1. Die Kunst der syrischen Textilherstellung
  2. Ein Filzteppich von al-Bab
  3. Die Fäden des Lebens: Syrische Textilornamente
  4. Verborgene Persönlichkeiten: Die Frauen aus Duma
  5. Die Farbe, die ewig währt: Textildruck in Syrien
  6. Von Tieren und Pflanzen: Rohmaterialien für Textilien
  7. Ein Blick in die Welt des syrischen Seidenbaus
  8. Einblicke in das jahrhundertealte Seidenhandwerk Syriens
  9. Was bleibt von der Seidenstraße?
  10. Menschen der Wüste: Die Kleidung der Beduinen
  11. Teppiche aus Raqqa: Eine Erinnerung
  12. Traditionelle Textilherstellung: eine gefährdete Tradition
  13. Unvergessen: Der Duft der Erinnerung

von Estibaliz Sienra Iracheta

Die traditionelle Textilherstellung ist ein lebendiger Bestandteil der Beziehung zwischen Mensch und Natur, durch die ein tiefes Wissen über die aus der direkten Umwelt stammenden Pflanzen, Tiere und Mineralien vermittelt werden konnten. Als Artefakte, die das Überleben unter extremen Wetterbedingungen ermöglichen und uns bei der Bewältigung unseres täglichen Lebens helfen, wurde die Gewinnung von Naturfasern mit dem Wissen und den Fortschritten des Menschen in Verbindung gebracht, einschließlich der Domestizierung von Tieren und dem Anbau von Nutzpflanzen.


Seide

Von Tieren und Pflanzen: Rohmaterialien für Textilien
Stränge von Seidenkettfäden in der Textilfabrik der Familie Mezannar in Damaskus – © Florence Ollivry (CC-BY-NC-SA)

Die Herstellung von Damasten und Brokaten ist eng mit dem historischen Erbe der Seide (harir) in Syrien verbunden. Ursprünglich in China entdeckt, wurde die Zucht von Seidenraupen und die Verarbeitung ihrer Faser jahrhundertelang als streng gehütetes Geheimnis bewahrt. Wann die Seidenraupenzucht erstmals sich auszubreiten began ist unbekannt, es wird jedoch angenommen, dass dies mit der Entstehung und Etablierung der Seidenstraße über den Fernen Osten hinaus in Verbindung gebracht werden kann.

Das antike Netz von Handelsrouten hatte drei wichtige Routen, die in syrischen Städten endeten: eine Landverbindung von Zentralasien über Persien und den Irak nach Aleppo und Antiochia; eine Seeroute, die Indien mit dem Persischen Golf verband, und dann auf dem Landweg von Bagdad oder Mosul nach Aleppo, Palmyra oder Damaskus. In den Suqs dieser Städte konnten die feinsten Seidenstoffe und Garne erworben werden, von wo sie nach Europa und in den Mittelmeerraum transportiert und verkauft werden konnten. Es ist bekannt, dass das Römische Reich orientalische Seide aus Syrien importierte und dass die Seidenhändler (sericari) ihre eigenen Quartiere in der Stadt Rom hatten. Auch das Weben einer Schussköperbindung aus Seide auf Zugwebstühlen hat seinen Ursprung in der Region und wurde später durch syrisch-römische Sklaven, die der sassanianische Kaiser Shapur I. im Jahr 360 gefangen nahm, in das Persische Reich eingeführt (Harris, S.60; Scott, S.52; Pavaloi, S.215). Schuss-Köper ist eine Webart. Sie besteht aus horizontalen Fäden (Schuss) und diagonalen Fäden (Kette) und zeichnet sich durch ein diagonales Muster aus, bei dem der Schuss über einen oder zwei Fäden der Kette und dann unter zwei oder mehr Kettfäden geführt wird, wobei die Linien für die diagonale Linie verschoben werden. Schuss-Köper ist sowohl der Name des diagonalen Musters als auch der Name für das fertige Textilgewebe. Im 4 Jahrhundert, beinhalteten die Diokletian-Erlasse (301 n. Chr.) sogar Regelungen zur Textilherstellung in Syrien, die sich auf die Seidenproduktion und die Webstuhlmengen für das Weben von reinen Damastgeweben beziehen (Pavaloi, S. 211). Eine größere Seidenproduktion entwickelte sich wahrscheinlich während der byzantinischen Epoche von nestorianischen Priestern im Jahr 553 und florierte später in den Städten Homs und Hama, als die muslimischen Armeen unter Khalid b. al-Walid die Region eroberten. Die Tribute, die die Damaszener ihren Eroberern zahlten, umfassten beispielsweise „zweitausend Seidengewänder… und dreihundert Kamelladungen Seide“ (Pavaloi, 1992, S. 212). Der Naturseidenfaden wurde zu einer der teuersten Waren in den Kalifaten und wurde wie bei seinen römischen Vorgängern zu einem wertvollen Teil der islamischen Kultur. Man begann, Seidenkleider als Geschenke und Symbole für die „Anerkennung oder den Ausdruck des Wohlwollens der Mächtigen gegenüber ihren Untergebenen“ (Lombard, 1987) zu verwenden. Die Seide stand in enger Beziehung zu materiellen und spirituellen Werten zwischen allen Schichten der sozialen Hierarchie und zwischen verschiedenen religiösen Gruppen, von den oberen Höfen der Umayyaden bis hin zu den heutigen Land- und Nomadenvölkern.

Das kleine Dorf Dayr Mama in der Region Masyaf ist bis heute für die Produktion von Naturseide bekannt. An der Ostseite des Küstengebirges gelegen, haben die optimale natürliche Umgebung und das gemäßigte Klima es ermöglicht, dass die Kunst der Seidenraupenzucht über die Jahrhunderte hinweg durch die engagierten Hände ihrer Bewohner erhalten blieb. Die Dorfbewohner haben sich dafür eingesetzt, die Seidenindustrie vor dem Aussterben zu bewahren, indem sie das Wissen an ihre Kinder und Enkel weitergegeben und ein Museum eröffnet haben, das die historische und kulturelle Bedeutung der Seide und ihrer Herstellung in der Region zeigt. 

Die Gewinnung von Seide beginnt mit der Domestizierung der Seidenraupen Bombyx mori, ein Prozess, der durch die vier Wachstumsphasen des Lebenszyklus des Insekts bestimmt wird: das Wachsen vom Ei zur Larve, von der Larve zur Puppe und schließlich zum Schmetterling. Früher züchteten syrische Bauern ihre eigenen Seidenraupeneier, heute werden sie vom Ministerium für Landwirtschaft und Agrarreform Syriens gekauft. Die Eier bleiben anscheinend während des Sommers, Herbstes und Winters inaktiv, bis im Frühjahr die Larven schlüpfen. Dies fällt genau mit der Jahreszeit zusammen, in der die Maulbeerbäume blühen. Die Seidenraupenlarven werden auf Matratzen gelegt und in Kisten im Haus gehalten. Danach werden die Larven sechs Wochen lang dreimal täglich mit Maulbeerblättern gefüttert, die nach fünfmaligem Häuten erwachsen werden und bis zu sieben oder acht Zentimeter groß werden. Am Ende ihres Erwachsenenlebens werden die Würmer durchsichtig und zeigen damit an, wann sie bereit sind, ihre Kokons zu weben. Da sie mit trockenen Strauchzweigen versehen sind, an denen sie hängen, scheiden die Würmer den Seidenfaden aus und wickeln sich ein, eine Aufgabe, die drei bis vier Tage in Anspruch nimmt. Der Kokon schützt den Wurm so lange, bis er sich in eine Puppe verwandelt hat, eine Verwandlung, die zwei bis drei Wochen dauert, woraufhin der Schmetterling den Kokon aufbricht und den Kokon verlässt. In den folgenden acht bis zwölf Tagen paaren sich die Schmetterlinge und legen zwischen 200 und 300 Eier ab, bevor sie sterben. 

Seidenbauer sammeln die Kokons und teilen sie je nach Größe und Qualität in zwei Kategorien ein. Die guten Kokons werden dann dem Wickelprozess zugeführt, bei dem der einzelne gehärtete Seidenfaden der Kokons in kochendem Wasser aufgeweicht und mit Hilfe eines Rades einzeln abgewickelt wird. Jeder Kokon wird aus einem einzelnen Faden hergestellt, das bis zu 1.500 fortlaufende Meter lang sein kann. Zwei Fäden werden dann kombiniert und mit Hilfe eines Spinnrades oder einer Spindel zu einem einzigen Seidenfaden verzwirnt und dann zu Garnspulen aufgespult, die zum Häkeln oder Weben verwendet werden können (Alkateb, 2011).


Wolle

Von Tieren und Pflanzen: Rohmaterialien für Textilien
Ein Wolleladen in Aleppo – © Wolfgang Mayer (CC-BY-NC-ND)

Die Produktion und Verwendung von Wolle – die in Syrien hauptsächlich von Awassi-Schafen gewonnen wird – ist besonders unter den Beduinen und landwirtschaftlichen Bauern Syriens von Bedeutung, die seit mehr als 5.000 Jahren Herden halten und sie in die natürlichen Graslandschaften der semiariden oder ariden Regionen Südwestasiens treiben (Epstein, 1980).

Die Verarbeitung der Wolle beginnt mit dem Scheren der Schafe, das in der Regel im Sommer mit einer Schere erfolgt. Das Wollvlies wird dann zu Hause mit warmem Wasser gewaschen, um organisches Material wie Mist oder Dornen zu entfernen. Nach dem Trocknen in der Sonne oder neben einem Feuer werden die Wollbündel mit Stöcken oder einer Schleife geschlagen, um die Fasern zu lockern. Danach folgt das Kardieren, das den Spinn- oder Filzprozess erleichtert, indem die Fasern mit Hilfe eines Stachelwerkzeugs oder Kamms in eine Richtung getrennt und geordnet werden. Sobald das Kardieren beendet ist, kann die Wolle auf den Märkten verkauft oder zu Hause zu Fäden gesponnen werden, um widerstandsfähige Textilien wie Mäntel oder Wandteppiche zu weben. Die Verwendung von Kamel- und Ziegenhaar war auch bei den Beduinen sehr beliebt, da die Fasern eher weich und fein, aber extrem widerstandsfähig sind. Die Haare wurden verwendet, um Zeltstreifen, Kelims, Taschen, Bänder, Gürtel und Gurte zu weben. Kamelwolle wurde ebenfalls zu feinen Fäden gesponnen und wurde vor allem zum Weben einiger der teuersten Festumhänge oder Abayas verwendet, die von den reichsten Beduinen getragen wurden.


Baumwolle

Von Tieren und Pflanzen: Rohmaterialien für Textilien
Eine Frau in einem Baumwollfeld – © Jean-Claude David (CC-BY-NC-ND)

Baumwolle ist eine pflanzliche Textilfaser, die aus den Sträuchern der Gattung Gossypium wächst. Im Arabischen als qutn bekannt, wurde die domestizierte Kulturpflanze wahrscheinlich erstmals vor mehr als 2.000 Jahren über Handelswege von Indien nach Syrien eingeführt. Bis zum späten Mittelalter hatten sich jedoch Bedeutung und Umfang der Baumwollproduktion in den alten Gebieten Syriens so weit entwickelt, dass die Region die größten Mengen an Rohbaumwolle nach Europa exportierte, was das Aufblühen der Barchent-Industrie in der Lombardei und in Süddeutschland förderte. Ende des 15. Jahrhunderts galt die Baumwolle aus Hama als die beste auf allen europäischen Märkten, wobei die Venezianer jährlich zwei Konvois in die Region schickten und auf jeder Reise zwischen 5.000 und 8.000 Säcke Rohbaumwolle und Baumwollfäden importierten (Gibb, 1954, S.556).

Der Baumwollanbau beginnt mit der Auspflanzung der Samen während der Regenzeit. Einige Monate später blüht die Pflanze, die nach dem Verwelken eine grüne Kapsel bildet, die reift und sich öffnet, um die flauschigen Baumwollfasern freizulegen, die die Samen bedecken. Das Öffnen der Knospen markiert den Beginn der Erinnerungszeit, die früher von Hand, heute aber mit Maschinen durchgeführt wird.


Estibaliz Sienra Iracheta ist Doktorandin an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus im Bereich World Heritage. Als Expertin für traditionelle Textilherstellung setzt sie sich für die Förderung traditioneller Textilhandwerke ein. Estibaliz arbeitete zuvor in der Ruth D. Lechuga-Volkskunstsammlung des Franz Mayer Museums und als Lehrerin für Textilrestaurierung an der National School for Conservation, Restoration and Museography of the National Institute of Anthropology and History in Mexiko.

ِAutorenschaft von Syrian Heritage Archive Project

Gemeinschaftsprojekt zur Digitalisierung von Beständen des syrischen Kulturerbes aus Deutschland (Museum für Islamische Kunst in Berlin und Deutsches Archäologisches Institut) in der Zeit von 2013-2019

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