Das Aleppozimmer …ganz persönlich

  1. ‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
  2. ‘Ajami von A to Z
  3. Restaurierung von ‘Ajami – Herausforderungen und faszinierende Entdeckungen
  4. Die Großmeister des ‘Ajami-Handwerks
  5. Der Weg zum ‘Ajami-Künstler: Im Gespräch mit Mohammad Haj Qab
  6. Zwischen Tradition und Innovation: Im Gespräch mit Aliya Alnuaimi
  7. Die Geheimnisse der Alten Meister
  8. Die Seele des ‘Ajami: Interview mit Ziad Baydoun
  9. Das Aleppozimmer …ganz persönlich
  10. ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive
  11. Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

von Prof. Stefan Weber

Es ist schwer zu erklären, wie es sich anfühlt, wenn man bei trockener Hitze stundenlang schwer bepackt mit Kamera, Stativ und Katasterplänen durch die Altstätte von Damaskus und Aleppo läuft und die Augen und Beine bereits müde sind… Wenn man seit Monaten auf der Jagd nach besondere Architektur ist und trotzdem nicht aufhören kann, weil die eigene Entdeckungslust Einen vorantreibt. Auf Verdacht an eine Tür klopft und seinen Standardspruch sagt: „Ich bin ein deutscher Wissenschaftler, der die Altstadt erforscht und würde gern Ihr Haus sehen. Wäre es möglich….“ Wenn nach kurzem Schweigen dann ein „Augenblick bitte“ erklingt, gefolgt von einem emsigen Treiben auf dem Hof. Dann steigt die Vorfreude. Und wenn dann die Tür aufgeht und man durch einen dunklen Korridor in einen grünen Innenhof tritt und sich ein kleines Paradies eröffnet. Orangen, Jasmin, ein Brunnen und sehr oft wunderbar gestaltete Fassaden.

Zugegeben, meine Erinnerung ist ein wenig geschönt. Hunderte Male waren die Häuser aufgeteilt, die Brunnen kaputt, der Hofgarten kein Paradies mehr. Doch immer wieder überraschte mich Syrien mit wunderschönen traditionellen Hausstrukturen und einem wunderbar ausdekorierten Empfangsraum.

Das Aleppozimmer …ganz persönlich

Modell des Empfangsraumes des Aleppozimmers
(© Museum für Islamische Kunst der Staatlichen Museen zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Foto: Georg Niedermeiser)

Fast jedes Haus in Syrien verfügte über ein solches Zimmer für Besucher – bei wohlhabenden Kaufleuten war es prächtig gestaltet. Hier traf sich der Besitzer mit Geschäftspartnern am Vormittag, während es abends bei Hausmusik und ebenfalls viel Besuch etwas unterhaltsamer vonstatten ging. Die Organisation der Räume ermöglichte zusammen mit der Lichtführung, den Wassergeräuschen und den Düften aus dem Innenhof ein unglaubliches Fest der Sinne. Der Empfangssaal und die weiteren Wohnräume gruppieren sich typisch für vormoderne Häuser Syriens um einen Innenhof. Gäste traten vom Hof aus in einen mit Marmor ausgelegten quadratischen Schwellenbereich, zogen sich dort die Schuhe aus, um sich dann auf niedrige Diwane niederzulassen. Der zentrale Eingangsbereich verfügte über einen mittigen Brunnen und war mit einer Kuppel überdeckt, während die drei davon abgehenden Sitzbereiche mit Teppichen ausgelegt waren. Licht drang durch die Fenster zum Hof, die Fenster im Tambour und die gläsernen Bullaugen der Kuppel.

Besonders faszinierten mich die mit reich bemalten Holzvertäfelungen verkleideten ‘Ajami Räume. Die älteste datierte und künstlerisch mit Abstand wertvollste Holzvertäfelung aus Aleppo ist das Aleppozimmer, welches sich im Museum für Islamische Kunst befindet. Es stammt aus dem vor dem Krieg als Hotel genutzten Wohnhaus Bait al-Wakil und war die Wandvertäfelung des Empfangssaales (Qa’a).

Betrat man im 17. Jahrhundert den Raum, breitete sich vor den Besuchern ein großartiges Panorama von floralen und figürlichen Themen aus, von Gedichten und Sinnsprüchen, die die kulturelle Bildung und finanziellen Möglichkeiten des Hausherren zur Schau trugen. Das reiche Bildprogramm und die fein kalligraphierten Texte boten reichliche Themen für kultivierte Zerstreuung am Abend. So unterhalten Ringkämpfer und Gauklerdarstellungen die Betrachter. Prächtige Pfauen, Paradiesvögel, Hasen, Enten, ein Bär, und andere Tiere beleben die Wände. Chinesisch aussehende Fabelwesen, wie beispielsweise der mystische persische Vogel Simurgh als Phönix oder ein in Tibet lebender geflügelter Löwendrache (Ṣannāja) in Form des chinesischen Fabeltiers Qilin führen in eine phantastische Tierwelt.

Während meiner damaligen Entdeckungstouren als angehender Forscher hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages der ‚Chef‘ oder besser der Kurator – im wahrsten Sinne des Wortes – des Aleppozimmers sein würde.


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ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive

  1. ‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
  2. ‘Ajami von A to Z
  3. Restaurierung von ‘Ajami – Herausforderungen und faszinierende Entdeckungen
  4. Die Großmeister des ‘Ajami-Handwerks
  5. Der Weg zum ‘Ajami-Künstler: Im Gespräch mit Mohammad Haj Qab
  6. Zwischen Tradition und Innovation: Im Gespräch mit Aliya Alnuaimi
  7. Die Geheimnisse der Alten Meister
  8. Die Seele des ‘Ajami: Interview mit Ziad Baydoun
  9. Das Aleppozimmer …ganz persönlich
  10. ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive
  11. Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

von Rami Alafandi

Kunst kennt keine Grenzen. Im Laufe der Geschichte ist Kunsthandwerk immer wieder auf Reisen gegangen und dabei neue Stile und Formen miteinander vermischt und angepasst. Dieser Artikel nimmt Sie mit auf eine Reise durch die Geschichte der Motive im Osmanischen Reich, illustriert am Beispiel der ʿajami-Räume in Aleppo. Er möchte zeigen, wie die ʿajami-Motive von weit her angereist sind und weder von Ländern noch Kulturen beeindruckt waren. Sie wurden vielmehr von talentierten Kunsthandwerkern getragen, die zur Schaffung eines der faszinierendsten Beispiele syrischen Kunsthandwerks beitrugen, das wir auch heute noch bewundern: verzierte Holztäfelungen, auch bekannt unter dem Begriff ʿajami.

Während der osmanischen Zeit wurden in Syrien, vor allem in den Handelszentren Damaskus und Aleppo, wohlhabende Hofhäuser mit diesen bemalten Holztäfelungen verziert. Ihre Oberfläche bot eine unendliche Fülle blumiger und figurativer Motive, die von verschiedenen Kunsthandwerkern aus verschiedenen Kulturen entwickelt wurden. Der Import talentierter Kunsthandwerker aus eroberten Gebieten in das Atelier des osmanischen Palastes war eine gängige Praxis der osmanischen Herrscher und Teil des Eroberungsplans der Sultane. Die Hauptaufgabe dieser Kunsthandwerker war es, einzigartige Meisterwerke zu schaffen, die die Bedeutung der gegenwärtig regierenden Sultane zeigten. Auf diese Weise schuf das Osmanische Reich eine Art Schmelztiegel, in dem verschiedenen Kunststile und Motive verschmolzen wurden, sodass ein ganzes Mosaik von Entwürfen entstand.

Bei näherer Betrachtung sind diese Motive noch immer auf verschiedenen Materialien wie Holz, Keramik und Manuskripten überall in der Region erkennbar. Ihre Ursprünge lassen sich auf mehrere Regionen wie Zentralasien und Europa zurückverfolgen. Obwohl die Motive aus verschiedenen Kulturen stammen, entwickelten sie sich zu drei verschiedenen Stilen, die alle auf den aleppinischen Werken von ‚ajami zu finden sind: der stilisierte (oder abstrakte) Stil (bekannt als der klassische Stil), der halbstilisierte Stil und der naturalistische Stil. Die Namen dieser Stile variieren je nach Land, Sprache und Forscher. Für diesen Artikel hat sich der Autor für die seiner Meinung nach passendste Terminologie entschieden.

Stilisierte klassische Motive blühten im 15. bis zum 16. Jahrhundert:

Stilisierte Motive sind von zentralasiatischen Motiven beeinflusst und umfassen zwei Arten von Motiven: Rumi und Hatayi. In Aleppo wurden die Stile Rumi und Hatayi während des 17. Jahrhunderts gemeinsam verwendet und tauchten in späteren Zeiten immer wieder auf. 

Rumi besteht aus systematisch und symmetrisch geformten wirbelnden Stängeln mit Blättern. Diese Motive finden sich im allseits bekannten Aleppo-Zimmer, das sich heute im Museum für Islamische Kunst in Berlin befindet, sowie im Bayt Ghazaleh in Aleppo (Abb. 1 und 2).

Der Ausdruck Rumi leitet sich ab vom arabischen und türkischen Wort für „römisch“ und bedeutet das Land der Römer und bezeichnet das Land in Anatolien (Bilad al-Rum), das vor der Übernahme durch das Sultanat der Rum-Seldschuken, Teil des römischen / byzantinischen Reiches war, welches die Motive nach Vorderasien brachte.

Im Gegensatz dazu zeichnet sich Hatayi durch freiere aber symmetrische, gewellte Stängel aus und umfasst Blätter, Blüten, Blumenschmuck und einen Querschnitt von Blumen. Die Motive wurden mittels eines systematischen Farbschemas gezeichnet (Abb. 3). 

Halbstilisierte Motive blühten im 16. bis zum 18. Jahrhundert:

Halbstilisierte Motive entstanden insbesondere, als Sultan Selim I. Täbris im Iran eroberte und einen persischen Künstler namens Schah Kulu mitbrachte. Seine künstlerische Kreativität führte unter der Herrschaft des Sultans Suleiman zu einem Stil von Motiven, der als Saz bekannt wurde. Saz gleicht dem Hatayi, ist jedoch natürlicher und wird in einem vollkommen freien Zeichenstil mit langen, gewellten Stielen und stacheligen Blättern dargestellt (Abb. 4). Diese werden von Figuren von Kreaturen wie Vögeln, Engeln und mythologischen Tieren begleitet. 

Schah Kulu hatte einen begabten Schüler namens Kara Mehmed Memi, der auch ein berühmter Künstler am osmanischen Hof wurde. Er schuf einen neuen Stil, der in der Türkei nach ihm benannt ist. Der Kara-Memi-Stil ist international als „Viertelblumen“ bekannt, da er vier grundlegende, sich wiederholende Blumen umfasst: Tulpen, Rosen, Nelken und Hyazinthen (Abb. 5). 

Eines der verblüffendsten Beispiele für verzierte Holztäfelungen ist das sogenannte Aleppo-Zimmer (der ursprüngliche Empfangsraum von Bayt Wakil). Es befindet sich im Museum für Islamische Kunst in Berlin und zeigt eine Vielzahl von Motiven und präsentiert eine ganze Fülle von Motiven. Dazu gehören sowohl die stilisierten (Rumi und Hatayi) als auch die halbstilisierten Motive (Saz und Kara Memi).

Neben diesen Stilen befinden sich entlang der osmanischen Stile auch chinesische Motive, Menschen- und Tierfiguren sowie mythologische Kreaturen und Szenerien aus berühmter Literatur. Seine einzigartige Oberfläche zeigt die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe und die vielfältigen Talente, die diese Künstler in nur einem Raum vereinten. 

Der naturalistische Stil begann im frühen 18. Jahrhundert:

Der naturalistische Stil entstand im 18. Jahrhundert in Istanbul, der als das Zeitalter der Tulpen (1713-1733) bekannt ist. In dieser Zeit war das Osmanische Reich stark von der westlichen Kultur und Kunst, insbesondere den Stilen des Barocks und des Rokokos beeinflusst. Klassische Stile wurden häufig durch naturalistische Motive ersetzt. Blumensträuße und Schüsseln voller Früchte hielten Einzug in die Motivdekorationen. Ein schönes Beispiel ist das Zimmer von Sultan Ahmed III im Topkapı-Palast in Istanbul. Diese Stile tauchten auch in den aleppinischen Häusern auf, wie zum Beispiel im Haus Ghazaleh und anderen Orten (Abb. 8- 10).

Das Haus Ghazaleh ist insofern interessant, als dass es viele bemalte Holztäfelungen aus verschiedenen Epochen der osmanischen Zeit enthielt. Die Täfelungen zeigten Beispiele aller oben erwähnten Stile. Bedauerlicherweise gingen die meisten der Holztäfelungen während des bewaffneten Konflikts in Aleppo von 2012 bis 2016 verloren. Jedoch hat der Verfasser dieses Artikels diese Täfelungen eingehend dokumentiert und erforscht. 

ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive

Abb. 10: Blumenstrauß und Früchte in Schalen an den Wandpaneelen Bayt ad-Dahhan/ Funduq Qasr al-Mansuriyya, 18. Jahrhundert (© Rami Alafandi)

Istanbul, die damalige osmanische Hauptstadt, war der Treffpunkt von Künstlern, die all diese Motivstile hervorgebracht und entwickelt hatten. Die Beispiele aus Aleppo zeigen, wie eng diese zwei Städte miteinander verbunden waren. Obwohl die Architektur von Aleppo einen besonderen örtlichen Stil aufweist, der sich insbesondere im Steinmauerwerk und in den Steinverzierungen und der Gestaltung der Häuser zeigt, folgten die bemalten Holzdekorationen überraschenderweise den osmanischen Kunstrichtungen. Die Verbindung zwischen Istanbul und Aleppo wurde ermöglicht durch die Künstler, die reisten, um in anderen Städten des Osmanischen Reiches Kunsthandwerk zu produzieren, und die Aleppiner, insbesondere Händler, die den Kunstrichtungen des Osmanischen Reiches während ihrer Reisen nach und ihrer Besuche in Istanbul und anderen osmanischen Städten ausgesetzt waren. Aus diesem Kulturaustausch ergab sich eine Fülle von Motiven, die die prächtigen Holztäfelungen zierten und mit großer Herzlichkeit den Weg ins aleppinische Haus fanden. 


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Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

  1. ‘Ajami oder Damaszener Malerei: Auf den Spuren eines traditionellen Handwerks in Syrien
  2. ‘Ajami von A to Z
  3. Restaurierung von ‘Ajami – Herausforderungen und faszinierende Entdeckungen
  4. Die Großmeister des ‘Ajami-Handwerks
  5. Der Weg zum ‘Ajami-Künstler: Im Gespräch mit Mohammad Haj Qab
  6. Zwischen Tradition und Innovation: Im Gespräch mit Aliya Alnuaimi
  7. Die Geheimnisse der Alten Meister
  8. Die Seele des ‘Ajami: Interview mit Ziad Baydoun
  9. Das Aleppozimmer …ganz persönlich
  10. ʿAjami in Aleppo: Eine Geschichte über reisende Motive
  11. Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

von May Ghazaleh

Ich möchte dir gerne eine Geschichte aus meiner Heimatstadt Aleppo und dem Ort, aus dem meine Vorfahren stammen, Judaydeh, erzählen.

Ich wurde in Aleppo als Tochter eines syrischen Vaters und einer italienischen Mutter geboren. Meine Familie ist christlich und stammte aus einer bedeutenden Bankerdynastie der Stadt. In den 60er Jahren war Aleppo eine sehr kosmopolitische Stadt und Menschen aller Religionen lebten friedlich zusammen. In der katholischen Franziskanerschule, die ich besuchte, waren meine Freunde Christen, Muslime und Juden. Religion war niemals ein Thema. Unsere Familien haben sich im berühmten Aleppo Club getroffen. Wir lebten alle in perfekter Harmonie zusammen, wachten mit dem Klang des Muezzin und der Kirchenglocken auf und gingen zur Schule.

Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

ʿAjami-Dekoration im Empfangsraum (Qaʿa) des Haus Ghazaleh in 1979
| Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

Im Alter von 14 Jahren brachte mich mein Vater zum ersten Mal nach „Beit Ghazaleh“, um mir zu zeigen, wo meine Urgroßeltern gelebt haben. Zu dieser Zeit war das Haus zwar noch im Besitz meiner Familie, aber es wurde als armenische Schule genutzt (im frühen 20. Jahrhundert war hier eine deutsche Schule untergebracht). Ich erinnere mich noch genau an die sehr einfache Eingangstür. Als ich durch diese trat, war ich von dem Gegensatz zum Inneren überwältigt. Die Innenausstattung war beeindruckend und noch sehr gut erhalten. Mein Vater brachte mich auf den Hof und erzählte mir alles über die kostbaren Erinnerungen, die für ihn mit diesem Haus verbunden waren. Er sprach über den Kamin, der jedes Mal, wenn er angezündet wurde, den Geruch von Zitrone verbreitete. Und das große Hamam, eines der ersten in einem privaten Haus in Aleppo.

Dieses Haus war viel mehr als nur ein Beispiel für die osmanische Architektur des 17. Jahrhunderts. Es war mein Erbe, die Geschichte meiner Familie. Mein Urgroßvater, Fathalla Ghazaleh, und seine Familie waren die letzten, die in diesem Haus lebten. Und Ende des 19. Jahrhunderts verließen sie das alte Viertel von Judaydeh und zogen in ein moderneres und komfortableres Haus nach al-ʿAziziyya. Sie haben jedoch die ‚Ghazale‘-Holztafeln der alten privaten Kapelle geborgen, um damit ihr neues Zuhause in al-ʿAziziyya zu dekorieren. Diese Tafeln befinden sich heute im Robert Mouawad Private Museum in Beirut. Sie stammen aus der Sammlung von Henri Philippe Pharaon. Es sind die einzigen Holztafeln des Hauses, die noch übrig sind.

Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

Westseite des Innenhofes von Beit Ghazala in 1995 | Julia Gonnella (CC-BY-NC-ND)

Im Jahr 1965 sind wir wie viele andere Familien aus wirtschaftlichen Gründen in den Libanon ausgewandert. Meine Liebe zu Aleppo, aber, hat nie nachgelassen. Von Zeit zu Zeit kehrte ich in meine kostbare Stadt zurück, um meine Freunde und Familie zu besuchen. In den 80er Jahren ging ich zurück nach Bayt Ghazaleh. In der Zwischenzeit war das Haus an die Generaldirektion für Altertümer und Museen von Aleppo (Directorate Generale of Antiquities and Museums – DGAM) verkauft worden. Alles war wie ich mich daran erinnert hatte, das Haus war leer und verlassen. Es gab nur einen alten Wächter, der den Hof als Geflügelfarm nutzte. Überall waren Hühner. Es stimmte mich traurig. Das Haus meiner Vorfahren sollte nicht in diesem Zustand sein. Ich fühlte mich hilflos. Erst um das Jahr 2007 gelang es der DGAM Aleppo, Gelder für die Sanierung und Restaurierung des Hauses zu sammeln, um darin das Museum der Erinnerung aufzubauen.

Im Jahr 2010 wurde ich dann mit Mark Ghazaleh bekannt gemacht, einen Cousin, den ich bisher nie getroffen hatte, der aber meine Leidenschaft und mein Interesse für das Haus unserer Vorfahren teilte. Diese Begegnung war der Beginn einer gemeinsamen Ahnenforschung, um einen tieferen Einblick in unseren Stammbaum und die Menschen zu bekommen, die Bayt Ghazaleh bewohnt hatten. Wir waren beide gespannt auf die Ergebnisse der Renovierung und ich hatte bereits geplant, dem Museum ein Porträt meiner Urgroßeltern anzubieten, das früher die Wände des Hauses schmückte. Besonders stolz war ich auf meine Großmutter Marie Ghazaleh, die vom Sultan Abdul Hamid II. als Orden ein Wohltätigkeitsmedaillon erhalten hatte, welches eine ausgewählte Frau nur für herausragende humanitäre Arbeit erhalten konnte. Diese Auszeichnung enthielt ein Gedicht, das ein Dichter aus Aleppo 1895 an Marie richtete.

Beit Ghazaleh: Das Haus meiner Urgroßeltern

Beit Ghazaleh in 1995 | Julia Gonnella (CC-BY-NC-ND)

Im Jahr 2011 entschied das Schicksal anders. Der Krieg brach in Syrien aus und Aleppo wurde schwer getroffen. Das Haus wurde all seiner dekorativen Holztafeln beraubt und durch eine Explosion schwer zerstört, was uns mit gebrochenen Herzen zurückließ. Obwohl der Schaden im Vergleich zu all dem Schmerz und Leid, welche die Bevölkerung von Aleppo ertragen musste, unbedeutend zu sein scheint, war ich zutiefst verletzt von dieser Zerstörung und all den Erinnerungen, die zerschmettert worden waren. Dieses unglückliche Ereignis bestärkte meinen Wunsch wie auch den von Mark, die Geschichte von Beit Ghazale mit anderen zu teilen und unser Erbe in dem Buch „Alep, la maison Ghazalé: Histoire et devenirs“ von Jean-Claude David und François Cristofoli festzuhalten.

Mein größter Wunsch ist, dass dieses prestigeträchtige Haus eines Tages auf friedlichem Land vollständig restauriert wird; alles, was gestohlen wurde, an seinen ursprünglichen Ort zurückkehrt und die nächste Generation wird in der Lage sein, die charmante und faszinierende Architektur syrischer Häuser zu sehen. Ich hoffe sehr, dass unser Erbe und die Geschichte, die wir hinterlassen, der Stadt hilft, wieder zu dem zu werden, was sie einmal war. Für Aleppo, für uns Syrer, aber auch für unsere Kinder und Kindeskinder und die kommenden Generationen. So dass alle eines Tages Zeuge unseres Erbes werden und mit der gleichen Art bewundern, wie ich es im Alter von 14 Jahren tat.

Read the book Alep, la maison Ghazalé: Histoire et devenirs and the report about the missing ʿAjami wooden panels from Bayt Ghazala.


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Die Zitadelle von Damaskus- die Beschützerin der Stadt und Zeugin ihrer Geschichte

von Jihad Sulaiman

Während die Musik mit kraftvollen Tönen die Luft erfüllte, erklang aus den Kehlen von zwanzigtausend Fans in der Zitadelle von Damaskus der inbrünstige Gesang zu einem der Lieder des Komponisten Ziad Rahbani.

Die Zuschauer hatten sich nach diesem Live-Gesang gesehnt. Auch für Rahbani war es von zentraler Bedeutung, dass sein erster Auftritt im Rahmen der Veranstaltungen „Damaskus- Die arabische Kulturhauptstadt im Jahr 2008“ vor seinem syrischen Publikum stattfand. Ich selbst war dankbar, dass meine erste Erinnerung an die Zitadelle in Damaskus so herzerfreuend war, denn ich weiß, dass die Ereignisse, die diese Zitadelle im Lauf der Geschichte bezeugte, auch mit schmerzhaften Erlebnissen verbunden waren. An diesem Abend war die Zitadelle zwar ein Ort des Feierns und der Freude, aber einst war sie auch ein Ort, wo Menschen ihrer Freiheit beraubt worden sind, wie beispielweise der Journalist Najeeb Al-Rayes während der französischen Mandatszeit. So wie die Zitadelle früher eine Quelle von Prestige und Macht für die Dynastien war, unter deren Herrschaft sich Damaskus befand, so war die Zitadelle gleichzeitig auch Zeugin des Machtverfalls dieser Dynastien. Sie wurde mehrmals zerstört, wiederaufgebaut und befestigt. Ich sehe vor meinen Augen die Verteidiger der Zitadelle während die mongolischen Soldaten unter der Führung Hülagü Khans und nach ihm Timur Lenk mit lautem Gebrüll angreifen, die meisten ihrer Teile zerstörten und sie in Brand steckten

Diese Ereignisse bezeugen, dass niemand durch Damaskus gehen und die Geschichte der Stadt kennen lernen kann, ohne die nordwestliche Ecke der antiken Stadt zu besuchen, wo sich die Zitadelle befindet. Sie liegt auf gleichem Niveau wie die Stadt selbst; ist nicht höher gelegen. Aus einigen Quellen geht hervor, dass der Bau der ersten Festung auf dem Ort der Zitadelle, die seit 1979 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen wurde, aus der Römerzeit stammt. Die heutige Struktur der Burg geht auf zwei Hauptepochen zurück: die Seldschuken- und die Zengiden-Zeit. Doch auch die daran anschließende ayyubidische Epoche prägte die Gestalt die Zitadelle von Damaskus.

Im Jahr 1071 riefen die Fatimiden den Seldschukenführer Atsiz ibn Uvak zu Hilfe, um die Revolten in Palästina niederzuschlagen. Diese Gelegenheit nutzte Atsiz, um sich Damaskus’ zu bemächtigen und die Stadt zu seinem Sitz zu machen. Er baute die Zitadelle aus, die in der Seldschuken-Zeit Königssitz und militärische Basis war. Die Zitadelle war umgeben von hohen Mauern und Türmen.

Im Jahr 1154 marschierte Nur ad-Din Zengi in Damaskus ein und machte sie zur Hauptstadt des damals größten islamischen Reichs. Er bewohnte die Zitadelle und verstärkte ihre Befestigungsanlagen.

One of the towers of Damascus Citadel
Ein Turm der Zitadelle von Damaskus – © Stefan Heidemann (CC-BY-NC-ND)

Nach seinem Tod übernahm Salah ad-Din die Macht. Auch ihm diente Damaskus als Wohnstätte. Salah ad-Din fügte der Zitadelle einen weiteren Turm hinzu. Doch trotz seines Sieges über die Kreuzritter war die Zitadelle aufgrund des heftigen Beschusses durch die Kreuzritter in einem stark vernachlässigten und schlechten Zustand.

Nach dem Tod von Salah ad-Din begann sein Onkel al-Adil nach einem Erdbeben die Zitadelle neu zu errichten. Er erweiterte sie um moderne militärische Verteidigungsanlagen. Zu diesen gehörten Schleudern, die zum Schutz der Stadt gegen die Angriffe der Kreuzritter, die damals eine große Gefahr für die Stadt waren, eingesetzt wurden.

Die von Hülagü angeführten Mongolen eroberten Damaskus im Jahr 1260 n.Chr. und zerstörten den größten Teil der Zitadelle. Bald darauf wurden sie vom Mamluken-Sultan Saif ad-Din Qutuz und seinem Nachfolger Rukn ad-Din Baibars vertrieben, der die Zitadelle wieder aufbaute. Während dieser Zeit erhielt die Zitadelle neue Verteidigungsanlagen, wie z. B. die Kurtinen, die zweigeschossige Wehrgänge sowie die Torbefestigungsanlagen.

Im Innenbereich der Zitadelle von Damaskus, um 1930
Im Innenbereich der Zitadelle von Damaskus, um 1930 – © Unknown authorship (CC-BY-NC-ND)

Im Jahr 1516 n.Chr. übergaben die Mamluken die Festung den Osmanen, die die Kontrolle über die Stadt erlangten. Im 18. Jahrhundert wurde die Zitadelle von Damaskus durch Erdbeben schwer beschädigt und vom osmanischen Sultan Mustafa III wieder aufgebaut. Später wurde sie vernachlässigt, da sie ihre strategische Funktion verloren hatte. Sie wurde später als Kaserne und Gefängnis genutzt. Im Jahr 1925 beschossen französische Soldaten die Altstadt aus der Zitadelle als Reaktion auf die Große Revolution in Syrien gegen das französische Mandat.

Seit 1984 ist die Zitadelle Gegenstand von Restaurierungsarbeiten und archäologischen Ausgrabungen und wurde Besuchern und Forschern aus aller Welt als archäologische Stätte und Kulturzentrum geöffnet.

Blick auf die Zitadelle von Damaskus von Nordwesten
Blick auf die Zitadelle von Damaskus von Nordwesten  – © Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)

Die Zitadelle verfügt heute über 12 Türme, die mit Zinnen und Schießscharten ausgestattet sind. Darüber hinaus verfügte sie über wichtige Bauten, wie die sog. Ayyubiden-Halle und andere Gebäude auf der Südwestseite. Diese Gebäude verteilten sich auf einem rechteckigen Gelände, das vollständig von einem mit dem Wasser des Barada-Flusses gefüllten Verteidigungsgraben umgeben war.

Ursprünglich besaß die Zitadelle drei Haupttore: das erste, Eisentor genannt, lag an der Nordseite, das zweite lag im Osten und verband die Zitadelle mit dem Asruniya-Markt, das dritte im Westen war lange Zeit unbekannt, bis es 2005 von der syrisch-französischen archäologischen Mission entdeckt wurde. Die Zitadelle besaß zudem weitere, sekundäre Tore, die mit mobilen Brücken ausgestattet waren.

Neben den hohen Türmen und den dicken Mauern, die aus großen Steinblöcken gehauen waren, war die Zitadelle mit mehr als 300 Schießscharten in ihren Mauers ausgestattet. Durch sie beschossen die Verteidiger die Angreifer mit Pfeilen. Hinter den Mauern waren riesige Kriegsmaschinen wie Schleuder für große Steine ​​und Brandbomben angebracht.

Der Nord-West-Turm der Zitadelle von Damaskus
Der Nord-West-Turm der Zitadelle von Damaskus – © Stefan Heidemann (CC-BY-NC-ND)

Die gemischten Gefühle, die den Besucher während seines Besuchs in der Zitadelle von Damaskus übermannen, erinnern ihn einerseits an die Vielzahl der Ereignisse, die sich in der Stadt Damaskus im Laufe der Jahrhunderte ereignet haben, andererseits bestärken sie ihn, dass Damaskus wirklich eine ewige Stadt ist, über die der amerikanische Schriftsteller Mark Twain einst sagte: „Für Damaskus sind Jahre nur Augenblicke, Jahrzehnte nur vorbeihuschende, unbedeutende Zeitabschnitte. Es misst die Zeit nicht nach Tagen und Monaten und Jahren, sondern nach den Reichen, die es hat erstarken, blühen und verfallen sehen. Es ist ein Urbild der Unsterblichkeit.“ (aus: Die Arglosen im Ausland (1869))

Der öffentliche Hammam – eine alte syrische Tradition

von Ruwida Tinawi und Hiba Bizreh

„Baden ist eine Wonne des Lebens!“, das ist ein Spruch, den meine Mutter immer beim Baden wiederholte, um meinen Bruder und mich als Kinder zum Baden zu verlocken. Bestimmt hat meine Mutter diesen bildhaften Spruch von ihrer türkischen Mutter übernommen, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts – erst in der Türkei, dann in Damaskus – aus eigenem Erleben kein anderes Bad als das öffentliche Badehaus, den Hammam, kannte. Meine Großmutter fasste in diesem Spruch alle Lebensfreuden jener Zeit zusammen: das Ausgehen mit Töchtern und Nachbarinnen, das Sauberkeitsgefühl und – wohl am Allerwichtigsten – der im Hammam stattfindende ‚Damenempfang‘ mit Tanz, Gesang und Essen.

Der Besuch des öffentlichen Badehauses beschränkte sich nicht auf eine bestimmte Bevölkerungsschicht; es war ein gesellschaftlicher Ort für alle – Reiche und Arme. Oft war es außerdem eine wichtige Station für die Landbewohner, die in die Stadt kamen, um Einkäufe und Besorgungen zu machen. Es besaß also neben seiner hygienischen Rolle auch eine wichtige Funktion als Ort zur Entspannung vom manchmal anstrengenden Reisen.

Die Idee des öffentlichen Bades geht auf die Griechen im 5. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung zurück. Sie verbreitete sich dann durch die Seleukiden und Römer, deren Badehäuser äußerst imposant waren. Die Region Syrien war in römischer Zeit für seine Hammams bekannt.

واجهة حمامات شهبا
Eine Fassade der Bäder von Shahba – © Eva Haustein-Bartsch (CC-BY-NC-ND)

Beispiele für römische Bäder finden sich noch in Palmyra, Bosra, Sirjilla und Shahba. Die Tradition wurde später von den Muslimen weitergeführt, die in allen Städten Hammams mit eigenem Bau- und Kunststil bauten. Diese Bäder besaßen zudem eine ganz besondere gesellschaftliche Funktion. Es gab zwei Arten: einerseits die öffentlichen, die eigenständig betrieben wurden, und andererseits diejenigen, die in Palästen oder Bimaristanen (Krankenhäusern) integriert waren.

Der islamische Hammam besteht in der Regel aus vier Bereichen, die alle durch Kuppeln überdeckt werden:

Im sogenannten ‚äußeren Bereich‘ (al-barrani) kleidete man sich um. Die Halle, in deren Mitte ein Brunnen steht, war zudem ein Ort für Beisammensein, Unterhaltung und Austausch, ja sogar Geschäftsabwicklungen. Für Frauen war sie darüber hinaus ein beliebter Platz für festliche Anlässe, wie beispielsweise bei Heiraten und Geburten. Durch diesen Bereich gelangte man in den nächsten, den ‚mittleren Bereich‘ (al-wastani), in dem die Temperaturen mild waren. Der dritte Bereich wird als ‚innerer Bereich‘ (al-juwwani) bezeichnet und war der heißeste Raum des Bades. Der Boden ist mit bunten Marmorplatten ausgelegt, die kleinen Kuppeln, die den Raum überdecken, sind mit Glassteinen durchsetzt. Angrenzend an den Innenbereich befindet sich der Heizraum (al-qamim), wo das Wasser erhitzt und in den juwwani geleitet wurde. Der letzte Raum des Hammams ist ein Zimmer für den Beheizer (al-qamini), welcher für das ununterbrochene Beschicken des Ofens mit Brennmaterial verantwortlich war.

حمام بهرم باشا، قبة القسم الجواني
Die Kuppel des inneren Bereichs (juwwani) des Bahram Pasha-Bades – © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

In Damaskus befanden sich die meisten öffentlichen Badehäuser innerhalb der Altstadt, oft in der Nähe der Stadttore oder nahe bei Moscheen und Schulen. So z. B. der Hammam al-Malik az-Zahir, der an die Zahiriyya-Schule grenzte. Darüber hinaus wurden Badehäuser gerade auch in den Hauptmarktbereichen nahe bei den Khanen (Handelsgebäuden mit Beherbergungsfunktion) zur Versorgung von Händlern und Reisenden angelegt, so z. B. der Hammam Nur ad-Din ash-Shahid im Buzuriyya-Markt. Infolge der Erweiterung der Stadt in aiyubidischer Zeit über die Stadtmauer hinaus, wurden die Hammams im nördlichen Viertel an dem Flüßchen Tawra (Tura) entlang errichtet; dort finden wir fünf Hammams, von denen manche, wie der Hammam Ammuna, immer noch in Betrieb sind.

Eines der berühmtesten mamlukischen Badehäuser außerhalb der Stadtmauer von Damaskus ist der Hammam al-Qaramani in der Nähe des Marja-Platzes. Ein anderes, ebenfalls noch genutztes aus der Mamlukenzeit ist der Hammam al-Muqaddam im Vorort Salihiyya, wo auch der Hammam ʿAbd al-Basit gebaut wurde. Der Hammam at-Tayruzi (at-Tawrizi) zählt außerdem zu den schönsten und besterhaltenen; er wurde von dem mamlukischen Prinz at-Tawrizi als Teil eines Baukomplexes errichtet, zu dem eine Moschee und sein Grabmal gehören. Der Hammam Fathi im Midan-Viertel ist durch die reichen Ornamente seiner Fassade ein besonderes Beispiel osmanischer Baukunst in Damaskus.

Aleppo: gestreifte Facade des Mamlukisch-Osmanischen Hammam Yalbugha an-Nasiri
Gestreifte Facade des Mamlukisch-Osmanischen Hammam Yalbugha an-Nasiri – © Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)

Die Aleppiner haben der öffentlichen Badekultur ein neues Element zugefügt: die Lorbeerseife – sie genießt seit langem Weltruhm. In Aleppo wurden zudem bauliche Stilelemente übernommen, die aus Istanbul und Anatolien kamen. Der Hammam an-Nahhasin wird als berühmtestes Badehaus aus aiyubidischer Zeit angesehen; er zeichnet sich durch eine mit gläsernen Lichtöffnungen verzierte Kuppel aus. Leider wurde dieser Hammam in den letzten Jahren des Krieges in Syrien beschädigt. Unter den mamlukischen Badehäusern ist vor allem der Hammam Yalbugha an-Nasiri am Fuße der Zitadelle zu nennen, der als einer der schönsten islamischen Hammams von Aleppo gilt; er besitzt eine eindrucksvolle Fassade mit waagrechtem Wechsel von gelblichen und schwarzen Steinlagen und der hohe, von Emblemen geschmückte Eingang wird zu beiden Seiten von Fenstern umrahmt. Wie zahlreiche Aleppiner Architekturschätze wurde dieses Badehaus durch den letzten Krieg in großen Teilen beschädigt. Im Hammam Bahram Basha zeigt sich eine Entwicklung des Hammam-Baus in osmanischer Zeit in Aleppo: Seine Nordfassade öffnet sich nach außen, auch sie wird durch den typischen Wechsel von hellen und schwarzen Steinen (ablaq) geprägt.

Die meisten syrischen Städte besitzen öffentliche Badehäuser. Besonders berühmt sind der Hammam as-Sultan in Hama, der Hammam at-Tasawir in Jabla, der Hammam al-Basha und der Hammam al-ʿUthmaniyya in Homs. Letzterer wurde erst kürzlich restauriert und wieder in Betrieb genommen. In Bosra wurden die Ruinen des mamlukischen Hammam al-Manjak in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts von der Generaldirektion der Altertümer und Museen Syriens gemeinsam mit dem Deutschen Archäologischen Institut restauriert und beherbergte daraufhin das kleine Islamische Museum. Der mamlukische Hammam in as-Salamiyya ist durch seine Kuppeln, die nach oben hin leicht zugespitzt verlaufen, weithin zu erkennen.

مدخل حمام عبد الباسط
Der Eingang des ʿAbd al-Basit Hammam (Badehaus) zu beginn des 20. Jh. AD – © Collection DAI-ISL (CC-BY-NC-ND)

Viele öffentliche Badehäuser sind aus den syrischen Städten verschwunden. Andere stehen immer noch, haben jedoch ihre Funktion als Hammam verloren und sind in Läden oder Werkstätten umgewandelt. Zum Glück blieben einige als Bäder erhalten und wurden restauriert, wie der Hammam al-Qaramani und der Hammam Ammuna in Damaskus.

Seit einiger Zeit besuchen immer mehr Syrer wieder die öffentlichen Hammams – um Traditionen und Gebräuche zu bewahren, um Erholung vom Alltag zu finden und vielleicht auch, um den Krieg an einem Ort der Entspannung für eine kurze Zeit zu vergessen. Genau wie der kulturhistorische Hintergrund des Hammam-Baus wurzeln die Worte unserer Vorfahren im kollektiven Gedächtnis. Wie immer auch die örtlichen und zeitlichen Veränderungen sein mögen und sich die Lebensbedingungen wandeln, so kann ich persönlich den Hammam – den öffentlichen wie den privaten – nur als eine Wonne des Lebens sehen.

Ein Haus in der Sisi-Gasse in Aleppo

von Moussa Beitar

Wakil house, courtyard with water basin
Ein Hof im Wakil-Haus – © Lamia Jasser (CC-BY-NC-ND)

Als aber die Zeit verging und die Enkelkinder beschlossen, ihre Eltern davon zu überzeugen, mit der Moderne Schritt zu halten und in die neuen Viertel mit ihren mehrstöckigen Häusern und breiten Straßen zu ziehen, wurde unser Haus zu einem Waisenhaus für die griechisch-orthodoxe Gemeinde und dann zu einem Altenheim.

Dies ging einher mit dem Trend in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts, in die alten Häuser zu investieren und diese umzunutzen.

Daher war die Geschichte unseres Familienhauses im Gedächtnis von uns Enkelkindern geprägt von entscheidenden Ereignissen. Einen Teil davon erfuhren wir von unserem Großvater noch vor seinem Tod. Über andere lasen wir in den Stadtannalen bzw. waren selbst Zeugen und Zeitgenossen davon

Zu den einschneidenden Ereignissen zählt die plötzliche Entscheidung unseres Urgroßvaters Shukri, den wertvollsten Besitz, dessen unsere Familie sich rühmte, zu veräußern.

Bayt Wakil (Aleppo-Zimmer), Painted wooden panel, Mary and Jesus
Bayt Wakil (Aleppo-Zimmer), bemaltes Holzpaneel mit Maria und dem Jesuskind – © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

In früheren Zeiten war es unter den Vermögenden üblich, die Wände der Empfangsräumen mit bemalten Holzvertäfelungen zu dekorieren. Zu den Vermögenden der Stadt zählten allen voran die Kaufleute sowie Angehörige der Mittelschicht. Diese Gepflogenheit war nicht auf viele der christlichen und armenischen Familien beschränkt, sondern betraf auch auch viele der muslimischen Familien.

So gefiel es Haj ʿIsa Bin Budrus, dem ersten Eigentümer unseres Hauses, im Jahr 1603, die besten Kunsthandwerker und Künstler aus dem Ausland damit zu beauftragen, die Wände seines Empfangsraumes mit Schnitzereien und fantastischen, farbenfrohen Malereien zu dekorieren. Es fiel auf, dass dieses, nach Walnuss- und Kiefernholz duftende, Empfangszimmer selbst nach langen Jahrzehnten und turbulenten Ereignissen in der Stadt sich seinen Zauber bewahrt hatte. Auf den Holzpaneelen sind Menschen, Tiere und Pflanzenmotive abgebildet. Unter den floralen Motiven sind Lotusblüten, Lilien und Nelken zu finden. Auch Verse aus den Psalmen Davids und den Sprüchen Salomos sind in die Holzpaneele integriert. Die wichtigsten Malereien aber sind Motive aus der Bibel – die bedeutendste davon ist die Szene, in der Abraham Isaak Gott opfern möchte. Abraham steht in stolzer Haltung, den Saum seines Umhangs unter seinem Gürtel befestigt. Er hält das Messer in seiner Hand an den Nacken seines unter ihm knienden Sohns Isaak. Isaaks Augen sind verbunden. Über ihm schwebt ein guter Engel, der ein Opferlamm auf dem Arm trägt. Wer wusste damals schon, dass die Augen der Stadt heute verbunden sind und sie selbst zum Opferlamm wird?

Die Stimme meines Großvaters hallt bis heute in meinen Ohren, wie er ausführlich über jenes geliebte Zimmer des Familienhauses sprach. Leider verlor seine Familie ihr Haus im Jahr seiner Geburt (1912) durch einen umfassenden Geschäftsabschluss mit einer deutschen Frau namens Martha Koch, die im Auftrag von einem der Berliner Museen handelte.

Mein Großvater versuchte die Tat seines Vaters damit zu rechtfertigen, dass die Geschichte der Stadt so hart sei wie ihre Steine.

Bayt Wakil (Aleppo-Zimmer), the middle part of the room
Bayt Wakil (Aleppo Zimmer) ist das Herzstück des Raumes – © Julia Gonnella (CC-BY-NC-ND)
Wakil house, Reception hall
Empfangsraum im Haus der Familie Wakil – © Lamia Jasser (CC-BY-NC-ND)

Frau Martha verbrachte eine lange Zeit in der Stadt, wo sie mit ihrem Ehemann und ihrer Tochter einen kultivierten literarischen Salon betrieb. Dieser Salon wurde von den meisten Konsuln und ausländischen Besuchern aus Europa, unter ihnen Schriftsteller, Weltreisende, Archäologen und Antiquitätenhändler, besucht. Bei einem ihrer häufigen Besuche im Familienhaus war sie beeindruckt von seinem Architekturstil, sodass sie am liebsten das ganze Haus erwerben und nach Berlin fliegen lassen wollte. Da dies aber ein unmögliches Unterfangen war, beschränkte sie sich auf den Erwerb der Holzvertäfelung des Empfangsraumes. Sie fotografierte den Springbrunnen, die Treppe zum Obergeschoss, die dekorativen Holzgitter, den Iwan mit seinem Marmorboden und die mit rotem, gelben und blauem Armanaz-Glas bedeckten Öffnungen in der Kuppel des Empfangsraumes. Sie feilschte auch um die Perserteppiche, die offene Feuerstelle und einige der Silbergegenstände. Nach den vorliegenden Informationen, wurden die Holzpaneele in 14 großen Kisten zum Hafen von Tripoli verbracht und von dort aus nach Hamburg verschifft. Von Hamburg aus wurden sie nach Berlin transportiert.

In der Halle, in der meine Vorfahren saßen und ihre Gäste empfingen, gab es Bilder, die immer noch im Gedächtnis der Stadt und ihrer sich gegenseitig bekriegenden Einwohner gegenwärtig sind. Ich schöpfe wieder aus dem Schatz der Erinnerungen und denke an die Erzählungen meines Großvaters, der einmal mit einem Lächeln sagte:

„Wir sind eine Stadt, die von der Toleranz lebt und das trotz aller Eroberungen und Zwietracht, die über uns gekommen sind. Wir haben unsere muslimischen Geschwister stets geliebt und mit ihnen im Guten wie im Schlechten zusammengelebt. Es kam zu Handelsbeziehungen und Ehen mit Europäern. Auch eine geistige und kulturelle Befruchtung fand zwischen uns und ihnen statt.“

Ich hatte nicht den Mut, meinem Großvater bei seiner Begründung des Verkaufs entgegenzutreten. Ich verstand auch nicht sein kosmopolitisches Konzept meiner Stadt. Als ich versuchte, meinen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen, unterbrach er mich heftig und setze wieder an, sich damit zu brüsten, dass der deutsche Ingenieur Volner, der Direktor des Bagdadbahn-Projekts, persönlich den Grundriss des Zimmers gezeichnet und die Abbauarbeiten der Holzpaneele erstklassig beaufsichtigt hatte. Dann kam er wieder darauf zurück, die Handlung seines Vaters zu rechtfertigen, und erzählte mir, wie hervorragend seine Mutter Frau Martha sowie all die Ingenieure und Arbeiter in den langen Tagen des Abbaus und Verpackens der Holzwände verköstigt hatte. Abschließend zitierte er eine der auf den Wänden angebrachten Inschriften:

„Gott ist mit den Großzügigen. Wer großzügig ist, erntet Großzügigkeit.“

Am Vorabend unseres Wegzugs aus dem Sisi-Viertel hielt sich mein Großvater ständig in dem Empfangszimmer auf und verließ es nicht mehr. Er thronte in diesem Saal wie ein unantastbarer Priester mit einem Schweigegelübde. Er brachte mit seiner Stille sogar die Stille zum Schweigen. Wann immer meine Geschwister und ich versuchten, zu ihm in die Halle zu gehen, spürte ich, nun in einem kahlen Raum zu sein, dem seine Funktion abhanden gekommen war. Und wenn ich zu der Kuppel aufschaute, sah ich sie uns scharf anstarren, als würde sie auf unsere Köpfe herabfallen wollen, obwohl die Generation der Enkelkinder nicht für das Geschehene verantwortlich war.

Es gibt Dinge, die für unsere Herzen wertvoll sind, die aber unseren Händen verloren gingen. Es scheint, als ob wir uns jetzt alle traurig daran erinnern würden, wie die Deutschen vor vielen Jahren begannen, die Holzwände unseres Familienheims in einem besonderen Raum im Museum für Islamische Kunst in Berlin unter dem Namen „Aleppo-Zimmer“ auszustellen.

Kurzgeschichte, erstmals am 31.05.2015 in der libanesischen Zeitung as-Safir al-Arabi, und hier mit Erlaubnis des Autors erneut und dreisprachig, veröffentlicht. Teil eines unveröffentlichten Romans von Moussa Beitar. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig. Dieser Roman skizziert soziale und wirtschaftliche Auswirkungen politischer Ereignisse auf die Bewohner der Stadt Aleppo vom 17. Jahrhundert bis ins Jahr 2015


Autorenschaft von Moussa Beitar : Schriftsteller aus Syrien (Hama). Abschluss in arabischer Literatur an der Uni Aleppo, wo er auch Geschichte des alten Orients unterrichtete, ebenso wie die arabische Sprache in der französischen Oberschule. Er veröffentlichte mehrere Kurzgeschichten und Artikel in der syrischen und libanesischen Presse.

Picknick in der Ghuta von Damaskus – Veränderungen einer Kulturlandschaft

von Ruwaida Tinawi

Laute Geräusche tönen vom Innenhof des Nachbarhauses herüber und die Stimmen von Jung und Alt sind voller Vorfreude. Was ist los? Unser Nachbar Abu al-ʿIzz kündigt an, dass er mit der ganzen Familie am nächsten Tag in die Ghuta fahren möchte.

Die Ghuta von Damaskus war tatsächlich einstmals eines der Paradiese dieser Welt und einer der fruchtbarsten Landstriche. Ihre Plantagengärten werden von den Nebenflüssen des Baradas sowie einem Netz von Bewässerungskanälen versorgt; sie lassen verschiedene Obstbaumarten, alle Gemüsesorten, den berühmten Damaszener Mais und Blumen gedeihen.

Als der frische Frühlingsmorgen kommt, verheißt er allen einen angenehmen Ausflug. Alle Sinne werden in der Ghuta von Damaskus zum Leben erweckt, denn es duftet dort wunderbar und es sieht zauberhaft aus. Die frische Luft belebt einfach jeden, sobald die Person mit ihr in Berührung kommt. Umm al-ʿIzz, die Dame des Hauses, bittet ihre Töchter nach dem Kerosinkocher zu schauen. Die Kochutensilien klappern in der Hektik aneinander. Sie sind alle aus reinem Kupfer, die der Kupferverzinner des Viertels, der sogenannte Mubayyid, auf seine geschickte Art blankgerieben hat. „Vergesst das Öl nicht!“, ruft die Großmutter von Weitem, „beim letzten Ausflug haben wir unsere Nachbarn im nächsten Plantagengarten darum gebeten.“

أشجار مثمرة وذرة في غوطة دمشق
Obstbäume und Mais in der Ghuta von Damaskus, 2005 | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)
قناة ري صناعية في غوطة دمشق
Betonbewässerungskanal in der Ghuta von Damaskus, 1963 | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)

Die Söhne von Abu al-ʿIzz suchen nach dem Fußball, um damit zu spielen, während von den Töchtern das Springseil bereitgelegt wird und die Frauen das Barjis, ein beliebtes Brettspiel, holen. Noch wichtiger als diese Dinge ist jedoch die Essensauswahl, die sie auf den Ausflug mitnehmen. Das kann Mujaddara sein, ein bekanntes Gericht aus Linsen und Burghul, Weizengrütze, oder Maqali, frittiertes Gemüse, sowie Salat oder auch verschiedenartiges Kabab (Hackfleisch) und Grillfleisch. Dies alles bleibt geheim bis es die Eltern untereinander besprechen. „Holt mal die Grillspieße und Kohle!“, ruft Abu al-ʿIzz. Nachdem sie nun wissen, was es zu essen geben wird, freuen sich die Kinder umso mehr auf das Picknick.

Alle Gegenstände für den Ausflug werden in Ledertüten, „sak“ genannt, bereitgestellt. In einem sak befinden sich die Essenssachen, in einem anderen ein Kissen für den greisen Großvater und in einem dritten eine Decke und Matten zum Ausbreiten im Gras und um darauf zu sitzen. Zweifellos haben die Damaszener das Wort „sak“ von den Franzosen während der Mandatszeit (1918–46) übernommen – wie viele andere französische Wörter, die immer noch in der Umgangssprache von Damaskus benutzt werden.

Die Ghuta, die die syrische Hauptstadt Damaskus umgibt, umfasste früher zahlreiche Plantagengärten, die sich über eine Fläche von ca. 230 km² erstreckten; sie beinhaltet insgesamt 39 Dörfer. Verwaltungstechnisch ist sie in zwei Bezirke unterteilt: West-Ghuta und Ost-Ghuta. Im Norden wird sie vom Fluss Yazid, im Westen von den beiden Flüssen Mazzawi und Dirani begrenzt, im Süden und Osten hingegen verringert sich ihre Fläche allmählich je weiter man sich von Damaskus entfernt.

أبقار وسط بستان في غوطة دمشق
Kühe inmitten eines Feldes in der Ghuta von Damaskus, 2005 | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)
بستان زيتون في غوطة دمشق
Ein Olivenhain in der Ghuta von Damaskus, 2005 | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)

Die Oase Ghuta mit ihrer grünen Fülle war seit alters her ein Siedlungsraum für mehrere Bevölkerungsgruppen. So deckten die archäologischen Studien und Ausgrabungen das Vorhandensein von vielen monumentalen Bauwerken und Siedlungshügeln (Talls) aus vorgeschichtlicher Zeit auf, wie zum Beispiel den bekannten Tall Aswad mit seinen Siedlungsschichten, die auf die Mittel- und Jungsteinzeit zurückgehen. Aus jüngeren Epochen beherbergt die Ghuta zahlreiche religiöse Besucherstätten, Klöster und Grabmäler sowie besondere Begräbnisstätten wie den Maqam (Schrein) der Sayyida Zaynab, der Enkelin des Propheten Muhammad, oder den Maqam des Prophetengefährten Saʿd ibn ʿUbada al-Ansari.

Seit Mitte der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts bis heute hat sich die Ausdehnung der Ghuta aufgrund von Dürrereignissen verändert. Die Brunnen versiegten und viele Quellwasserläufe, die die grünen Wiesen bewässert hatten, verschwanden. Zusätzlich zu diesen Veränderungen drohte der Ghuta eine weitere Gefahr, die im Begriff ist Haine und Gärten schließlich zum Verschwinden zu bringen: es ist das schrittweise Vordringen der Stadt mit ihren Gebäudeblöcken und Fabriken, was Wasserquellen verseucht und beträchtliche Bodenflächen der Ghuta vernichtet hat.

Picknick in der Ghuta von Damaskus – Veränderungen einer Kulturlandschaft
Informelle (ungeplante) Siedlungen breiten sich in der Ghuta Oase aus, 1980er | Anne-Marie Bianquis (CC-BY-NC-ND)

Diese Gefahr hätte es allerdings nicht gegeben ohne die Habgier der Investoren, welche die Lage der Jugend von Damaskus, denen ihre elterlichen Wohnungen zu klein geworden waren und die den Wunsch nach Unabhängigkeit verspürten, ausnutzten. Wenn es an Geld mangelt und der Wunsch stark ist – wo soll man da nur hin? Zu den stadtnahen Gartenflächen der Ghuta. Einige Bauern haben gegen reichliche Gewinne auf dem Immobilienmarkt auf ihre Gartenländereien verzichtet. So wurde denn unsere schöne Ghuta gefüllt mit Bausteinen, Zement und Eisen, nachdem sie doch immer unsere Seelen, Körper und Lungen mit ihrer sanften Brise erfüllt hatte.

At the Zu Beginn des letzten Jahrhunderts fuhren die Damaszener oft mit Pferdefuhrwerken in die Ghuta. Später haben sie diese durch Busse ersetzt. Die Jugendlichen gehen manchmal zu Fuß, um den älteren Leuten Plätze im Fahrzeug zu überlassen. Und wer das Transportmittel beanstandet, den tadelt das Familienoberhaupt: „Noch vor ein paar Jahren hättest du den Ausflug hoch auf dem Eselskarren gemacht.“ of the last century, the Damascenes often drove to the Ghuta in horse-drawn carts. Later on they replaced them with buses. The young people sometimes walk to give older people places in the vehicle. And if you complain about the means of transport, the head of the family will tell you, „Only a few years ago you would have made the trip up on the donkey cart.“

Die Schatten der blühenden Bäume waren im Frühling Lieblingsorte, um sich niederzulassen, immer mit der elterlichen Bitte an die Kinder: „Reißt die Blüten nicht ab! Haram – es wäre schade darum! Sie werden sich innerhalb von Tagen in solch köstliche Früchte wie Aprikosen, Maulbeeren, Pflaumen, Kirschen, Pfirsiche und leckere Walnüsse verwandeln.

Die Tage blättern weitere Seiten der Zeit um: der Krieg kommt und verwandelt die restlichen Grünflächen der Ghuta in Schlachtfelder. Er zerstörte ihre Häuser, verbrannte was von ihren Bäumen übrig war und lies sie zu einem Versteck für jegliche Art von Waffen werden. Dieser Ort ist nicht mehr eines jener Paradiese der Erde, welches die Dichter besangen, in dessen Beschreibung die Schriftsteller wetteiferten und das die Menschen in vollen Zügen genossen.

Ihr Wehklagen hallt von weither: „Ich bin die Braut von Damaskus, warum nur habt ihr mich gezwungen mein grünes Kleid abzulegen! Ich bin eure Lunge, erklärt mir doch woher ihr frische Luft bekommt ohne mich! Ich ernährte und sättigte mich vom Wasser des Baradas, um euch dann die Früchte meiner Anstrengung zu schenken und mit köstlicher Nahrung, mit Gemüse und Obst, zu speisen und Duftpflanzen zu geben. Ich ließ mich weder von dem Reichen noch dem Armen vereinnahmen – ich war für alle gemeinsam da. Solange du Damaszener*in bist, sollst du mich besuchen, denn ich fülle wahrlich deine Lungen mit der Luft, mit der du die kommende Jahreszeit hindurch überlebst. Ich bin die Ghuta von Damaskus, deren Reinheit die Seelen mit Freude, Glück und Zufriedenheit erfüllt hatte und nun von Giften überwältigt worden ist.

Aber nun gut, ich habe noch immer genug Erinnerungen, die mich in meinem Kummer trösten. Und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass ihr eines Tages zu mir zurückkehren werdet, nachdem ich mein grünes Kleid wieder zurückbekommen habe.“

Die syrischen Kuppelhäuser – Wiederbelebung einer Jahrtausende alten architektonischen Tradition

von Houda Kassatly

Der Krieg in Syrien, der dem Land und vielen archäologischen Stätten irreparable Schäden zugefügt hat, zerstörte zugleich besondere Traditionen der Architektur, so unter anderem jene der Kuppelhäuser.

Beinahe jedem westlichen Reisenden, der Syrien während der letzten 200 Jahre besuchte und darüber berichtete, waren die bienenkorbartigen Häuser mancher Regionen und ihre pittoreske Schönheit aufgefallen. Komplett aus luftgetrockneten Ziegeln mit örtlichem Lehm errichtet, stellen sie auch eine nachhaltige Bauweise dar.

In weiten Teilen Syriens waren Kuppelhäuser die übliche Bauweise im 19. und 20. Jahrhundert. Sie fanden sich östlich von Homs bis südlich von Aleppo nahe dem Jabbul-Salzsee und sowie von ar-Raqqa am Euphrat in nördliche Richtung bis in die Kobane- und die türkische Harran-Region. Kuppelhaus-Dörfer liegen auch am Rande der Syrischen Wüste (Badiya), wo ein Dorf wie Shaykh Hilal östlich von Salamiyya heute noch viele bewohnte Kuppelhäuser aufweist. Es sind dies Regionen, wo Bauern und sesshaft gewordene Nomaden leben, welche eine bescheidene Landwirtschaft betreiben.

Spätestens seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts verlassen viele Bewohner die Region auf der Suche nach besseren Einkommensmöglichkeiten und aus vielen anderen Gründen. Wenn deren Häuser nicht mehr unterhalten werden und leer stehen, stürzen die Kuppeln irgendwann ein. Andere Häuser sind dagegen immer noch bewohnt. Die Kenntnisse über den Kuppelbau sind in Gefahr zu verschwinden, obwohl diese Konstruktionstechnik über Jahrtausende in der Großregion verankert war.

Deserted houses in Jabal al-Hus south of Aleppo
Verlassenes Dorf südlich von Aleppo – © Houda Kassatly (CC-BY-NC-ND)

Als ich im März 2018 in die ländliche Region südlich von Aleppo reiste, stieß ich auf mehr verlassene und geisterhafte Dörfer als mir vor dem Krieg bekannt waren. Die Kuppelhäuser lagen in Ruinen – Opfer eines seit acht Jahren anhaltenden Konflikts. Diese Beobachtungen zeigten mir die Dringlichkeit, eine Strategie zur Rettung dieses Architekturerbes zu entwickeln. Deshalb entschloss ich mich, eine Baustelle für ein Kuppelhaus einzurichten. Dieses Vorhaben sollte vor allem zwei Zielen dienen: Erstens soll das Wissen über diese Art der Wohnform erhalten und aufgezeichnet werden. Zweitens soll demonstriert werden, dass der Bautyp des Kuppelhauses an die Bedürfnisse der heutigen Welt angepasst werden kann.

Aus Sicherheitsgründen war es notwendig, dass ich eine solche Baustelle im Libanon einrichtete, wo wir auf dem Gelände des Zentrums der Nicht-Regierungsorganisation (NGO) „arcenciel“ im Ort Taanayel in der Bekaa-Ebene bauen konnten. Dort haben wir mit Hilfe von syrischen Maurern ein Kuppelhaus errichtet. Wir standen bei der Realisierung dieses Projekt vor dem Problem, einen Maurermeister zu finden, der diese Baupraktik noch beherrscht, zumal in den letzten 50 Jahren nur noch wenige Kuppelhäuser gebaut worden waren. Der Einrichtung der Baustelle ging ein Untersuchungs- und Interviewprozess voraus. 

The general structure of the example dome house in Taanayel (Libanon) before the end of the construction process
Struktur eines Kuppelhauses in Taanayel kurz vor dem Ende des Bauprozesses – © Houda Kassatly (CC-BY-NC-ND)

Im Libanon sind die syrischen Flüchtlingslager entsprechend der geografischen und familiären Herkunft der Zeltbewohner unterteilt. Sie waren bei unseren Recherchen eine wesentliche Quelle, um ein Team von Arbeitern zusammen zu stellen. Das Team bestand aus Leuten, die mit dieser Architekturform vertraut waren und das Projekt durchführen konnten, weil sie die traditionellen Bau- und Konstruktionspraktiken noch kannten.

So kam es, dass Ende Oktober mit finanziellen Mitteln des Cultural Protection Funds des British Council ein mit zwei Kragkuppeln bekröntes Haus das Licht der Welt erblickte – dank der Zusammenarbeit von zwei Architekten, einem Ethnologen, einem Maurermeister und zehn Arbeitern. Ein Handbuch für die Konstruktion, d.h. eine praktische Bauanleitung, wird derzeit erstellt und auf der Webseite von „arcenciel“ veröffentlicht werden. Sie soll jedem, der ein Kuppelhaus bauen möchte, als Anleitung dienen.

Auch wenn der Wert einer solchen Bauanleitung unbestritten sein mag, stellt sich dennoch am Ende des Projekts die Frage nach der Zukunft dieser Architektur.

Im Falle einer Rückkehr nach Syrien werden die Bewohner der betroffenen Dörfer mit vielen gravierenden Problemen konfrontiert sein. So zunächst die Frage der Rückkehr selbst, die für manche Bewohner unumkehrbar sein könnte, da sie nicht mehr in den Libanon werden einreisen können. Aus manchen Familien werden Einzelne vorab zurückkehren, um für die Behausung der ganzen Familie zu sorgen. Eine Rückkehr kann für manche nur unter der Voraussetzung stattfinden, dass eine politische Lösung für die Rückkehr von Regimegegnern gefunden und die Region entmilitarisiert wird.

Ein Kuppelhaus in Taanayel: Der Bau der Kuppel
Ein Kuppelhaus in Taanayel: Der Bau der Kuppel – © Houda Kassatly (CC-BY-NC-ND)

Generell ist zu befürchten, dass die Architekturform des Kuppelhauses gar nicht in Betracht gezogen wird. Dafür gibt es praktische Gründe, da die Wissensvermittlung vom Meister an den Lehrling abgerissen ist und die letzten mit Kuppelbau vertrauten Meister verschwunden sind. Oder weil konstruktive Probleme beim Bau einer Kuppel durch Ungelernte auftauchen. Außerdem waren die Menschen über viele Jahre hinweg von ihrem kulturellen Erbe getrennt und haben andere Hausformen kennengelernt. Dies trifft in besonderem Maße auf die junge Generation zu, die von der traditionellen Architektur abgeschnitten und entfremdet aufgewachsen ist und sich deshalb nur schwer damit identifizieren kann.

Auch wenn man zum jetzigen Zeitpunkt die Geschehnisse nicht vorhersagen kann, wird die Rückkehr wahrscheinlich unter schwierigen, von Armut geprägten Bedingungen vonstatten gehen. Viele der rückkehrenden Geflüchteten werden vermutlich keinen Zugang zu industriell gefertigten Baumaterialien haben, da diese zu teuer geworden sind. Unter dem Druck, so schnell wie möglich eine Unterkunft zu finden, werden sie notwendigerweise auf die verfügbaren lokalen Materialien zurückgreifen müssen. Das sind an erster Stelle aus Erde gewonnene Baumaterialien; sie könnten die einzige Möglichkeit sein, sich eine Wohnstätte zu errichten.

Der Bau von Lehmziegelhäusern mag durch Not diktiert sein. Wenn die Baumeister aber zeitgemäße Lösungen und Praktiken vorschlagen, die den modernen Bedürfnissen vor allem der jungen Generation entsprechen, könnte das Leben in diesen Häusern nicht mehr als Zwang empfunden, sondern als bewährte Wohnform anerkannt werden. Der syrische Lehmbau kann damit eine Antwort liefern auf die Herausforderungen unserer Zeit.

Links zum Thema:

http://arcenciel-en.org/2018/06/05/chantier-de-construction-dune-maison-a-coupoles/

https://www.britishcouncil.org/arts/culture-development/cultural-protection-fund/dome-houses-syria

Autorenschaft von Huda Kassatly Anthropologin, Dokumentaristin und Fotografin mit Abschluss in Philosophie aus Libanon

Die Hanania-Kirche – Das Haus Hanania und der Beginn des Christentums in Syrien

von Jihad Sulaiman

Es gibt viele Geschichten, deren Ursprung in Damaskus liegt und die ihren Weg in die ganze Welt gefunden haben.

Eine von ihnen kommt aus dem Hause Hanania. Dort ließ Saul (2–64 n. Chr.) sich von Hanania – einem Jünger Christi – taufen, obwohl er vorher einer der größten Verfolger der Urchristen gewesen war. Nach einer heiligen Vision (Offenbarung) verbreitete er jedoch, unter dem Namen Apostel Paulus, die Botschaft der „neuen Religion“ bis nach Rom, bevor er dort für seinen Glauben starb.

Nach der Apostelgeschichte beginnen die Ereignisse in Tall Kawkab. Dieser Ort liegt ca. 15 km südlich von Damaskus an einer historischen Straße, die von Palästina nach Damaskus führt. Saul hatte den Auftrag vom Hohepriester, die Anhänger Jesu Christi in Damaskus zu verfolgen und zu verhaften. Auf dem Weg dorthin verlor Saul sein Augenlicht. In Tall Kawkab erhielt er eine Vision und suchte dann nach Erlösung bei Hanania. Durch die Taufe von Hanania fand er Erlösung und erlangte sein Augenlicht wieder.

Die Treppe in die Ananias-Kapelle im Bab Tuma-Viertel
Die Treppe in die Ananias-Kapelle im Bab Tuma-Viertel – © Jihad Suliman (CC-BY-NC-ND)

IIn der Altstadt führt heute der Weg vom östlichen Stadttor zum Haus des Hanania durch die Hanania- Gasse, die von kleinen, eng aneinandergereihten damaszener Häusern gesäumt ist. Man gelangt über das Kirchentor zu einem kleinen Hof, in dem Statuen stehen. Eine zeigt die Taufe Sauls durch Hanania, während die andere Hanania darstellt, wie er seine Arme zum Himmel erhebt. Nordöstlich im Hof befindet sich eine schmale Tür. Dahinter führt eine kleine Steintreppe zu einer fünf Meter tiefen, unterirdischen Höhle, welche die Hanania-Kirche bildet. Diese ist in zwei Bereiche unterteilt. Der nordöstliche Bereich bildet das Hauptschiff der Kirche.

Die Apsis der Ananias-Kapelle im Viertel Bab-Tuma
An der Wand der überwölbten Apsis befinden sich drei Bilder, die aus der Geschichte des Apostels Paulus erzählen – © Jihad Suliman (CC-BY-NC-ND)

Nordwestlich davon befindet sich eine kleinere Nebenkammer. Der Boden ist mit großen gestreiften Fliesen belegt, die durch schwarze Fugen miteinander verbunden sind. Im Hauptschiff stehen an beiden Seiten parallel aufgereiht Holzbänke. In trübem Licht hängen in der Altarnische der Steinkirche drei Gemälde. Auf dem ersten Gemälde ist die Vision Sauls abgebildet, bei der er sein Augenlicht verliert. Ein anderes Gemälde zeigt Hanania, der seine Hand auf Saul legt, damit dieser sein Augenlicht wiedererlangt. Das dritte Gemälde stellt die Flucht des Apostels Paulus dar, wie er in einem Korb die Stadtmauer heruntergelassen wird, nachdem er wegen seines Glaubens verraten wurde.

Die faszinierenden Gemälde und die Atmosphäre in der Kirche lösen beim Besucher ein Bedürfnis aus, mehr über die Geschichten und Reisen des Apostels Paulus zu erfahren und regen an, neue Fragen zu stellen. Viele dieser Fragen werden auf anderen Bildern in der kleinen Kammer beantwortet. Die Gemälde hier erzählen vom religiösen Leben des Apostels Paulus und seinen vier Reisen in den Jahren von 46 bis 62 n. Chr. nach Jerusalem, Antakya (Antiochia), Zypern, Griechenland und Kreta. Seine letzte Missionsreise endete in Rom tödlich durch das Schwert Neros. 

Ananias-Kapelle im Viertel Bab Tuma, Bilderreihe mit Motiven aus dem Leben des Paulus in der
Ananias-Kapelle im Viertel Bab Tuma, Bilderreihe mit Motiven aus dem Leben des Paulus – © Jihad Suliman (CC-BY-NC-ND)

In seinem Buch „Der orientalische Schrank“ erwähnt der Autor Habib Zayyat, dass die Kirche Hananias über einem heidnischen Tempel erbaut wurde. Die Kirche entstand während der Herrschaft des umaiyadischen Khalifen Walid ibn ʿAbd al-Malik. Heute zählt sie zu den ältesten christlichen Kirchen der Welt und ist die zweitälteste Kirche in Damaskus. Nach den Angaben des Forschers Habib Salloum wird jedoch davon ausgegangen, dass die derzeitige Kirche der Keller des Hauses Hanania war. Eine andere Vermutung ist, dass sie einst auf Ebene der römischen Straße gebaut wurde.

An der Geschichte des Apostels Paulus Interessierte können heute noch drei weitere Orte in Syrien besuchen: Die Kirche der Offenbarung in Tall Kawkab, die St. Paul Kirche im Damaszener Stadtviertel Bab Kisan (dort wurde er während seiner Flucht in einem Korb aus einem Fenster die Stadtmauer herunter gelassen) sowie die zweite nach Hanania benannte Kirche in der Qurashi-Gasse im Damaszener Viertel al-Midan. Laut Legende befindet sich hier eine Ecke, aus der heiliges Öl tropft. Dies stärkt die Vermutung, den Glauben, dass sich dort das Grab Hananias befindet.


Das Dorf Shaykh Hilal- Architektonisches Erbe in der syrischen Steppe (al-Badiya)

von Mohamed al-Dbiyat

Das Dorf von Shaykh Hilal liegt in der Provinz Hama am Rande der Badiya (Steppe), 55 km nordöstlich der Stadt Salamiyya. Es liegt am wichtigen Verbindungsweg nach ar-Raqqa, der von Zentralsyrien in die Euphrat-Gegend und den Landstrich der Jazira im Nordosten Syriens führt. Das Dorf liegt in einem semi-ariden Gebiet mit einem durchschnittlichen Niederschlag von 200 mm, das die westliche Grenze der Steppe bildet.

Historisch liegt das Dorf auf Ruinen eines byzantinischen Städtchens, das seine Blüte bis ins 9. Jahrhundert n. Chr. hatte. Die Ruinen befinden sich im östlichen Teil des Dorfes und sind heute noch durch Erdhügel erkennbar. Die archäologischen Überreste, welche hier und dort verstreut sind sowie der – von den Bewohnern „Burg“ genannte – archäologische Hügel (Tall) spiegeln die alte, historische Vergangenheit der früheren Stadt wider. Das heutige Dorf Shaykh Hilal hatte im Jahr 2007 laut einer Feldstudie unserer „Vereinigung der Freunde Salamiyyas“ etwa 700 Einwohner (150 Familien).

Wiederbesiedlung des Dorfes

Die mongolischen Invasionen des 14. Jahrhunderts führten zur Abwanderung der städtischen Bevölkerung vom Rande der Badiya.  Erst nachdem die Gegend im 18. und 19. Jahrhundert von Nomadenstämmen erobert wurde, begann wieder eine Rücksiedlung in die Dörfer, wie zeitgenössische Reisende berichten.

Am Ende der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts förderten die Osmanen die Besiedlung der Badiya, der Euphrat-Gegend und der syrischen Jazira, um die Herrschaft des Osmanischen Reiches zu stärken und den Getreideanbau nach Osten auszudehnen Dies diente der Verbesserung der desolaten wirtschaftlichen Lage. Im Rahmen dieser Politik siedelten sich im Jahre 1920 die aus dem Küstengebirge (vor allem den Orten al-Qadmus und Masyaf) stammenden  Migranten ismailitischen Glaubens im Dorf Shaykh Hilal an. Unter ihnen waren vor allem arme Bauern, die auf eigenem Land sesshaft werden wollten.

Die neuen Siedler übernahmen aufgrund der geeigneten Bodenbeschaffenheit in dieser Gegend die seit der Antike in der syrischen Dorflandschaft verbreitete Lehmbauweise. Sie ist bis heute typisch für die Bauweise der Kuppelhäuser. Für den Bau ihrer neuen Unterkünfte nutzten die Einwohner auch die steinernen Überreste alter Häuser.

An aerial photograph of the village of Shaykh Hilal
Luftbild des Dorfes Shaykh Hillal 2005 – © Mohamed al-Dbiyat (CC-BY-NC-ND)

Die städtische Struktur von Shaykh Hilal besteht aus Häusern mit flachen, kegelförmigen oder gewölbten Räumen, die alle aus luftgetrockneten Lehmziegeln bestehen, welche aus Heu und Lehm hergestellt werden. Die Verteilung der Häuser basiert auf dem Schachbrettmuster. Dies entspricht in gewisser Weise der Anlage einer antiken Stadt. Die Räume oder Kuppeln der Häuser liegen um einen geschlossenen Innenhof. Dieser ist groß und geräumig und mit einem Brunnen, einem Hausgarten oder umfriedeten Bereichen für die Aufzucht von Schafen oder Geflügel ausgestattet.

Laut der im Jahr 2007 von der „Vereinigung der Freunde Salamiyyas“ durchgeführten Erhebung umfasste das Dorf 348 Kuppeln (d. h. Räume), von denen 30% in gutem Zustand waren und deren Häuser bewohnbar waren. Von den 133 Häusern des Dorfes waren 45 Häuser verlassen. Aufgrund der klimatischen, ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ist der Baustil, Lehmziegel auf den Fundamenten alter Steinruinen zu verwenden, in armen Gegenden sehr verbreitet.

Die Gestaltung der Kuppeln variiert in Größe, Höhe und Aussehen. Die Höhe einiger Kuppeln kann bis zu 5 Meter betragen, wobei sich jeweils eine Holztür und kleine Öffnungen im unteren Bereich befinden, um eine natürliche Belüftung zu ermöglichen. An der Außenseite der Kuppel sind in regelmäßigen Abständen flache Steine hervorgehoben. Während periodischer Wartungs- und Restaurierungsarbeiten, bei denen die Kuppel zum Schutz und zur Verschönerung mit weißem Kalk überzogen wird, erleichtern diese den Zugang zum oberen Bereich. Alles in allem sind die meisten Häuser außen wie innen bescheiden eingerichtet. Ausnahmen bilden einige große Häuser. Diese verfügen über ein oder zwei Räume aus Zement oder Stein.

Wirtschaftsleben in Shaykh Hilal

An aerial view of a water canal in the village of Shaykh Hilal
Luftbild von einem Wasserkanal im Dorf Shaykh Hillal – © Mohamed al-Dbiyat (CC-BY-NC-ND)

Das Dorf erstreckt sich über eine Fläche von ca. 3300 Hektar. Die wirtschaftliche Tätigkeit der Dorfbewohner (Gerstenanbau) stützt sich auf die Regenfeldwirtschaft und die künstliche Bewässerung, die die Besiedelung der Gegend gefördert hat.

Die drei unterirdischen, aus der byzantinischen und abbasidischen Epoche bestehenden Wasserleitungen (welche auch als römische Kanäle bezeichnet werden und im arabischen Maghreb als Foggara-Bewässerung bekannt sind) wurden für die Bewässerung der Felder genutzt. Die regelmäßigen Reinigungen und Wartungen durch die Dorfbewohner ermöglichten eine Nutzung bis Ende 1940. Der Einsatz mechanischer Pumpen beendete die kollektive, umweltfreundliche Nutzung des Grundwassers durch die Dorfgemeinschaft.
Vieh und Schafzucht sind ein weiterer wichtiger Wirtschaftszweig des Dorfes.

Die landwirtschaftliche Nutzung der Badiya wurde 1995 durch die syrische Regierung verboten, da diese als Ursache für die fortschreitende Wüstenbildung verantwortlich gemacht wurde. Dies führte zu einem Bevölkerungsrückgang um die Hälfte. Im Jahre 2007 zählten zur arbeitenden Bevölkerung in öffentlichen Einrichtungen (Schulen, Apotheken, Stadtverwaltung) oder anderen staatliche Einrichtungen in der Badiya nur noch die 700 Einwohner im Dorf. Um die Lebensgrundlage in Shaykh Hilal zu verbessern, startete deshalb im Jahre 2008 die „Vereinigung der Freunde Salamiyyas“ (Gründung 2006) ein Entwicklungsprojekt. Die Idee wurde von den Dorfbewohnern und auswärtigen Unterstützern, insbesondere der Schweizerischen Entwicklungsagentur (DEZA) und der französischen „Katholischen Vereinigung zur Bekämpfung der Armut“, sehr begrüßt.

Domed house in the village of Shaykh Hilal
Kuppelhäuser im Dorf Shaykh Hillal 2009 – © Mohamed al-Dbiyat (CC-BY-NC-ND)

Ein einzigartiges Projekt

A group of domed houses in the village of Shaykh Hilal
Kuppelhaus im Dorf Shaykh Hilal, 2009  – © Mohamed al-Dbiyat (CC-BY-NC-ND)

Der Schwerpunkt des Projekts lag auf solidarischem Tourismus, der Unterstützung kleinerer Projekte und dem Schutz des architektonischen Erbes des Dorfes. Dank seiner geographischen Lage an der Grenze der Wüstensteppe und der Schönheit seiner Lehmarchitektur ist die Gegend bei Touristen sehr beliebt. Das Projekt begann mit der Renovierung von 12 Kuppeln in 6 Häusern, die außerdem mit modernen Bädern ausgestattet wurden. Dies ermutigte die Dorfbewohner, sich um ihr architektonisches Erbe zu kümmern.

Während der Saison der ersten drei Jahre  (bis zum Jahr 2010) empfing das Dorf 537 syrische und ausländische Touristen (hauptsächlich aus Frankreich und Italien). Zu Beginn des Projekts stellten 6 Familien ihre Kuppelhäuser zu Verfügung, in denen in den ersten sechs Monaten des Projekts (2007) Besucher 757 Nächte verbrachten. Die Zahl der Touristen stieg seit 2008 kontinuierlich an: 41 Besucher/Innen im Jahr 2008, 158 Besucher/Innen im Jahr 2009 und 335 Besucher/Innen im Jahr 2010. Durch die tragischen Ereignisse in Syrien, die bis heute andauern, wurde das Projekt im Jahre 2011 eingestellt. Nachdem das Gebiet zum Schauplatz des Konflikts zwischen den verschiedenen Kräften wurde, verließ die Bevölkerung die Gegend, obwohl der Konflikt das Dorf nicht direkt erreichte und die Häuser nicht beschädigt wurden.

Das Dorf Shaykh Hilal ist ein wichtiges Beispiel für die Entwicklung der Lehmarchitektur in Zentralsyrien und zeigt, dass das kulturelle Erbe alter Zivilisationen noch lebendig ist. Das von unserer Institution gestartete Entwicklungsprogramm beinhaltet den Versuch, ein neues Gebäude mit hoher Umweltqualität zu entwickeln, das auf der Verwendung lokaler Materialien basiert, indem alte Erfahrungen und traditionelle Bautechniken wiederbelebt werden. Die Wahl des Baustoffs Lehm und seine Einführung in den Bauprozess verdeutlichen die zahlreichen Vorteile dieses Materials: Die kreative Zusammenführung moderner und traditioneller Techniken; die Möglichkeit, die für alle zugängliche Lehmarchitektur aufzuwerten; den respektvollen Umgang mit der Natur; und den Anspruch, die Anforderungen des ästhetischen und modernen Lebens zu erfüllen.

Die Wasserräder des Orontes in Syrien

von Mohamad al-Dbiyat

„In der zauberhaften Stadt Hama hindert den Betrachter alles daran, an irgendetwas zu denken … Große, drei- oder vierstöckige Wasserschöpfräder (Norias) leiten das geschöpfte Wasser in der Luft zu höher gelegenen Bewässerungskanälen, die aus Steinen bzw. Holz gebaut sind, um die umliegenden Obstplantagen zu bewässern.
Die von den Norias erzeugten langen Melodien verbreiten sich über den Äther … ein vergessener Traum am Flussufer und Teil eines Gedichts, das melodisch mit einem einfachen Musikinstrument aus Liebe und Unbekümmertheit zum Ausdruck gebracht wird. Es ist die Inspiration des aus der immergrünen Natur erklingenden Vogelgezwitschers. Das azurblaue Konstrukt aus dem Reich der Phantasie ist aus zerbrechlichem Material gefertigt worden .Es entzieht sich unserer Kenntnis, wer es errichtet hat und was der Sinn seiner Errichtung ist. Eines aber wissen wir: sein Gleichgewicht kann es nur mit der Kraft der Träume aufrechterhalten.

Das ist die fantastische Beschreibung der Norias durch die Brüder Tharaud in ihrem Buch „Der Damaskus-Weg“ (Le chemin de Damas), erschienen in Paris im Jahr 1923. Es ist seit jeher die bekannteste Beschreibung der Schönheit und Großartigkeit der Norias in der Stadt Hama.

Hölzerne Wasserschöpfräder am Orontes (Nahr al-Asi) fanden sich früher nicht nur in Hama. Im gesamten Verlauf des Flusses waren früher 80 Norias in Betrieb.

Der Fluss Orontes entspringt einer Quelle im Libanon und fließt dann in nördlicher Richtung durch die mittlere Ebene von Syrien. In der Nähe der Stadt Antakya verändert der Orontes seine Flussrichtung nach Westen und mündet dann bei Samandag ins Mittelmeer. Die Mehrheit der Norias jedoch waren in der Umgebung von Hama angesiedelt.

Es waren die Araber, die diese Konstruktion, die aus einem Wasserschöpfrad besteht,  als Noria bezeichneten. Es ist nicht bekannt, wann Norias erfunden worden sind. Ein Mosaikbild aus der Stadt Apameia (Afamiya) aus dem Jahr 469 n. Chr. belegt, dass die Wasserschöpfräder bereits in byzantinischer Zeit bekannt waren.

Noria (Wasserschöpfrad) in Hama
Noria (Wasserschöpfrad) in Hama | Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)

Die Norias: ein exzellentes hydraulisches System

Seit der Urzeit war der Mensch auf der Suche nach effizienten Wasserschöpfsystemen für Flusswasser zur Deckung seiner alltäglichen Bedürfnisse und insbesondere zur Bewässerung der Ackerflächen. Anfangs benutzte der Mensch primitive Geräte wie Kübel und Tröge. Danach entstand der Bedarf an Energie zum Antrieb von Wasserschöpfgeräten. Das Tier stand als einzige Quelle für diesen Zweck zur Verfügung.

Der Quantensprung bei der Wasserschöpftechnik wurde durch den Einsatz von kostenloser Wasserenergie mithilfe von Wasserkübeln bzw. Wasserkästen, also des Prinzips der Noria, am Orontes erzielt. Das eigentliche Bewässerungssystem, das durch die Norias ermöglicht wird, beginnt bei der Stadt Rastan (Mittelsyrien) auf halbem Weg zwischen Homs und der nördlich gelegenen Stadt Hama. In diesem Gebiet bahnt sich der Orontes seinen Lauf durch die Kalksteinschichten des zentralen syrischen Plateaus. Hier wird eine einfache Bewässerung unmittelbar aus dem Fluss zu einem unmöglichen Unterfangen; die Norias boten eine machbare Lösung zur Nutzung des Wassers.

Das alte Norias-Hydrauliksystem ist das am besten entwickelte Bewässerungssystem in der Geschichte Syriens. Diese Erfindung ist von höchster Bedeutung für die notwendige Bewässerung angesichts des durch sommerliche Trockenheit gekennzeichneten mediterranen Klimas. Darüber hinaus ist dieses System für die Wasserversorgung der am Flussufer liegenden Städte lebensnotwendig.

Hama, Stadt der Norias

Hama ist eine der alten syrischen Städte entlang des Orontes. Sie wird auch als Stadt des Geographen Abu al-Fidaʾ (1273–1331) bezeichnet, der die Stadt von 1310 bis 1331 n. Chr. regierte. Die Vielzahl der Wasserschöpfräder hat der Stadt den weiteren Beinamen „Die Stadt der Norias“ beschert. Auf zwei Kilometern verteilen sich entlang des Flusses 16 Norias, die die Felder auf beiden Flussseiten bewässern, wodurch an vielen Stellen ein breites Flussufer entsteht. 

Norias werden mit der Wasserkraft des Flusses angetrieben. Die hölzernen Schöpfräder der Norias sinken in das Flussbett. Zur Beschleunigung ihrer Umdrehung werden kleine abgeschrägte Dämme vor sie gebaut, um so das Wasser zu stauen und schnell in die sogenannten Buchten fließen zu lassen. Das Wasser trifft mit Wucht in die einzelnen Schöpfkästen, sodass die großen Wasserräder sich drehen und das Wasser darin nach oben tragen. Sobald sie den höchsten Punkt erreicht haben, entleeren sich die Kübel in große offene Wasserleitungen (Viadukte). Diese Viadukte führen dann das Wasser zu den höher gelegenen Feldern.

Die Durchmesser der Norias in Hama schwanken zwischen 5 und 12 Metern. Jedes Wasserrad hat zwischen 50 und 120 Wasserkübel. Das größte Wasserschöpfrad am Orontes erreicht einen Durchmesser von 22 m und erhielt von den Bewohnern Hamas den Namen “al-Muhammadiyya”.

Blick auf die Nuri-Moschee und die Kilaniyya Norias (Wasserschöpfräder) in Hama
Blick auf die Nuri-Moschee und die Kilaniyya Norias (Wasserschöpfräder) in Hama | Peter Heiske (CC-BY-NC-ND)

Eine im Jahr 1930 durchgeführte Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein einzelnes Wasserrad bei Höchstleistung 45 Liter Wasser in der Sekunde transportieren kann. Diese Wassermenge ist ausreichend, um Ackerböden einer Fläche von 25 Hektar zu bewässern. Um die reibungslose und wirkungsvolle Leistung der Wasserschöpfräder aufrechtzuerhalten, müssen diese alle zwei Jahre gewartet und gegebenenfalls einige der Schöpfkästen ausgetauscht werden. Der Fachbegriff für diese turnusmäßigen Wartungsarbeiten ist „kashta“, womit das Abnehmen aller Holzteile gemeint ist.

Eine Noria-Anlage kann aus einem einzelnen oder einem doppelten Wasserschöpfrad bestehen, d. h. zwei Holzräder werden auf dem kleinen Wasserstaudamm angebracht. Manchmal befinden sich Norias auf gegenüberliegenden Uferseiten, um die Kraft des von den kleinen Staudämmen aufgestauten Wassers optimal ausnutzen zu können. Bei mehr als drei Wasserschöpfrädern am gleichen Staudamm spricht man von einer Batterie.

Die Norias werden ihrer Funktion entsprechend in zwei Kategorien eingeteilt:
– Die ländlichen Wasserschöpfräder, die zur Bewässerung von Ackern gedacht sind, und
– die urbanen Wasserschöpfräder zur Bewässerung städtischer Pflanzungen, zur Trinkwasserversorgung und zur Versorgung öffentlicher Einrichtungen wie Moscheen, Badehäuser, Bazare, Parkanlagen etc.

Die Norias heute

Das traditionelle hydraulische System der Norias hat sich bis auf den heutigen Tag als als wirksame Methode einer umsichtigen Nutzung der Wasserressourcen erwiesen. So werden landwirtschaftliche Flächen bewässert und die Trinkwasserversorgung sichergestellt.

Diese technisch ausgefeilten und gleichzeitig ästhetischen Anlagen spielten eine wichtige Rolle in der ländlichen Entwicklung von Hama, bis Pumpen zu Anfang des 20. Jahrhunderts die Region erreichten. 

Seitdem sind viele der Wasserschöpfräder verschwunden. Diejenigen, die in Hama überlebt haben, werden ständig von den örtlichen Behörden betreut – sie sind zu einem Symbol der Stadt Hama und zu einem Erbe geworden, das geschützt wird; sie sind die bekannteste Touristenattraktion der Stadt.

Die Norias sind Teil eines Erbes, das den Einfallsreichtum der Einwohner der Region und ihre alte Erfahrung in der Anpassung an natürliche Widrigkeiten widerspiegelt.

ناعورة ريفية مهجورة على العاصي
Eine verlassene ländliche Noria | Mohamed al-Dbiyat (CC-BY-NC-ND)

Die klassische Aleppo-Seife und ihre Herstellung

von Rami Al-Afandi und Hiba Bizreh

Sie ist nicht wirklich schön, doch beflügelt ihr besonderer, von ihrem Duft und ihrer Farbe herrührender, Charme die Phantasie und versetzt das Herz und die Erinnerung von jedem Ort der Welt aus in den Drogistenmarkt mitten im Bazar von Aleppo. Oder aber ihr betörender Lorbeerduft entführt die Erinnerung auf eine Reise in die öffentlichen Bäder der Altstadt.

Aleppine Soap
Aleppo-Seife – © Jürgen Rese (CC-BY-NC-SA)

Es handelt sich hier um die Aleppo- bzw. Lorbeer-Seife mit ihrer einfachen Würfelform. Seit vielen Jahrhunderten ist Aleppo für die Herstellung berühmt. Diese traditionelle Handwerkskunst war eine der wichtigsten Wirtschaftszweige in Aleppo. Nirgendwo in Syrien wurde so viel Lorbeer-Seife produziert wie hier. Einige Aleppiner Familien waren berühmt für ihre Seifenherstellung in den Seifensiedereien, die in historischen Altbauten untergebracht waren. Die Herstellung erfolgte in örtlichen Manufakturen, die Bestandteile wurden aber aus verschiedenen Regionen Syriens beschafft.

Das Olivenöl, die Hauptzutat, stammt aus dem Westen und Norden von Aleppo, das Lorbeeröl, das der Seife den Duft und die grüne Farbe verleiht, stammt aus dem Küstengebirge: insbesondere aus dem Gebiet zwischen der Grenze zur Türkei bei Antiochia und Kassab. Für die Herstellung der Seife ist ein zudem alkalischer Stoff unbedingt erforderlich. Diesen gewinnt man durch das Einäschern der aus der syrischen Steppe kommenden Anabasis-Pflanze.

Trotz der großen Produktionsmenge hängt die Herstellung der Seife grundsätzlich von der Saison der Olivenernte ab. In der Regel liegt das sogenannte „Seifenkochen“ zwischen November und März oder April


Masbanat al-Jubayli, a soap cooking pot
Seifensiedebehälter in der aj-Jubayli Seifen-Manufaktur – © Jürgen Rese (CC-BY-NC-SA)

Zu Beginn des Mittelalters entstanden in Aleppo die ersten Seifensiedereien, insbesondere im Stadtteil Bab Qinnasrin. Dieses Gewerbe wurde später in den Nord- und Südwesten des Bahsita-Viertels verlegt, wo Olivenöl durch das Bab al-Jinan, das Jinan-Tor, angeliefert wurde. In der al-Masabin- (Seifensiedereien-) Straße, die vom Bab al-Jinan zur Zitadelle führt, befanden sich mehr als 20 Manufakturen. In nördlicher Richtung führte die Seifenstraße zu dem Seifensiederei-Viertel (Hayy al-Masabin), das im Jahr 1975 abgerissen wurde.

Im 16. bzw. 17. Jahrhundert erlebte Aleppo eine wichtige Veränderung bei der Seifenherstellung: Kleine Manufakturen wurden durch große ersetzt, die einen größeren Produktionsumfang gewährleisten konnten. Die meisten dieser Gebäude wurden nicht speziell für die Herstellung von Seife gebaut, sondern von den Seifenherstellern lediglich als Seifensiedereien genutzt. Das Erdgeschoss und die oberen Geschosse der Gebäude wurden entsprechend den Produktionsbedürfnissen umgebaut.

Diese Veränderungen an den Gebäuden machen es schwierig, eine spezielle Typologie der Seifensiedereien auszumachen oder deren Alter überhaupt zu erkennen. Dennoch gibt es einige Seifensiedereien, die seit dem 19.

Jahrhundert bestehen. Die Zanabili-Seifensiederei außerhalb des Bab an-Nasr, des Sieges-Tors, und die Jubayli-Seifensiederei im Bab an-Nasr-Viertel zählen zu den ältesten Produktionsstätten in Aleppo; sie gehen sogar zurück auf die Mitte oder das Ende des 18. Jahrhunderts.

Trotz des hohen Stellenwerts der traditionellen Seifensiedereien in Aleppo nahm deren Zahl in der Altstadt während des 20. Jahrhunderts stark ab, sodass sich heute nur noch sechs Seifensiedereien auf zwei Gebiete verteilen: Das erste ist am Bab Qinnasrin, wo sich die Manufakturen Sabuni und al-Jubayli befinden. Das zweite Gebiet ist am Bab an-Nasr, wo sich die beiden Seifensiedereien Zanabili und al-Jubayli und eine weitere Siederei der gleichnamigen Familie, neben der Madrasa ar-Ridaʾiyya, einer osmanischen religiösen Schule, befinden. Eine weitere Zanabili-Seifensiederei befindet sich direkt vor dem Bab an-Nasr. Die Familie Maqiad besitzt eine Seifensiedereien nordwestlich der Zitadelle. Schließlich ist die Seifensiederei Fansa von Khan al-Qadi erwähnenswert, die dann aber umgenutzt wurde.

Masbanat (soap factory) az-Zanabili, Aerial views of the courtyard and the domed first
Masbanat (Seifenfabrik) az-Zanabili, Luftaufnahmen des Innenhofs und der Kuppeln – © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

Die traditionellen Lorbeer-Seifensiedereien beschränkten sich nicht auf die Umnutzung alter Gebäude, viele der Aleppiner Seifenhersteller bauten moderne Einrichtungen, die sich in der ganzen Stadt ausbreiteten. Mit der Ausbreitung der Seifenfabriken widmeten sich neue Familien der Seifenherstellung, wie z. B. die Familien Salalahia, Hammami, Abaji, Abu Dan, Fattal und Khayyata.

Die Phasen des Herstellungsprozesses erfordern eine entsprechende Bauweise in den verschiedenen Abteilungen der Seifensiedereien, die sich in ihrer Größe voneinander unterscheiden. Die Eingänge sind jenen der Basare ähnlich. Sie haben häufig Tonnengewölbe, selten die Kreuzgewölbe. Man gelangt durch sie in einen rechteckigen Innenhof, von dem aus kleine Räume, in denen die Rohstoffe wie Lorbeer und alkalische Materialien, die aus der Verkohlung der Anabasis-Pflanze gewonnen werden, gelagert werden, zugänglich sind. Die Lagerräume werden durch Tonnengewölbe überdeckt.

Masbanat az-Zanabili, view of the courtyard and the northern courtyard facade
Masbanat az-Zanabili, Blick auf den Innenhof und die nördliche Innenhoffassade – © Lamia Jasser (CC-BY-NC-ND)

Der Heizraum befindet sich in einem Untergeschoss, das über eine Treppe im Innenhof zugänglich ist.

Die Seifenherstellung in den traditionellen Seifensiedereien kann nur mithilfe größerer Flächen stattfinden. Daher haben diese Bauten meist einen großen Innenhof, der von symmetrischen Arkaden umgeben ist, an die Hallen anschließen. Hier werden die riesigen Seifensiedebehälter mit der flüssigen Zutatenmischung der berühmten Seife gefüllt.

Im Erdgeschoss finden die meisten Arbeitsprozesse statt. Das obere Stockwerk ist auf eine einzige, aber wesentliche Aufgabe spezialisiert: das Trocknen der Seife. Der Architektur des Obergeschosses kommt daher besondere Aufmerksamkeit zu; es ist so angelegt, dass es eine optimale Belüftung der zu trocknenden Seifenstücke gewährleistet. Hier befindet sich eine Halle, die aus parallelen Säulenreihen mit Rundbögen und einem Giebel mit kleinen Belüftungsöffnungen besteht. Jeder Platz in diesem Stockwerk hat seine Funktion. Der Raum zwischen den Säulenreihen ist der ideale Ort, um die weiche Seifenflüssigkeit in die Form zu gießen und sie nach dem Ende des ersten Trocknungsprozesses von Hand zu schneiden. Zwischen den Säulen werden die würfelförmigen Seifenstücke in Form von schönen Türmen aufgestapelt, so dass die Luft alle Seiten der Seife erreichen kann. Dieser Ort duftet sechs bis neun Monate nach Lorbeer. Dies ist die zum Trocknen der Seife benötigte Zeit vor der Verpackung, dem Verkauf oder dem Transport.

Masbanat aj-Jubayli, the stage of arranging the soap to dry
Die Aleppo-Seife wird zum Trocknen gestapelt. (Aj-Jubayli Seifen-Manufaktur) – © Jürgen Rese (CC-BY-NC-SA)
Masbanat al-Jubayli, the soap bars are stacked decoratively on top of each other for drying
Masbanat al-Jubayli, die Seifenstücke werden zum Trocknen dekorativ übereinander gestapelt – © Jürgen Rese (CC-BY-NC-SA)

Der Irak war einer der wichtigsten Märkte für den Vertrieb der Aleppo-Seife. Der dortige Krieg hatte jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Exporte und führte zu deren Rückgang. Nichtsdestotrotz führte der Export dieser Seife auf den europäischen Markt zu einer Wiederbelebung des Handwerks. Obwohl der Krieg und die Krise in Syrien einige der traditionellen Seifensiedereien in der Altstadt zerstörten oder beschädigten, stellten die verbliebenen ihre Produktion nicht ein und behielten ihre angestammten Herstellungsmethoden stets bei.

Trotz aller die Seifenindustrie beeinträchtigenden Widrigkeiten haben die Aleppiner nie die Herstellung der Lorbeer-Seife vernachlässigt – sie ist nicht nur eine Einkommensquelle, sondern auch ein Kulturerbe, das eines der wichtigsten Handelszentren des Nahen Ostens auszeichnet.

Aleppo – ein globaler Raum an einem lokalen Ort

von Dima Dayoub

„Es ist gar nicht nötig, dass wir so sehr um eine perfekte Anpassung an vergangene Formen bemüht sind. Wir sollten lieber versuchen, deren Überreste zu nutzen, um die Vielschichtigkeit und Bedeutung  der Gegenwart zu erweitern. Der Gegensatz von alt und neu sowie die angesammelte Dichte der wichtigsten Elemente wird eines Tages eine Landschaft hervorbringen, über deren Tiefe keine andere Epoche verfügt. (Kevin Lynch, 1972)“ 

Durch meine berufliche Erfahrung als Architektin für Restaurierung und Rekonstruktion, die mehrere Jahre an Projekten in der Altstadt von Aleppo gearbeitet hat, und durch persönliche Beobachtungen als (ehemalige) Bewohnerin dieser Stadt habe ich in den Nachbarschaftsvierteln vor Ort Veränderung und Durchmischung erlebt.Die Bevölkerung, die typischerweise als konservativ beschrieben wird, war vielschichtigen neuen Formen städtebaulicher Eingriffe auf unterschiedlichen Ebenen gegenübergestellt

Das Stadttor Bab Qinnasrin, Außenansicht von Südwest
Das Stadttor Bab Qinnasrin, Außenansicht von Südwest – © Claus-Peter Haase (CC-BY-NC-SA)

as mag im Folgenden ein einzelner Tag in Aleppo (in der Zeit vor dem Krieg) illustrieren:

Wenn ich am Morgen durch das Bab Qinnasrin, eines der historischen Stadttore der Altstadt, über eine kopfsteingepflasterte Gasse laufe, um zur Baustelle zu gelangen, komme ich an einer kleinen Nachbarschaftsbäckerei vorbei. Hier kaufe ich warme Croissants, die genau wie in Paris schmecken – so behaupten es jedenfalls meine französischen Freunde, die in dieser Nachbarschaft lebten. Ich erreiche mein Ziel, ich muss mich bücken, um durch den kleinen Türeingang zu gelangen. Im offenen Innenhof des Wohnhauses beginne ich mit den Arbeitern eine Diskussion über die Entwürfe für ein Schwimmbecken. Nach den Wünschen des (ausländischen) Kunden soll dieses auf einem Teil des Dachs seines aus drei arabischen Häusern zusammengelegten Gästehauses, das er sich im Herzen der Altstadt einrichtet, gebaut werden.

A local bakery in the old city of Aleppo
Eine Bäckerei in der Altstadt von Aleppo– © Dima Dayoub (CC-BY-NC-ND)

Dieselbe Gasse beherbergt eine bezaubernde Überraschung, die allerdings von außen nicht bemerkbar ist – kein Schild weist auf das versteckte Boutique-Hotel hin. Das Gebäude, eine exklusive Oase mit exotisch ausgestatteten Zimmern, wurde im 16. Jahrhundert erbaut und zu seinem früheren Glanz restauriert. Ich hole mir mein Mittagessen bei einem bekannten Favabohnen- (Ful-) Lokal und schlendere durch eine enge Gasse, um zu unserem zweistöckigen Bürogebäude zu gelangen.  Hier nehme ich unter einem Zitronenbaum mein Mittagessen ein.

Traditional Aleppian house
Traditionelles Aleppiner Haus, 2011 – © Dima Dayoub (CC-BY-NC-ND)

Ich bringe meine Arbeit zu Ende und gehe zum Hofhaus meiner Freunde, wo ich in einer Atmosphäre voller Gelächter und Musik Sushi-Rollen zubereite. Ich frage mich, ob der Nachbar nebenan wohl zur gleichen Zeit Yabraq (gefüllte Weinblätter) aufrollt.

Später fahre ich zurück nach Hause, lasse die Altstadt hinter mir und komme in meinem neu errichteten, eintönigen Viertel auf der Westseite der Stadt an.

Meine Erzählung über einen einzelnen Tag soll Licht auf die unterschiedlichen Lebensstile und die Vielfalt werfen, welche in dieser historischen Stadt in der Zeit vor dem Krieg existiert hatten. Die lokale Gemeinschaft in den jeweiligen Nachbarschaftsvierteln brachte es  zu Wege, neue Kulturen und Lebensmuster aufzunehmen und sie ihren eigenen Bedürfnissen und Gebräuchen anzupassen, so wie dies auch bereits in der Vergangenheit gemacht worden war. Die lange Geschichte von Aleppo belegt dieses Phänomen  es ist in den vielen Siedlungsschichten aufeinander folgender Perioden zu finden, deren sichtbare Überreste überall im Stadtgefüge ablesbar sind. Manch einer wird diesem Prozess als Beeinträchtigung des baulichen Gefüges entgegentreten, während andere sein Einsetzen als Ergänzung zu den lokalen Besonderheiten betrachten. In beiden Fällen sollte es bei allen zukünftigen Bestrebungen, die Altstadt von Aleppo wieder aufzubauen, ein Anliegen sein, den Geist der reichen Vergangenheit unter fortgesetztem Bezug auf die Vielfalt und die kulturelle Verschiedenartigkeit des lokalen städtebaulichen Erbes zu erhalten; es wäre der Entwurf für ein einzigartiges, zeitgemäßes Image.

Ein restauriertes Aleppiner Haus im Stadtviertel al-Jallum
Ein restauriertes Aleppiner Haus im Stadtviertel al-Jallum – © Dima Dayoub (CC-BY-NC-ND)
Modernes Wohnviertel in Aleppo
Modernes Wohnviertel in Aleppo – © Dima Dayoub (CC-BY-NC-ND)