehörte die Möglichkeit, eine Lizenz zur Ausübung des Berufs zu erteilen (oder zu entziehen), gemäß einem Dekret aus dem Jahr 1797 (Militärdivisionsakte Nr. 330, gemäß dem Eintrag Nr. 240 des Obersten Gerichts in Damaskus). Die Handwerker erbten in der Regel von ihren Vätern oder Brüdern die Position des Handwerksmeisters. Sie konnten durch ein Dekret des Sultans entlassen und ausgewechselt werden. Das Dekret forderte dann ein neuen Handwerksmeisters und legte die gesuchten Eigenschaften fest. Damals war der As-Surujiyya Suq nicht nur auf die Herstellung von Sätteln spezialisiert, sondern war auch ein Zentrum für die Produktion von Pistolengehäusen, kleinen Gewehre sowie von Einbänden zum Schutz von Büchern und Amuletten (Al-Dimashqi, 1341H).

Khalil erinnert sich noch an seine Kindheit und Jugend im as-Surujiyya Suq von Damaskus und den Verlust von mehr als vierzehn Geschäften der Familie durch den Abriss eines wichtigen Teils des Marktes im Jahr 1970. Glücklicherweise hatte sein Vater (Ibrahim Sheik Al-Sroujieh, 2019) einen Teil seiner Ausrüstung nach Amman, Jordanien, gebracht und sich dort mit seiner Familie niedergelassen. Er eröffnete ein Geschäft zur Herstellung von Sätteln in der Al-Hashimi-Straße (Rashid, 2002). Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh betreibt sein Geschäft in Amman bis heute zusammen mit seinen Brüdern und Söhnen und führt die Familientradition und das Handwerk seiner Vorfahren fort. Von Zeit zu Zeit besucht er immer noch Damaskus, um Stoffe, geflochtene Seilen und Rohmaterialien besorgen, die nur in Damaskus erhältlich sind. Khalil erzählt von den Arbeitsschritten bei der Herstellung eines arabischen Sattels: „Die Form wird aus Jute gemacht und mit Baumwolle oder Wolle ausgestopft. Dann werden links und rechts die Steigbügel angebracht und ein Riemen für den Bauch des Pferdes auf der rechten Seite. Zwei Holzstücke, im Handel ka’ka genannt, werden dann vorne und hinten befestigt. Das vordere Stücke wird mit Baize oder einer tadriba (Vernähen des Sattelsitzes mit einer langen Nadel und zwei geflochtenen Wollfäden; die Ecken in einer Form parallel zum Pferderücken) bedeckt. Davor wird die Füllung angebracht und ihre Dicke überprüft, um den Komfort des Pferdes und der Reiter zu gewährleisten. Nachdem die Steigbügel und der Bauchgurt befestigt sind, wird das Zubehör, zu dem der Brustgurt, das Halfter, der Riemen und die Zügel gehören, angebracht. Die Herstellung eines Sattels dauert volle drei bis vier Tage.“

Khalil Ibrahim Sheikh Al-Sroujieh making a saddle for a thoroughbred Arabian horse
Fig. 9: Khalil Ibrahim Sheikh Al-Sroujieh bei der Herstellung eines Sattel für Araberpferde | Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh  (CC-BY-NC-ND)
A handmade saddle by Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh
Fig. 10: Ein handgefertigter Sattel von Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh | Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh  (CC-BY-NC-ND)

Khalil erzählt weiter: „Der Kauf von Pferden ist jetzt auf die Reichen, Scheichs, Prinzen und ihre Gestüte beschränkt. Sie scheuen keine Kosten, um die besten Sättel zu kaufen. Ihre Nachfrage nach Reitsätteln kann sogar goldene Elemente beinhalten, die nur noch ein Abbild einer Industrie repräsentieren, die kurz vor dem Verschwinden ist. Heute gibt es nur noch eine Handvoll Handwerker. In letzter Zeit wurden einige leichte und billige Sättel hergestellt, die von den Leuten zum Reiten in Parks, Resorts und archäologischen Stätten verwendet werden, aber sie sind zweifellos nicht mit den ursprünglichen Sätteln vergleichbar“.

Wir sind uns heute mehr denn je der Bedeutung der Erhaltung traditioneller Handwerksbetriebe bewusst und der Notwendigkeit, Fertigkeiten zu dokumentieren und ihre Details und Veränderungen zu bewahren, ohne dass das Wissen über sie verloren geht oder die mit ihnen verbundenen Begriffe und Wörter mit der Zeit verschwinden. In den letzten Jahren sind Kunsthandwerke zunehmend vom Niedergang betroffen, insbesondere durch den Vormarsch der Technologie in der Herstellung und dem damit einhergehenden Verlust der Wertschätzung für traditionellen Industrien, dem Interesse an Details, die sich nur auf Züchter mit finanziellen Ressourcen beschränken. Khalil Ibrahim Sheik Al-Sroujieh erhält Einladungen von Reitertreffen auf der ganzen Welt, um seine handgefertigten Produkte zu präsentieren. Internationale Fachzeitschriften, die sich für das reiterliche Erbe interessieren, veröffentlichen immer wieder Artikel über ihn und das orientalische Sattlerhandwerk. Es gibt jedoch große Herausforderungen, vor denen dieses traditionelle Handwerk steht. Die wichtigste ist vielleicht, dass die Handwerker geeignete dauerhafte Absatzmärkte brauchen, die Arbeitskosten zu decken und einen angemessenen Gewinn für sie zu erwirtschaften, damit es an zukünftige Generationen weitergegeben werden kann.


Dr. Saria Almarzook ist eine syrisch-deutsche Dozentin und Übersetzerin. Sie promovierte in Molekularbiologie und Biodiversität von Pferden an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr Buch über die Diversität der Pferde (ISBN: 9783895749476) wurde 2018 veröffentlicht. Darüber hinaus veröffentlichte sie mehrere Artikel in angesehenen wissenschaftlichen Zeitschriften wie Animal Genetics

Restaurierung von ‘Ajami – Herausforderungen und faszinierende Entdeckungen

  1. ‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
  2. ‘Ajami von A to Z
  3. Restaurierung von ‘Ajami – Herausforderungen und faszinierende Entdeckungen
  4. Die Großmeister des ‘Ajami-Handwerks
  5. Der Weg zum ‘Ajami-Künstler: Im Gespräch mit Mohammad Haj Qab
  6. Zwischen Tradition und Innovation: Im Gespräch mit Aliya Alnuaimi
  7. Die Geheimnisse der Alten Meister
  8. Die Seele des ‘Ajami: Interview mit Ziad Baydoun
  9. Das Aleppozimmer …ganz persönlich
  10. ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive
  11. Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

von Dr. Anke Scharrahs

‘Ajami-Dekorationen wurden einst geschaffen, um die wichtigsten Räume syrischer Häuser zu verzieren: die Empfangsräume für Gäste. Die bemalten und vergoldeten Holztafeln weisen aufgrund ihrer komplexen Materialkombinationen oft unterschiedlichste Schäden und Alterungsphänomene auf. Die erhabenen Gipspastenornamente, die Vergoldungen, die Farbschichten und Lacke altern unterschiedlich und reagieren jeweils anders auf Klimaveränderungen. Darüber hinaus wurden die aufwendig geschmückten Räume oft verändert und der neuesten Mode sowie dem besonderen Geschmack und den Bedürfnissen der Familien angepasst. Daher finden sich in diesen Räumen oft viele Schichten und Stadien der Dekorationen und Anpassungen. Es ist deshalb entscheidend, dass Restauratoren die komplexen Bedingungen jedes einzelnen Interieurs verstehen, bevor sie mit der Restaurierung beginnen.

In der zweiten Hälfte des 19.. Jahrhunderts kamen Ajami-Dekorationen aus der Mode, weil sich Bräuche und Geschmäcker deutlich veränderten. Ab den 1880er Jahren wurde eine Vielzahl an Holzdekorationen verkauft und fand ihren Weg in private und öffentliche Sammlungen überall auf der Welt. Heute finden sie sich in Nordamerika, Europa, Nordafrika und in Fernost.

Einige der abgebauten Räume blieben jahrzehntelang eingelagert und wurden nach dem Kauf nie aufgearbeitet. Solche Umstände können für die Ajami-Tafeln sehr vorteilhaft sein, da so ihre kostbare Originaloberfläche erhalten blieb und nicht übermalt oder renoviert wurde.

Die größte Herausforderung bei der Restaurierung besteht darin, herauszufinden, welche Materialien die alten Meister bei den entsprechenden Objekten verwendet haben. Häufig handelt es sich um eine Kombination aus wasserlöslichen Materialien, Blattmetallen und Metallfolien, farbigen Lackschichten und verschiedenen Farbschichten. Einige dieser Materialien reagieren stark auf Wasser, andere sind extrem empfindlich gegenüber Lösungsmitteln. Daher müssen Restauratoren genau wissen, welche Bereiche und Farben mit welcher Methode oder mit welchem Material behandelt werden können.

Nach der Analyse der Materialien ist der zweite Schritt oft die Festigung der abblätternden Farbschichten. Die Bemalung wird mit der Zeit brüchig und verliert ihre Haftung auf dem Holzuntergrund. Zu diesem Zweck wird ein speziell aus der Fischblase eines Störs angefertigter Leim vorbereitet und zum Wiederbefestigen der abblätternden Farbschichten genutzt. Der nächste anspruchsvolle Schritt ist die Reinigung der aufwändig bemalten Oberflächen. Häufig müssen Lack- und Klebstoffschichten entfernt werden, ohne die ursprünglichen Oberflächen zu beschädigen. Das Ergebnis ist die Mühe wert, da so Farben und Details enthüllt werden, die jahrzehntelang unter Schmutz, Firnis oder Ruß verborgen waren.

Oft sind die jahrhundertealten Lack- und Farbschichten auf den Tafeln gealtert, ausgeblichen oder nachgedunkelt. Durch diese Veränderungen ist oft das Gesamtbild beeinträchtigt, und die klaren Farben und Formen sind unterbrochen. Eine moderne Restaurierung zielt nicht darauf ab, die Tafeln komplett zu übermalen oder neu zu lackieren. Vielmehr ist es das Ziel, nur die Fehlstellen mit einer Farbe aufzufüllen, die sich leicht entfernen lässt, sollte dies in Zukunft notwendig werden. Eine weitere wichtige Frage ist, wie viele und welche Schäden ausgebessert werden sollten. Wird jede noch so kleine Beschädigung ausgebessert, sehen die Tafeln nicht mehr alt aus. Die Aufgabe des Restaurators besteht also darin, nur so viel auszubessern wie unbedingt notwendig und so wenig wie möglich. Darüber hinaus werden nur solche Schäden ausgebessert, bei denen die ursprüngliche Farbe und Form noch klar erkennbar ist. Ein Restaurator sollte aus Respekt vor den alten Meistern Verlorenes nicht neu erfinden.

Die Frühstückgewohnheiten der Damaszener

von Rania Kataf

Als Damaszener ist unsere Beziehung zu Essen eine echte und sentimentale Kombination aus leben, um zu essen, und essen, um zu leben. Essen ist ein sehr wichtiger Teil unserer Damaszener Kultur. Als Syrer*innen neigen wir dazu, an traditionellen Gewohnheiten festzuhalten, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden.

Wenn es darum geht, unser Essen zu genießen, entweder drinnen oder draußen, wissen wir sehr gut, wie man ein Rezept voller Gesundheit und Glück auf einem Teller kreiert. Niemand isst allein in Damaskus. Die Vitamine in jeder Mahlzeit stammen aus den gemeinsamen Anstrengungen eines jeden Herzens, das diese Mahlzeit zusammengebracht hat.

Männer, Frauen und Kinder spielen bei der Zubereitung einer jeden Mahlzeit eine wichtige Rolle; Frühstück, Mittag- und sogar das Abendessen. Der Vater wacht zum Beispiel morgens mit dem Wissen auf, dass er in wenigen Minuten in einer langen Schlange stehen wird, um frisch gebackenes Fladenbrot für seine Familie zu kaufen. Der älteste Sohn rast vor der Arbeit oder der Schule zum nächsten Hummus-Laden, um Hummus und Fava-Bohnen, dem typischen Damaszener-Frühstück, besonders freitags, zu besorgen. Während die jüngste Tochter den Tisch deckt, bereitet die Mutter alles zu, was sie zu Hause hat, von Eiern, Milchprodukten, Oliven, Zaatar (traditionelle Kräutermischung) bis hin zu hausgemachter Marmeladen.

Aber diese Szene wiederholt sich möglicherweise nicht jede Woche. Bei vielen Menschen, die aufgrund ihrer Arbeit, Schule oder Universität außerhalb der Stadt oder weit weg von zu Hause leben, ist es üblich geworden, dieses Familienessen durch Street Food zu ersetzen. Street Food ist in Damaskus sehr beliebt geworden. Die Menschen können ihre Mahlzeiten, Sandwichs oder Snacks zu minimalen Preisen unterwegs zu sich nehmen und bekommen dabei immer noch den gleichen Geschmack, den sie von zu Hause gewohnt sind. Den wirklichen Unterschied macht sicherlich der Ort aus. Aber sie alle haben diese eine gemeinsame Überzeugung, unabhängig von Ort und Art des Essens, das serviert wird: Speisen sollten immer mit Leidenschaft zubereitet werden, die einzige geheime Zutat, die von unseren Vorfahren weitergegeben wurde, um uns bei der Herstellung des perfekten Rezepts zu helfen.

Mann mit frischem Brot
Mann mit frischem Brot | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Ein typisches Bild eines Freitagmorgens: Ein würdevoller alter Mann, der gerade sein Morgengebet in der nächsten Moschee in der Nachbarschaft beendet hat und zurück nach Hause geht, mit einem Stapel frisch gebackenem Fladenbrot für die Familie zu Hause.

Ort: al-Qanawat

Kühlung von Brot auf der Straße vor der Lagerung
Kühlung von Brot auf der Straße vor der Lagerung | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Eine der üblichen Gewohnheiten, die Sie im Stadtzentrum sehen können, ist das Kühlen der Brotlaibe bevor sie zur Aufbewahrung in Plastiktüten verpackt werden. Das Brot wird zum Abkühlen an der Luft gelassen, um zu vermeiden, dass es schal wird, und um es somit länger haltbar zu machen. Viele Brotkäufer hängen das Brot an eine Metallkonstruktion. Manchmal werden Tische direkt vor der Bäckerei aufgestellt, damit die Kunden sie für diesen Zweck nutzen können. Das Vorbeigehen an diesen Konstruktionen ist immer eine angenehme Erfahrung für die Seele. Der Duft ist eine perfekte Kombination aus Salz, Hefe und Wasser, gemischt mit der frischen Luft eines Damaszener Morgens.

Ort: al-Muhajirin

Frühstücken im Geschäft
Frühstücken im Geschäft | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Falafel und weißer Ziegenkäse mit schwarzem Sesam stellen das typische Frühstück für viele Ladenbesitzer dar, die bereits früh in den alten Suqs von Damaskus mit ihrer Arbeit beginnen. „Ich kaufe frisches Brot und Falafel auf dem Weg zur Arbeit und mein Nachbar bringt weißen Ziegenkäse von Zuhause mit, damit wir ihn teilen, während wir zusammen frühstücken“, sagt Abu Muwafaq.

Ort: Bab As-Saghir, altes Viertel von Damaskus

Frühstücken im Geschäft
Ein Sandwich-Stand in Damaskus | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

„Kommen Sie und testen Sie, was wir für Sie vorbereitet haben. Verwöhnen Sie alle Ihre Sinne mit einem Geschmack von Mohamad Dhuekis großartigen Sandwiches“, steht auf einer vorderen Holztafel dieses Standes in as-Sulaymaniyya in der Nähe des Suq al-Hamidiyya. Es gibt viele Essensverkäufer wie Herrn Dhueki, die eine Vielzahl von Sandwiches in beliebten Gegenden anbieten. Manchmal haben Sie sogar das Glück, einen Anbieter zu finden, der andere Dienste wie Prepaid-Karten für Mobiltelefone anbietet.

Zubereitung von Falafel-Sandwiches
Zubereitung von Falafel-Sandwiches | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Ein Falafel-Laden inmitten des Suq al-Hamidiyya: ein Ort, an dem viele Leute vorbeischauen, um nach einem langen Arbeitstag oder einem Einkaufsbummel im Suq eine Pause einzulegen.

Zubereitung von Falafel-Sandwiches
Zubereitung von Falafel-Sandwiches | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Das perfekte Rezept für ein Falafel-Sandwich besteht immer aus einer farbenfrohen Kombination von Salat, Kohl, Minze, Essiggemüse, Zitrone, Tahini-Joghurt-Dressing und etwas Sumak.

محل لبيع الترمس في القيمرية، دمشق القديمة
Ein Geschäft in al-Qaymariyya, Altstadt von Damaskus, das gesalzene Lupinibohnen ‚Termos‘ verkauft | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Wenn Sie kein Liebhaber von Sandwiches sind, ist dieses Geschäft in al-Qaymariyya, in der Altstadt von Damaskus, Ihre zweite Wahl für lokale Essensläden in der Stadt. Es bietet frisch eingeweichte und gesalzene Lupine-Bohnen, die als Tarmus bekannt sind – ein gesunder traditioneller Snack, der von der Damaszener Stadtcommunity geliebt wird. Besonders Schüler verstecken den Snack oft in ihren Jacken- und Schultaschen. Viele junge Frauen kaufen Tarmus dank dessen hohen Proteingehalts, da sie glauben, dass es neben anderen gesundheitlichen Vorteilen auch das Haarwachstum stimuliert.

داخل محل الحمصاني رؤوف الططري
Im Inneren des Hummus-Ladens von Ra’oof al-Tatari | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)
حمّص
Kichererbsen | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Dies ist Ra’oof al-Tatari, der derzeitige Besitzer von Al Barakeh, einem der beliebtesten Hummus-Läden in al-Muhajirin. Das Geschäft wurde vor fast 70 Jahren gegründet und befand sich zuerst im Besitz seines Partners aus der Familie al-Syoufi: „Ich versuche, alles bis 8:00 Uhr morgens vorbereitet zu haben“, sagt al-Tatari, „besonders freitags, weil es der Familientag ist und jeder gerne seinen Morgen faul zu Hause verbringt. Also kommen sie zu mir, um ihr Frühstück von A bis Z vorbereitet zu bekommen. Die Leute lieben meine Kichererbsen fest oder pastös. Normalerweise bereite ich ihn einen Tag vorher vor, um sicherzustellen, dass er ungefähr sechs Stunden lang gut durchgezogen ist. Der beste Hummus, der früher aus dem Süden kam, aus Darʿa oder Suwayda, ist im Gegensatz zu dem in den Bergen gezüchteten weicher und kann schneller zubereitet werden.“

واجهة محل لبيع الحمص
Vorderansicht eines Hummus-Ladens | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Die meisten dieser Essensverkäufer sind Familienunternehmen, die von Brüdern oder einem Vater und seinen Söhnen geführt werden. Al-Tataris Sohn gesellt sich an den Wochenenden zu seinem Vater, um ihn bei der Vorbereitung zu unterstützen und von seinen Erfahrungen zu lernen. Er hält ein rundes Holzsieb in der Hand, mit dem die Kichererbsen üblicherweise getrocknet werden, nachdem sie über Nacht eingeweicht wurden.

صنع المخللات
Herstellung von Essiggemüse | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)
صنع المخللات
Herstellung von Essiggemüse | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Die meisten Hummus-Läden stellen ihr eigenes Essiggemüse her. Es wurde sogar zum Trend, sie zu kaufen, anstatt zuhause die eigenen herzustellen. Wenn Sie die Leute fragen, welche sie bevorzugen, werden sie sich für das Essiggemüse aus dem Geschäft entscheiden. Warum? Einfach weil es ‘deren Ding‘ ist. Sie glauben, dass die Ladenbesitzer ein geheimes Rezept haben, welches das Gemüse so lecker und knusprig macht. Die Vielfalt des eingelegten Gemüses, das Sie auf Ihrem Frühstückstisch finden, reicht von Auberginen über Gurken, Karotten und Kohl bis hin zu meinem persönlichen Liebling, Essiggemüse mit grüner Paprika. Denn es passt sich an den Geschmack ihrer Hummuspaste oder Fatteh an (ein syrisches Gericht aus Kichererbsen und Brot, Tahini-Joghurt-Sauce und Olivenöl).

Ort: Gleiches Geschäft in al-Muhajirin

مائدة فطور يوم الجمعة التقليدية في دمشق
Ein typischer Frühstückstisch in Damaskus an einem Freitag | Rania Kataf (CC-BY-NC-ND)

Das Frühstück ist serviert

Ein typischer Frühstückstisch in Damaskus muss an einem Wochenende so aussehen. Hummuspaste, Fatteh, Oliven, weißer Ziegenkäse, Zayt und Zaatar (Thymian und Öl), Eier, Joghurt, frisches Gemüse und die unverzichtbare Zutat für einen perfekten Freitagmorgen: die ganze Familie.

Die Bildsprache syrischer Münzen von 1920 bis 2020

von Dr. Esam Aljaber Abou-Fakher

Mit dem Rückzug des Osmanischen Reiches als Folge des Ersten Weltkriegs konstituierte sich 1920 in Syrien ein autonomes syrisches Königreich mit Faisal bin al-Hussain als seinem König. Als wichtiger Ausdruck der Selbstdarstellung des Staats sollte nun die bisher in Umlauf befindliche osmanische Währung durch eine neue ersetzt werden. So schuf das Königreich seine eigene Währung, den Dinar, was die Geburtsstunde der ‚syrischen‘ Münzen ankündigte. Der junge Staat war jedoch nicht von Dauer, denn im selben Jahr fiel Syrien unter das französische Mandat, das den Dinar vereitelte und durch die Installierung der „Bank Syriens“ dem Land eine neue Währung aufzwang. Die neue Währungseinheit war das Pfund (auch Lira), das 100 Piaster entsprach. Erst mit dem Erlangen der Unabhängigkeit im Jahr 1946 konnte Syrien das Finanzwesen von Frankreich entbinden und durch die anschließende Gründung der „Zentralbank Syriens“ die Währungshoheit und Geldausgabe unabhängig ausüben. Das Währungssystem des Mandats wurde dabei für das neue Geld übernommen. Vor diesem Hintergrund lassen sich die syrischen Münzen in drei politische Phasen unterteilen: 

1. Münze des Syrischen Königreiches – Der Golddinar (1920)

2. Münzen des französischen Mandats (1920–1946)

3. Münzen der Unabhängigkeitszeit (ab 1946)

Golddinar des Syrischen Königreiches, 21 mm, 1920
Abb. 1: Golddinar des Syrischen Königreiches, 21 mm, 1920 | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Münze des Syrischen Königreiches- Der Golddinar (1920)

Der Dinar des syrischen Königreiches war eine Goldmünze, die nicht in Umlauf kam und nur in wenigen Exemplaren als Probemünzen existierte. Auf seine Vorderseite wurde das Wappen des Königreichs mit siebenzackigem Stern und Krone geprägt (Abb. 1). Der Stern symbolisiert die sieben Verse der koranischen Eröffnungs-Sure, die Krone ein königliches Herrschaftszeichen. In der islamischen Kultur ist die Krone jedoch unüblich; sie ist eher der christlich-europäischen Kultur zuzuordnen, was diese Kombination bemerkenswert macht. Die Rückseite des Dinars zeigt den Namen Königs Faisals I. als „Tughra“ (kalligrafische Kombination von Namen und Titel des Sultans) und erinnert damit an die osmanische Münztradition. Diese Gestaltung des Dinars zeigt die politischen Einflüsse der Zeit, die von zurückgehendem osmanischem und zunehmendem westlichem Gedankengut geprägt war.

½ Piaster, 21 mm, 1921 (französisches Mandat)
Abb. 2: ½ Piaster, 21 mm, 1921 (französisches Mandat) | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Münzen des französischen Mandats (1920–1946)

Mit der französischen Besatzung Syriens im Jahr 1920 wurden die syrischen Münzen weitgehend der visuellen Kultur Frankreichs unterworfen und trugen neben der arabischen die französische Sprache. Ihre Bildsprache beruhte vor allem auf Pflanzenmotiven wie Eichen, Oliven, Ähren etc. Diese waren bei islamischen Münzen unwesentlich, wohingegen sie in der französischen Kultur- und Münzgestaltung sehr präsent sind (Abb. 2). So dienten die syrischen Münzen vor allem als Repräsentationsmittel der französischen Mandatsmacht. Erst 1929 wurden Münzen ausgegeben, die durch abstrakte Ornamentmotive eher die syrische Kultur ansprachen (Abb. 3). Die ‚lokale‘ Regierung, die prinzipiell der Vermittler zwischen der Bevölkerung und der Mandatsmacht war, hatte wohl bei der Gestaltung mitwirken können. Ohnehin haben die Mandatsmünzen – sowohl durch die Pflanzenmotive als auch durch die abstrakten Ornamente – eine Modernisierung in der heimischen Münzgestaltung eingeleitet, die vorher eher durch islamisch-kalligrafische Motive geprägt war. Dabei standen diese Münzen durch weitgehenden Verzicht auf Darstellungen von Menschen und Tieren mit der traditionell-islamischen Kultur und ihrem „Bilderverbot“ in Einklang.

10 Piaster (Silber), 17 mm, 1929 (französisches Mandat)
Abb. 3: 10 Piaster (Silber), 17 mm, 1929 (französisches Mandat) | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Münzen der Unabhängigkeitszeit (ab 1946)

Nach der Unabhängigkeit 1946 wollte sich Syrien durch eine neue Bildsprache als souveräner und offener Staat auf internationaler Bühne darstellen. Bereits vor der ersten Münzausgabe – und als Fortschritt gegenüber den nonfigurativen Merkmalen der islamischen Kunst – wurde das Adlerbild als Staatswappen entwickelt, das auf der sogenannten Adlerfahne (arab.: al-Uqab) des Propheten Muhammad beruht. So fand dieses Motiv direkt seinen Weg – von der ersten Münzausgabe 1947 bis heute – als dauerhaftes Motiv auf die Vorderseite der Münzen. Was die Rückseite anbelangt, griff Syrien am Anfang nach Motiven mit globalem symbolischen Gehalt, wie Sonne für ‚neuer Morgen‘, was deutlich für den neuen Staat stand. Die Ähre tauchte wieder auf, nun jedoch auf ihre international verbreitete Präsenz hin als lebensnotwendiges Nahrungsmittel und Symbol der Fruchtbarkeit (Abb. 4). Dazu erschien das abstrakte islamische Ornamentmuster einer Arabeske, das seitdem häufig variiert wurde. Diese Arabeske weist auf die Verwurzelung in der islamischen Kultur hin, die sie zu einem unverwechselbaren Zeichen der Authentizität und Kontinuität des neuen Staats machen sollte. So war sie fast halbes Jahrhundert (1947–1995) das Hauptmotiv der Rückseite syrischer Kursmünzen. Die Kombination Adler/Arabeske charakterisierte diese Zeit.

50 Piaster, 24 mm, Unabhängigkeitszeit 1947
Abb. 4: 50 Piaster (Silber), 24 mm, 1947 | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Im Jahr 1958 kam es zur Vereinigung Syriens mit Ägypten unter sozialistischen Vorzeichen. Als Folge davon wurden Motive sozialistischer Symbolik auf die syrischen Münzen platziert. So wurde die Ähre mit dem Zahnkranz verbunden. Diese Kombination steht für Industrie und Landwirtschaft, zwei üblichen Themen sozialistischer Ikonografie (Abb. 5). Die politische Vereinigung scheiterte jedoch nach kurzer Zeit und die Münzgestaltung kehrte zur Tradition Adler/Arabeske zurück, was mit der Münzausgabe 1968 seinen Höhepunkt erreichte, als neue Geldstücke hinzukamen und die Arabeske raumgreifender wurde (Abb. 6).

25 Piaster (Silber), 20 mm, 1958 (Vereinigung mit Ägypten)
Abb. 5: 25 Piaster (Silber), 20 mm, 1958 (Vereinigung mit Ägypten) | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)
1 Pfund, 27 mm, 1968 – Wiederprägung 1971
Abb. 6: 1 Pfund, 27 mm, 1968 – Wiederprägung 1971 | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Nach der Unabhängigkeit wurden auch Gedenkmünzen herausgegeben, deren Gestaltung aktuelle Anlässe auf der Rückseite zeigte – so die Münzen zur Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), die die Vermehrung der Nahrungsproduktion durch den Bau des Euphrat-Staudamms thematisierten (Abb. 7). Vor allem feierten die Gedenkmünzen jedoch die regierende sozialistische Baath-Partei und den Präsidenten Hafiz al-Assad als Zentralfigur und intensivierten damit die politische Propaganda auf den Geldstücken. Neben der vorgenannten sozialistischen Symbolik, die generell fortgeführt wurde, sind hierzu die Parteifahne sowie das Porträt al-Assads die markantesten Motive (Abb. 8 u. 9).

50 Piaster (FAO-Münze: Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in der Welt), 23,5 mm, 1976
Abb. 7: 50 Piaster (FAO-Münze: Steigerung der Nahrungsmittelproduktion in der Welt), 23,5 mm, 1976 | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)
25 Piaster (Gedenkmünze: 25. Jahrestag der Partei al-Baath), 20,3 mm, 1972
Abb. 8: 25 Piaster (Gedenkmünze: 25. Jahrestag der Partei al-Baath), 20,3 mm, 1972 | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Mit den 1990er Jahren kam es infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion zu Abschwächungen der sozialistischen Staatsgesinnung. Parallel dazu entwickelte sich der Tourismus zunehmend als wirtschaftlicher Sektor, in dessen Folge das historische Kulturerbe des Landes an Bedeutung gewann. 1996 wurden historische Bauwerke wie die Zitadelle von Aleppo auf den Münzen abgebildet und die Arabeske verdrängt (Abb. 10). Diese Münzen sind bis jetzt im Umlauf.

25 Pfund (Gedenkmünze: fünfundzwanzigster Jahrestag der Korrekturbewegung), 25 mm, 1995
Abb.9: 25 Pfund (Gedenkmünze: fünfundzwanzigster Jahrestag der Korrekturbewegung), 25 mm, 1995 | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)
5 Pfund, 24,5 mm, 1996
Abb. 10: 5 Pfund, 24,5 mm, 1996 | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Schon vor 2011 war die 25-Pfund-Münze in drei verschiedenen Entwürfen – als Gedenkmünzen – bei der österreichischen Münze zur Prägung in Auftrag gegeben worden. Sie sollte durch neue Motive und Themen (u. a. „Damaskus, Hauptstadt der arabischen Kultur 2008“) eine Wende in der Münzgestaltung einleiten. Wegen der europäischen Sanktionen gegen Syrien wurde der Auftrag jedoch gestoppt und die Münzen kamen noch nicht in Umlauf.

50 Pfund, 25 mm, 2018 (Kriegszeit)
Abb. 11:50 Pfund, 25 mm, 2018 (Kriegszeit) | Esam Aljaber Abou-Fakher (CC-BY-NC-SA)

Die neueste syrische Münze mit einem Wert von 50 Pfund wurde während des Kriegs geprägt und ist seit 2018 in Umlauf. Sie weist neben dem Wappen auf der Vorderseite das Denkmal des unbekannten Soldaten in Damaskus auf der Rückseite auf und steht damit in engem Zusammenhang mit dem aktuellen Krieg (Abb. 11).

Hintergrund dieses Artikels ist die veröffentlichte Dissertation des Autors. Um mehr über ihn zu erfahren, klicken Sie auf Portrait und Dissertation.


Esam Aljaber Abou-Fakher ist Bildender Künstler und beschäftigt sich mit Numismatik und politischer Ikonografie. Er studierte Kunst an der Universität Damaskus (Syrien) und promovierte 2016 an der Universität Oldenburg mit der Dissertation „Die syrischen Münzen von 1918 bis 2010. Ein Blick auf die politische Ikonografie und Repräsentation des Staates“. 2005 gab er den Gedichtband „Fremdheit des Marmors“ heraus (auf Arabisch).

Die Kunst der syrischen Textilherstellung

  1. Die Kunst der syrischen Textilherstellung
  2. Ein Filzteppich von al-Bab
  3. Die Fäden des Lebens: Syrische Textilornamente
  4. Verborgene Persönlichkeiten: Die Frauen aus Duma
  5. Die Farbe, die ewig währt: Textildruck in Syrien
  6. Von Tieren und Pflanzen: Rohmaterialien für Textilien
  7. Ein Blick in die Welt des syrischen Seidenbaus
  8. Einblicke in das jahrhundertealte Seidenhandwerk Syriens
  9. Was bleibt von der Seidenstraße?
  10. Menschen der Wüste: Die Kleidung der Beduinen
  11. Teppiche aus Raqqa: Eine Erinnerung
  12. Traditionelle Textilherstellung: eine gefährdete Tradition
  13. Unvergessen: Der Duft der Erinnerung

von Estibaliz Sienra Iracheta

Die Kunst der Textilherstellung ist eine der ältesten Tätigkeiten der Menschheit und lässt sich bis zu den Anfängen der Sesshaftigkeit und dem Aufkommen der Landwirtschaft zurückverfolgen. Schon damals diente Sie dazu, den Körper zu bedecken und vor extremen Klimabedingungen zu schützen und um Gegenstände zu transportieren und aufzubewahren. Der Prozess der Textilherstellung umfasst verschiedene Techniken, Werkzeuge und Schritte und stellt eine der größten technischen Errungenschaften der Menschheit dar.

Das Weben wird in Syrien als Kunst betrachtet und wird nur noch von einigen wenigen Gruppen ausgeübt: von Beduinen in den Wüsten, von Menschen, die auf dem Land leben, und von Webern, die in Familienwerkstätten organisiert und in den großen Städten ansässig sind. Im Laufe der Geschichte entwickelten unterschiedliche Gruppen verschiedene Technologien, Webtechniken und Webarten und nutzten eine Vielzahl an Werkzeugen und Webstühlen, um Textilien mit verschiedenen Eigenschaften und Designs herzustellen, weshalb sich die Stoffe von Region zu Region unterschieden.

Spinnen und Weben

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Eine Frau, die mit einer hängenden Spindel spinnt, © Karin Pütt (CC-BY-NC-ND)

Die Herstellung von Textilien beginnt mit der Gewinnung von Fasern oder Filamenten und deren Verarbeitung zu Fäden und Garnen. Dies geschieht mithilfe eines manuellen Prozesses, der Spinnen genannt wird. Dieser kann per Hand, durch das Verdrehen der Fasern zu einem Strang, durch den Einsatz einer Spindel, die die Fasern zu einem Endlosfaden verzieht und verdreht, oder mithilfe eines Spinnrades, einer mechanischen Vorrichtung, durchgeführt werden.

Die einzelnen Phasen des Webens sind äußerst aufwändig. Begonnen wird mit einem vorbereitenden Arbeitsgang, welcher Schären genannt wird. Hierbei werden die Fäden gezählt und so angeordnet, dass sie sich überkreuzen.  Dieser Arbeitsgang wird von einem al-musaddi ausgeführt, einer Person, die für das Anordnen und für die Herstellung von Kettfäden verantwortlich ist. Der Aufbau des Webstuhls erfolgt durch einen Einfädler, den al-mulqi, der jeden einzelnen Faden in die Litzen und Schäfte einfädelt. Sobald die Fäden auf dem Webstuhl eingefädelt sind, konnte der Weber, an-nawwal, an-nassaj oder al-ha’ik genannt, mit der Arbeit beginnen. Die traditionelle Herstellung eines Gewebes kann von ein paar Tagen, bis hin zu Monaten dauern.

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Ein Gewichtwebstuhl, © Estibaliz Sienra Iracheta (CC-BY-NC-ND)
Die Kunst der syrischen Textilherstellung

Ein Webbrettchen, © Estibaliz Sienra Iracheta (CC-BY-NC-ND)

Die einfachste Art von Webstuhl, die in Syrien on traditionellen Webern verwendet wird, ist das Webbrettchen, oder Shapar, welches zur Herstellung von schmalen Textilien wie Bändern, Gürteln und Riemen von Nomaden, Nomadenfrauen und einigen professionellen Webern in den Städten eingesetzt wird. Das Weben von größeren Textilien erfordert jedoch den Einsatz größerer und komplexerer Webstühle, wie zum Beispiel des Gewichtwebstuhl, auch nul genannt. Es wird angenommen, dass dieser Handwebstuhl erstmals Mitte des 3. Jahrhunderts in Syrien genutzt wurde (Wild, 1987, S. 22). Aufgrund seiner leichten und transportablen Bauart wird der nul normalerweise von Nomadengruppen genutzt, um Kelims oder Wandteppiche herzustellen.

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Ein syrischer Textilhersteller in Hama, der mit einem Grubenwebstuhl webt, © Prof. Dr. Stefan Weber

Andere gängige Webstühle funktionieren durch das Verschieben von mechanisch beweglichen Teilen. Hierzu gehört der Trittwebstuhl, dessen Webmechanismus durch das Betätigen von Pedalen mit den Füßen aktiviert wird; der Grubenwebstuhl, der komfortabel in einer dafür ausgehobenen Grube positioniert wird, um die Feuchtigkeit der Baumwoll- oder Wollfäden zu erhalten; und der Schaftwebstuhl, der das Weben komplizierterer Muster und Designs z. B. mithilfe der „Ikat“-Webtechnik, ermöglicht. Der Zugwebstuhl ermöglicht die Schaffung einer Vielzahl von Kombinationen und wird daher häufig für das Weben komplexer Bilder, Motive und Texturen, wie Damaste und Brokate, eingesetzt. In den meisten Werkstätten hat der elektrisch betriebene und computergesteuerte Jacquardwebstuhl die Handwebstühle ersetzt und so den Prozess für die Herstellung von industriellen Mengen automatisiert.

Weben von Kelims und Wandteppichen

Eine der beliebtesten Webarten in Syrien und anderen Teilen der arabischen Welt ist der Kelim, eine Tapisserietechnik, mit der eine Reihe verschiedener Objekte wie Vorleger, Teppiche, Kleidungsstücke und Taschen hergestellt werden. Hierbei entsteht ein robuster und widerstandsfähiger Stoff, welcher in der Regel aus Wollfäden besteht. Es gibt viele Variationen der Tapisserietechniken:

Ein Kelim ist eine Leinwandbindung, bei der der Schussfaden dicht und fest nach unten geschoben wird, um die Kettfäden im Gewebe vollständig zu verdecken. Durch den Einsatz verschiedener Farben und Techniken können verschiedene Formen, Designs und Texturen geschaffen werden.

Schlitzgewebe (slitweave): werden verwendet, um geometrische und diagonale Muster auf Kelimgeweben zu erzeugen, bei denen die Schussfäden durch Farbblöcke und durch einen Schlitz getrennt sind.

Die Kunst der syrischen Textilherstellung
Tapisserietechniken, © Estibaliz Sienra Iracheta (CC-BY-NC-ND)

Gemeinsame Kette (shared warp): Verzahnung der Schussfäden anstelle von offenen Schlitzen. Dies geschieht üblicherweise durch die Verwendung blockweise verschiedenfarbiger Schussfäden, wodurch die Motive leicht verschwommen wirken.

Cicim: ein Verfahren, bei dem zusätzliche farbige Garne in Kette und Schuss eingeflochten werden, was den Mustern einen erhabenen oder abgesenkten Effekt verleiht. Dieses Verfahren wird in der Regel eingesetzt, um kleine ornamentale Motive zu schaffen, die auf dem Gewebe verteilt oder in Gruppen angeordnet werden.

Zili: eine Art Flottierung, bei der zusätzliche Schussfäden um die Kettfäden gewickelt werden, um parallele Strukturen zu schaffen.

Sumak:  das Umwickeln von Kettfäden in mathematischen Mustern, um freie Reliefs auf der Oberfläche der Gewebe zu schaffen, welche dann erhaben erscheinen. Diese Technik gilt als die komplizierteste. Sie erlaubt die Umsetzung einer großen Bandbreite an Motiven.

Gewebe und Stoffe

Besondere Berühmtheit für die Webtradition erlangte die Stadt Damaskus, welche dem allgemein bekannten Damaststoff seinen Namen verlieh. Sogar die Königin von England erbat als Geschenk von Syrien für ihre Krönung einen Seidendamast. Damaste sind zweiseitig gemusterte Stoffe, die traditionell aus Seiden- und Metallfäden gewebt werden, wodurch sie ihren charakteristischen Glanzeffekt erhalten. Heute werden die meisten Damaste mit künstlichen Fäden auf Jacquardwebstühlen hergestellt, da Baumwolle und Lurex günstiger und einfacher zu beschaffen sind. Die Herstellung von Damasten stellt einen wichtigen Industriezweig dar, welcher vom Polstermöbelmarkt in Syrien und der Welt gestützt wird.

Auch das Weben von Brokaten ist in Syrien sehr beliebt. Die Webart fand ihren Ursprung in China und verbreitete sich später im gesamten Nahen Osten, wo sie perfektioniert wurde. Brokate sind gewebte Motive oder Relief-Muster, die nur auf einer Seite des Stoffes sichtbar sind. Die Stadt Homs war besonders bekannt für die Produktion von Lancégewebe. Dieses wurde zur Herstellung und Verzierung von traditionellen Seidenschals genutzt, wobei zusätzliche Metall-Schussfäden in der Breite des Gewebes verwendet wurden, um kurze, auf dem Muster schwebende Streifen oder viereckige geometrische Figuren zu schaffen.

Filz-Wandteppiche, im Arabischen auch als lubbad/lubabib bekannt, werden auch in der kleinen Stadt al-Bab hergestellt. Im Gegensatz zu Geweben besteht das Verfahren zur Herstellung von Filz darin, Wollfasern mit Hilfe einer Maschine zu verfilzen und zusammenzupressen. Motive aus gefärbter Wolle werden auf eine ungefärbte Matte gelegt, um einen Wollfilz herzustellen. Diese Matte wird dann aufgerollt und in eine Maschine gelegt die die Wollfasern zusammenpresst und so einen Wandteppich schafft. Annegret Hafner dokumentierte die Herstellung von Filzwandteppichen in Ihrem Tagebuch bei ihrem Besuch in Aleppo.

Videos von syrischen Webern und ihren unterschiedlichen Webstühlen

Weben mit einem Zugwebstuhl (Filmmaterial aus Hama)

© Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, Sammlung Stefan Weber (CC-BY-NC-SA)

Weben mit einem Grubenwebstuhl (Filmmaterial aus Hama)

© Museum für Islamische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, Sammlung Stefan Weber (CC-BY-NC-SA)

Weben mit einem Schaftwebstuhl (Filmmaterial aus Aleppo)

© Mohamad Fllaha


Estibaliz Sienra Iracheta ist Doktorandin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus im Bereich World Heritage. Als Expertin für traditionelle Textilherstellung setzt sie sich für die Förderung traditioneller Textilhandwerke ein. Estibaliz arbeitete zuvor in der Ruth D. Lechuga-Volkskunstsammlung des Franz Mayer Museums und als Lehrerin für Textilrestaurierung an der National School for Conservation, Restoration and Museography of the National Institute of Anthropology and History in Mexiko.