von Florence Ollivry
„Wer Tarbusche verkauft, verkauft keine Quaste“, sagt das Sprichwort. In Damaskus ist der Textilsektor durch eine extreme Spezialisierung der Berufe gekennzeichnet. Dem zugrunde liegt die Vielfalt und Komplexität der verschiedenen Stadien, in denen der Seidenfaden gewebt werden kann.Nach dem Aufwickeln wird der Faden in der Regel an einen Handwerker in Aleppo geschickt, der auf das Zwirnen und Doublieren von Seidenfäden (barim), spezialisiert ist. Dann kehrt der neue verstärkte Faden nach Damaskus zurück. Anschließend wird er in die Werkstatt von Abu al-ʿIzz gebracht, die in der Ghuṭa zu finden ist. Dieser Färber ist der einzige unter seinen Kollegen, der sich auf das Färben von Brokatfäden spezialisiert hat. Der Faden wird mehreren Bädern unterzogen: Scheuern, Färben, Veredeln durch Appretur. Zurück in der Fabrik wird er auf Spulen (bakarat) oder auf einer Haspel (masura) aufgewickelt. Die Kette wird auf der großen Schärmaschine (msddaya) vorbereitet. Die Kette wird dann auf den Kettbaum gewickelt, der sich auf der Rückseite des Webstuhls befindet. Die Kettsetzer (msaddi oder mulqi) oder der Zwirner (mubariz) installieren die Kette.
Die Moderne integrieren, ohne sich selbst aufzugeben
Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts lag die Organisation der Arbeit in Damaskus in der Verantwortung der Berufszünfte. Jede wurde durch einen Kodex oder Brauch (dustur) geregelt. Dieser umfasste auch Aufnahmeriten und war gegenüber Einflüssen von außen relativ verschlossen; so war die Weitergabe des Handwerks oft erblich. Indem sie den Wettbewerb innerhalb des Berufsstandes einschränkte, neigte diese Form der Organisation dazu, Innovationen zu behindern und die Techniken stagnieren zu lassen. Das Zusammenleben aller Handwerker desselben Gewerbes innerhalb eines Bezirks beförderte eher einen Sinn für Solidarität, und nicht den Geist des Wettbewerbs: Über Jahrhunderte hinweg gab es daher eine erstaunliche Stabilität der Produktionsmittel.
Ab Ende des 18. Jahrhunderts, als Europa sich immer mehr industrialisierte, wurde der syrische Markt von europäischer Seide überschwemmt und von ihr erschüttert. Die mächtige Handels- und Finanzorganisation der Lyoner Kaufleute förderte das Spinnen nach „europäischer Art” und entmutigte damit die Produktion von gesponnener Seide nach „arabischer Art”. Diese europäische wirtschaftliche und kulturelle Durchdringung führte zur tendenziellen Aufgabe der traditionell wallenden Bekleidung und damit auch zum Verschwinden bestimmter Stoffe.
Wie jedoch das von der Al-Qasimi-Familie verfasste Wörterbuch des Damaszener Handwerks belegt, widersetzte sich die dortige Gesellschaft dem Druck von außen: dem Eindringen neuer Techniken, ihrem sozialen Rahmen, ihren Gesetzen und ihrer Kultur. Sie machte sich aber die Elemente der Moderne, die sie bereichern konnten, zu Eigen ohne dadurch ihre lebenswichtige Organisation zu beeinträchtigen.
Durch die Nachfrage vor Ort nach „arabisch gesponnener“ Seide hat das syrische Kunsthandwerk altertümliche Techniken in den Spinnereien erhalten; sein Bedarf ließ einen Teil der Kokons aus dem Kreislauf des Großhandels herausfallen, was die Verbreitung der Spinnerei „auf europäischen Art“ behinderte. Die mächtige Bedürfnisgemeinschaft, die Handwerker und Käufer verband, blieb das Zeugnis einer starken kulturellen Identität. 1947 gab es in Aleppo noch 6.000 handbetriebene Webstühle, dagegen nur 1.500 mechanische Webstühle. Trotz der Einführung technischer Neuerungen blieben die Produktionsmethoden und Beziehungen eher traditionell.
Für Dominique Chevallier „hat die wirtschaftliche Innovation, die aus dem Ausland stammt, aber in ein klar definiertes menschliches und kulturelles Umfeld kommt, im Gegenzug zu einer beträchtlichen Stärkung dieses Umfelds geführt, das anfangs offenbar erschüttert war. Neue Grundlagen, Veränderungen, die sich sicherlich nicht vermeiden lassen, aber für eine Menschheit, die nicht verstanden hat, die ihre zukünftige Schöpfung nur in einer Kettenreaktion auf ihre vergangene Schöpfung akzeptiert hat…“ (Chevallier 1982, 157).
Bindungen aus Seide
Heute, wo kein Arbeiter sich mehr an korporative Initiationszeremonien erinnert, finden wir trotzdem noch traditionsbehaftete Grundprinzipien, die die verschiedenen Handwerker desselben Gewerbes miteinander verbinden (ḥirfa). Bis heute betrachten sich diese Weggefährten als echte Brüder, und der muʿallim (Meister der Kunst) wird wie ein Vater respektiert. Die Lehrzeit beginnt manchmal schon am Ende der Kindheit. In den ersten drei Jahren lernt der Neuling die Feinheiten des Handwerks kennen und erhält nur einen bescheidenen Lohn. Sein Verdienst wird erst allmählich steigen und am Ende seiner Laufbahn verfünffacht sein.
Das Fachgebiet jeder Person ist Teil eines gemeinsamen Ganzen. Seidenhandwerker arbeiten zusammen, um den gleichen Stoff zu weben. Die Summe ihrer Gesten, ihrer Arbeit, findet ihre Vollendung in der Begegnung von Kette und Schuss. Der Seidenstoff ist das Bild eines sozialen Bandes, eines sozialen Gefüges.
Seide hat diesem Textilvolk auch seine Namen gegeben. So ist die Erinnerung an das Handwerk eines entfernten Vorfahren väterlicherseits, der in der Textilindustrie arbeitete, noch in vielen Familiennamen ablesbar. Da im Damaskus des 18. Jahrhunderts ein Drittel aller Werkstätten und Geschäfte mit dem Textilgewerbe verbunden waren, finden sich heute noch häufig „textile“ Familiennamen und unterstreichen die Bedeutung dieser Tätigkeiten:
- Al-Mulqi (der Einzieher, der die Kettfäden durch die Litzen führt)
- Al-Msaddi (der Kettsetzer)
- Al-Fattal (der die Fäden als Stränge auf die Haspel bringt)
- Al-Ghaṭṭas (der die Fasern spült)
- Al-Ḥallaj (der Baumwollkardierer)
- Al-Khayyat (der Schneider)
- Ash-Shashati (der Gazehändler)
- Al-Mashshat (der das Gewebe kämmt)
- Al-Makkukji (der Schiffchenmacher)
- Al-Hayik (der Weber)
- As-Saqqal (der die Seide durch starke Walzen führt, um sie zum Glänzen zu bringen, Verb: calandrieren)
- At-Ṭayyar (der Drechsler)
- Al-ʿAqqad (der Zwirnhersteller)
- Al-Ghazzal (der Spinner)
- Al-Alajati (der Alaja-Verkäufer)
- Ash-Shammaʿ (Hersteller von Wachstuch)
- Al-ʿAbbaji (Hersteller von ʿabaya)
- Al-Qaṭṭan (der Baumwollverkäufer)
- Al-Lababidi (der Filzhersteller)
- Al-Qazzi (der Seidenraupenzüchter)
- At-Tabbaʿ (der Stempler)
- As-Sabbagh (der Färber)
- Al-Kabbaba (der Seidenhaspler)
- An-Nuwaylati (der Handweber oder Zugwebstuhlweber)
- Al-Ḥariri (der Seidenhändler, eigentlich: der Seidige)
Featured Image: Ein Schärer (al-msaddi) setzt die Kettfäden auf dem mechanischen Webstuhl | Florence Ollivry (CC-BY-NC-SA)
Autorenschaft von Florence Ollivry: In Syrien hat sich Florence Ollivry mit der Geschichte der Esskultur und der Seidenraupenzucht befasst. Sie ist Doktorin der Religionswissenschaften (Universität von Montréal; EPHE-PSL) und forscht derzeit über die mystische Dimension des Islam.